Liturgie und Kurie auf einen Streich
Schon bald nach der Wahl von Papst Franziskus im März 2013 machte ein lateinisches Bonmot die Runde: "Jesuita nec rubricat, nec cantat". Im Deutschen wird es nur dann verständlich, wenn man es recht frei übersetzt: Ein Jesuit nimmt es nicht allzu genau mit den Anweisungen in liturgischen Büchern und singt nicht. Übersetzt man die Redewendung hingegen wörtlich, bleibt sie unklar: "Ein Jesuit rubriziert nicht und singt nicht".
Vor vier Jahren sollte das Sprichwort erklären, warum das erste Mitglied der Gesellschaft Jesu an der Spitze der katholischen Kirche angeblich weniger Interesse für Liturgie aufbringe als seine Vorgänger. Heute taugt es als Beispiel, worum es im neuesten Erlass des Papstes geht. Nach seinem Willen soll fortan bei der Übersetzung liturgischer Texte nicht mehr die wortgetreue Übertragung des lateinischen Originals, sondern die Verständlichkeit in den jeweiligen Landessprachen oberste Priorität haben. Zudem gesteht Franziskus mit seinem Motu proprio "Magnum principium" (Das wichtige Prinzip) vom Samstag den nationalen Bischofskonferenzen mehr Eigenständigkeit bei der Übersetzung des Messbuchs und anderer liturgischer Texte zu.
Vielen Bischöfen und Kardinälen dürfte damit ein Stein vom Herzen gefallen sein. Denn die Kritik an einem römischen Zentralismus und einer Bevormundung durch die Kurie, wie sie etwa vor der Wahl von Franziskus im Vorkonklave geäußert wurde, war nicht zuletzt eine Folge massiver Eingriffe des Vatikan in die Übersetzungen der liturgischen Bücher.
Auch den deutschen Bischöfen hat es der Vatikan nicht leicht gemacht. Mit wortgetreuen Übersetzungen haben sie bislang wenig gute Erfahrungen gemacht. So scheiterte im Jahr 2005 der Versuch, gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine neue Version der Einheitsübersetzung der Bibel zu veröffentlichen. Die Protestanten lehnten damals die geforderte Mitsprache des Vatikan ab; 2016 stellten die katholischen Bischöfe schließlich ihre Einheitsübersetzung alleine vor, während die Protestanten ihrerseits eine neue Lutherbibel präsentierten.
Ärger um die Begräbnisfeier
Nur bei einem einzigen liturgischen Buch gelang in jüngerer Zeit die Überarbeitung. 2009 führten die Bischöfe das veränderte Rituale für Begräbnisfeiern ein, um es jedoch nach starken Protesten von Priestern bereits ein Jahr später wieder zurückzuziehen. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner bezeichnete das Projekt damals als "gescheitert". Die Geistlichen stießen sich an Sätzen wie diesem: "Die Ohren deiner Barmherzigkeit mögen daher für unsere Bitten offenstehen, Herr."
Ein solcher Fall dürfte sich in Zukunft nicht mehr so schnell wiederholen. Mit seinem Erlass ändert Franziskus den einschlägigen Kanon 838 des Kirchenrechts. Darin hieß es bislang, dass die Übersetzung "innerhalb der … festgelegten Grenzen" zu erfolgen habe; nun heißt es nur noch, sie müsse "treu" sein. Zudem soll der Vatikan nach dem Willen des Papstes nicht mehr in den Übersetzungsprozess eingreifen, sondern künftig den Text am Ende lediglich bestätigen. Statt von einer "recognitio" (Überprüfung) ist in der geänderten Fassung von einer "confirmatio" (Bestätigung) durch die zuständige Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung im Vatikan die Rede.
Franziskus reformiert "Liturgiam authenticam"
Franziskus' Erlass modifiziert zudem die Instruktion "Liturgiam authenticam" (die authentische Liturgie) von 2001 und kehrt damit wieder näher zu einem Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils zurück. In "Liturgiam authenticam" heißt es, Originaltexte müssten soweit möglich "ganz vollständig und ganz genau" in die Volkssprachen übersetzt werden, ohne Auslassungen und inhaltliche Zusätze. Leitgedanke des Schreibens war, dass sich die Liturgiesprache nicht nur der jeweiligen Kultur anpassen, sondern diese auch prägen sollte. Doch damit vollzog der Vatikan unter Papst Johannes Paul II. einen Paradigmenwechsel gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Der Rat für die Ausführung der konziliaren Liturgiereform hatte noch 1969 festgestellt, dass es nicht genüge, wenn Übersetzungen einfach den wörtlichen Inhalt und die Grundgedanken des liturgischen Originaltextes in eine andere Sprache übertragen. Es komme vielmehr darauf an, einem bestimmten Volk in dessen eigenen Sprache getreu zu vermitteln, was die Kirche durch den Originaltext einem "anderen Volk in einer anderen Sprache mitgeteilt" habe, so die Anweisung des Reformrates. Da diese nicht in den Apostolischen Akten des Heiligen Stuhls veröffentlicht wurde, zweifelten allerdings einige ihre Verbindlichkeit an.
Linktipp: Pro lingua latina
Seit fünf Jahren gibt es im Vatikan eine päpstliche Akademie zur Pflege des Lateins. Denn auch für Priester, Bischöfe und Kardinäle ist die Sprache Ciceros und des heiligen Augustinus mehr Fremd- als Amtssprache.Nachdem das Beerdigungs-Rituale bereits an Übersetzungsproblemen gescheitert war, setzten die deutschen Bischöfe im Jahr 2013 auch die Neuübersetzung des römischen Messbuchs aus. Im Jahr 2005 hatte sie der Vatikan zur Überarbeitung aufgefordert. Dass dabei zwischen den Bischöfen und Rom nicht immer bestes Einvernehmen geherrscht hat, ließ eine Äußerung von Kardinal Meisner erahnen. Meisner, sonst nicht als Rom-Kritiker bekannt, betonte im Oktober 2010, dass "die Bischöfe die Letztverantwortlichen für die Liturgie in ihrem Sprachgebiet" seien und sie keineswegs das "lateinische Sprachgewand übernehmen" würden.
Wie weit die neue deutsche Übersetzung 2013 bereits gediehen war, wurde nicht bekannt; der Text blieb vertraulich. Wer jedoch wissen will, wie eine wortwörtliche Übersetzung des lateinischen Messbuchs klingen könnte, muss nicht erst selbst zum Kleinen Stowasser greifen. In der theologischen Literatur findet sich Anschauungsmaterial: Der Satz "Heilige unsere Gaben durch deinen Geist" im zweiten Hochgebet müsste wörtlich übersetzt heißen: "Heilige also diese Gaben, so bitten wir, durch den Tau deines Geistes".
Auch das englische Messbuch sorgt für Unmut
Wozu eine möglichst wortgetreue Übersetzung des römischen Messbuchs aus dem Lateinischen führen kann, lässt sich auch an der neuen englischen Übersetzung studieren. Sie ist eine der wenigen, die in den zurückliegenden Jahren entstanden sind. Im Glaubensbekenntnis beten anglophone Katholiken seit 2011 statt des schlichten "born of the virgin mary" nun "incarnate of the virgin mary" – also nicht mehr "geboren" von der Jungfrau Maria, sondern "inkarniert" von der Jungfrau Maria. Die Aussage über Jesus, er sei "eins im Wesen mit dem Vater", früher schlicht "one in being with the father", lautet in der neuen Übersetzung "consubstantial with the father". An solchen und ähnlichen Beispielen entzündete sich auch im englischsprachigen Klerus teils heftige Kritik. Priester befürchteten, Gläubige ohne großes Latinum könnten der Messe nur noch mit Fremdwörterlexikon folgen. Für sie war das Englisch im neuen Messbuch nichts anderes als "verkleidetes Latein"; so hatte der deutsche Theologe Romano Guardini schon 1922 eine sklavisch wortgetreue Übersetzung bezeichnet.
Noch mehr Kopfzerbrechen als den deutschen oder englischsprachigen Bischöfen bereitete die bisherige Vorgabe des Vatikan ihren Kollegen aus Ländern mit exotischeren Sprachen. Bekannt wurde etwa der Fall der japanischen Bischöfe. Wörtlich aus dem Lateinischen ins Japanische zu übersetzen, ist ungefähr so, als würde man den heiligen Augustinus zum Samurai machen. Jahrelang rangen Japans Bischöfe im Vatikan mit europäischen Kurienmitarbeitern, die kein Wort Japanisch sprachen, darüber wie man den lateinischen Begriff "spiritus" angemessen in ihre Landessprache übersetzt. Die Japaner sperrten sich gegen eine wörtliche Wiedergabe, weil mit dem japanischen Äquivalent auch böse Geister bezeichnet würden. Erst nach dem Amtsantritt von Franziskus lenkte Rom ein.
Die Wende im "pro multis"-Streit?
Und noch einem anderen Streit könnte der neue Erlass von Franziskus eine neue Wendung geben: der seit Jahren schwelenden Auseinandersetzung um die Wiedergabe der lateinischen Einsetzungsworte "pro multis" im eucharistischen Hochgebet. Der Vatikan hatte die nationalen Bischofskonferenzen bereits 2006 aufgefordert, das lateinische "pro multis" nicht wie bisher in den Landessprachen mit "für alle" zu übersetzen, sondern wörtlich mit "für viele". Kritiker hatten eingewandt, diese Formulierung würde den Erlösungswillen Gottes zumindest sprachlich auf eine ausgewählte Gruppe von Menschen reduzieren. Die italienischen Bischöfe lehnten die Änderung im Jahr 2012 ab. Die deutschen Oberhirten blieben in der Frage geteilt, die Aufforderung des Vatikan unbeantwortet. Im April 2012 wandte sich schließlich Benedikt XVI. persönlich an die Bischofskonferenz und forderte in einem Brief die Neuübersetzung. Der damalige Papst stellte dabei allerdings nicht in Frage, dass die bisherige Übersetzung theologisch richtig sei. Er wandte sich vielmehr gegen eine Vermischung von Übersetzung und Interpretation. Weil Benedikt XVI. jedoch keine theologischen Einwände gegen die bisherige Übersetzung hatte, spekulieren Beobachter nun, dass diese Vorgabe durch den neuen Erlass von Franziskus hinfällig geworden sein könnte. Die deutschen Bischöfe wollen Ende September in ihrer Herbstvollversammlung in Fulda über die Konsequenzen des neuen Erlasses beraten.
Und schließlich ist "Magnum principium" nicht nur für die Liturgie bedeutsam, sondern viel grundsätzlicher für das Verhältnis zwischen der römischen Kurie und den Ortskirchen. Franziskus hat seit seinem Amtsantritt wiederholt erklärt, dass die nationalen Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen bekommen sollten und Rom nicht alles entscheiden müsse. Bislang war jedoch unklar, wie dies in der Praxis zum Tragen kommen sollte. Auch bei den Etappen der Kurienreform tauchte die gewünschte Dezentralisierung bislang kaum auf. Mit dem neuen Erlass schreibt der Papst diese Stärkung der Bischofskonferenzen nun erstmals in einem konkreten Fall kirchenrechtlich fest.
P.S.: Bis jetzt (Mittwoch 9.50 Uhr) hat der Vatikan noch keine deutsche Übersetzung des auf Latein verfassten Erlasses veröffentlicht; nur eine italienische, spanische und englische Fassung liegen vor.