Maria Magdalena: Apostelin mit verruchtem Image
Sie wurde bereits von Kirchenvätern "Apostelin der Apostel" (apostola apostolorum) genannt und ist seit dem Jahr 2016 auch im liturgischen Kalender den männlichen Aposteln gleichgestellt – aber dazwischen lag eine jahrhundertelange zweifelhafte "Karriere" als eine erotisch angehauchte reuige Sünderin. Wer war Maria Magdalena wirklich und wie ist es zu dieser Rezeption gekommen?
Der erste Schritt ist ein Blick in die Bibel. In allen vier Evangelien taucht Maria Magdalena, wie wir sie nennen, auf: als Maria von Magdala. Im achten Kapitel des Lukasevangeliums heißt es, dass Jesus in Galiläa umherwanderte, begleitet von den Zwölf und einigen Frauen "die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte". Neben Susanna und Johanna wird Maria Magdalena, "aus der sieben Dämonen ausgefahren waren", als erste namentlich erwähnt. Als treue Anhängerin sorgte sie für den Lebensunterhalt Jesu und der Jünger.
Weiter wird klar in den Evangelien berichtet, dass sie beim Kreuz Jesu stand, dass sie bei seinem Begräbnis dabei war und am Ostermorgen die Erstzeugin der Auferstehung war. Laut Johannesevangelium traf sie im Garten Jesus, den sie zunächst nicht erkannte und der ihr den Auftrag gab, den Jüngern die Osterbotschaft zu überbringen. "Als Erstzeugin und Glaubensbotin ist Maria Magdalena das entscheidende Bindeglied zwischen Karfreitagsverzweiflung und Osterfreude", schreibt die Geistliche Beirätin des Katholischen Deutschen Frauenbunds, Dorothee Sandherr-Klemp.
Maria Magdalena: Ihr Ursprung
Auch bei Markus, der als das am frühesten verfasste Evangelium gilt, heißt es zu den Frauen: "Sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient" (Mk 15,41). Bei ihm und bei Matthäus gelten die Frauen rund um Maria Magdalena als Jüngerinnen und Nachfolgerinnen Jesu. Lukas hingegen schwächt ihre Bedeutung etwas ab und spricht nur von Mit-Nachfolgerinnen.
Aus diesen biblischen Erstquellen schließen Exegeten, dass die Jüdin Maria – ihr hebräischer Name lautet Mirjam – ihren galiläischen Heimatort Magdala verlassen hat und wohl ledig war: Die Näherbestimmung ihres Namens als "aus Magdala" und nicht "die Frau von" deuten darauf hin.
Für die Kirchenväter Hippolyt, Augustinus, Johannes Chrysostomos und Cyrill von Alexandrien war sie die neue Eva und die erste Osterbotin. Hieronymus (347-420) schließlich bezeichnete sie – und die anderen Frauen am leeren Grab – als "Apostelinnen der Apostel". Die Umdeutung begann mit den Magdalenenpredigten von Papst Gregor dem Großen (590-604): Darin verschmilzt die Figur der Frau aus Magdala mit der namenlosen Sünderin, die Jesus in Lukas 7,36-50 die Füße salbt, und mit Maria von Betanien, der Schwester von Marta und Lazarus.
Gedenktag: 22. Juli
Patronin der Frauen, reuigen Sünderinnen und Verführten; der Kinder, die schwer gehen lernen; der Schüler und Studenten, Gefangenen; der Handschuhmacher, Wollweber, Kammmacher, Friseure, Salbenmischer, Bleigießer, Parfüm- und Puderhersteller, Gärtner, Winzer, Weinhändler, Böttcher; gegen Augenleiden und Pest; gegen Gewitter und Ungeziefer.Die Ostkirche ignoriert diese Lesart des Bischofs von Rom und ehrte Maria Magdalena über all die Jahrhunderte hinweg neben der Apostelin Junia als apostelgleiche Frau. Aber im Westen trat im Mittelalter neben das Bild der Osterbotin, die die Kirche darstellt, auch das Bild der Sünderin, das zudem immer weiter ausgeschmückt wurde: Trotz des neutralen griechischen Begriffs für die Sünderin im Lukasevangelium wird sie primär sexualisiert gedeutet als ehemalige Sexarbeiterin. In der "Legenda aurea" ist sie diejenige, die mit ihren Geschwistern Marta und Lazarus Frankreich missionierte. Zudem werden noch die biblische Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4) und sogar die Eremitin Maria von Ägypten (um 344-430) in das Magdalenenbild eingewoben.
Daraus ergeben sich dann die vielfältigen Darstellungen in der Kunst: Maria Magdalena bei der Salbung von Jesu Leichnam, aber auch mit Salbgefäß unter dem Kreuz nach seinen Füßen greifend – in Anspielung auf die Salbung durch die Büßerin. Die büßende Sünderin wird als ehemalige Sexarbeiterin "erkenntlich gemacht", indem sie oft nackt oder halbnackt und/oder mit offenem, oft rotem Haar gezeigt wird. Diese Darstellung war besonders während der sogenannten Gegenreformation populär, um die reuige Rückkehr attraktiv zu machen und attraktiv zu zeigen. Wenn Maria Magdalena haarummantelt oder mit behaartem Körper und in einer Höhle gezeigt wird, spielt die Konnotation mit der ägyptischen Einsiedlerin mit eine Rolle. Auch mit den Attributen Totenschädel als Vanitas-Symbol und Kruzifix, Hinweis auf ihre Liebe zu Christus, wird sie dargestellt, etwa von Rubens.
Die Wirkung dieses auf mehreren Frauen beruhenden Magdalenenbildes war immens und führte unter anderem dazu, dass Besserungsanstalten für Sexarbeiterinnen "Magdalenenheime" genannt wurden. Und die sieben Dämonen, von denen sie geheilt wurde, wurden mit den sieben Todsünden gleichgesetzt und mit einer unkontrollierten weiblichen Sexualität in Verbindung gebracht. Die "Mischgestalt" wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch historisch-kritische Exegese wieder in die einzelnen Personen aufgespalten und setzt sich nur langsam durch.
Eine ganz eigene Rolle spielen dabei antike Texte, die erst seit Ende des 19. Jahrhunderts gefunden wurden: gnostischen Schriften, die im 2. und 3. Jahrhundert entstanden sind, etwa das "Evangelium von Maria" oder die Codices von Nag Hammadi. Darin ist Maria Magdalena eine wichtige Jüngerin und die Frau, mit der Jesus eine tiefe geistige Beziehung hatte.
In populärer Literatur kommt es immer wieder zu Spekulationen, sie sei die Geliebte oder Ehefrau von Jesus gewesen – bis hin zu angeblichen Kindern und weiteren Nachkommen, von denen Dan Brown in dem Buch "Sakrileg" schreibt. Dass es Gnostikern um das Geistige ging und sie Körperliches ablehnten, scheint den Autor nicht zu interessieren. Aber auch das revidierte Bild der authentischen Maria Magdalena "hatte zunächst keinen Einfluss auf Theologie und Öffentlichkeit", heißt es lapidar im Lexikon für Theologie und Kirche. Erst seit dem neugestalteten liturgischen Kalender von 1969 wird sie in der katholischen Kirche nicht mehr mit der Büßerin oder Sünderin gleichgesetzt.