Mehr Ökumene im Klassenzimmer
Das fast schon ökumenisch gefeierte Reformationsjahr hat Katholiken und Protestanten auch auf der Schulbank näher zusammenrücken lassen. In Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg haben Bistümer und evangelische Landeskirchen in den vergangenen Monaten eine Kooperation im Religionsunterricht beschlossen. Viele Religionspädagogen vertreten schon seit längerem die Ansicht, dass ein getrennter Religionsunterricht in der bisherigen Form nicht mehr zeitgemäß sei. Allerdings gibt es auch Stimmen, die vor einer Verwässerung des konfessionellen Profils durch solchen Unterricht warnen.
Zu den Pionieren des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts zählt neben Hessen und Niedersachsen das Land Baden-Württemberg. Hier praktizieren das Erzbistum Freiburg und das Bistum Rottenburg-Stuttgart dieses Konzept gemeinsam mit den evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg bereits seit 2005. Die Kooperation lasse sich in Baden-Württemberg besonders gut verwirklichen, weil die Grenzen der vier kirchlichen Oberbehörden mit denen des Landes deckungsgleich seien, erklärt Andreas Bächlin, Referent für Schulen und Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren in der Erzdiözese Freiburg. Ein weiterer Vorteil sei, dass die beiden Konfessionen im Land etwa gleich stark vertreten seien. Seit der Einführung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts gebe es stetigen Zuwachs, so Bächlin. Vor allem in Grundschulen sei dieses Modell gefragt. Insgesamt werde derzeit an etwa 800 der rund 3.600 Schulen Baden-Württembergs nach diesem Modell unterrichtet.
Nur mit Einverständnis der Eltern und Lehrer
Geplant und organisiert wird der kooperative Unterricht in Südwestdeutschland von einem Team aus katholischen und evangelischen Religionslehrern. Die Lerngruppen werden abwechselnd von evangelischen und katholischen Lehrern unterrichtet. Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit ist das Einverständnis der Eltern und der Lehrer. Dies müssen die Schulen nachweisen, wenn sie einen Antrag auf konfessionell-kooperativen Religionsunterricht stellen. Das Ziel ist nach Aussage der Beteiligten eine authentische Begegnung mit der anderen Konfession. Diese schaffe auch ein vertieftes Bewusstsein für die eigene Konfession.
Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht sei für sie und ihre Kollegen eine große Erleichterung, berichtet Sabine Neumüller. Besonders für Schüler in den ersten beiden Klassen habe das Konzept viele Vorteile, berichtet die Lehrerin an der Grundschule Geradstetten im Rems-Murr-Kreis. Für die Erst- und Zweitklässler sei es schwierig mit Schülern aus zwei bis vier anderen Klassen unterrichtet zu werden. "Allein den richtigen Raum und die richtige Lehrperson zu finden ist nun wesentlich leichter und spart uns vor allem in den ersten Schulwochen viel Zeit, Trennungsschwierigkeiten und sogar Tränen, weil zum Beispiel die Freundin der anderen Konfession angehört", so Neumüller.
Die Kooperation ermögliche, dass die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung und in ihrer Klassengemeinschaft unterrichtet würden. "Auch für uns Lehrer ist es viel angenehmer eine jahrgangs-homogene Klasse zu unterrichten, vor allem wenn eine Konfession eben in der Minderheit ist und darum teilweise zwei Jahrgänge und vier Klassen zusammengefasst werden müssen". Der halbjährliche Wechsel und die Absprache unter den Lehrpersonen der anderen Konfession ist für Neumüller kein Problem, "im Gegenteil, wir profitieren von der engen Zusammenarbeit und erleben diese als Bereicherung", erzählt die Lehrerin.
Erhalt des Religionsunterrichts auf lange Zeit gesichert
Auch in Nordrhein-Westfalen wollen die Kirchen im Religionsunterricht enger zusammenarbeiten. Die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche und die Evangelische Kirche im Rheinland haben sich mit den katholischen Bistümern Aachen, Münster, Essen und Paderborn im September auf konfessionell-kooperativen Religionsunterricht verständigt. Starten soll das Projekt mit dem Titel "Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden" im kommenden Schuljahr 2018/19. Mit dieser Initiative stelle man sich "auf die veränderte Schullandschaft ein", hieß es in der Pressemitteilung des Bistums Aachen. Die Zahl der Schüler christlichen Glaubens werde immer geringer. Ein starkes Argument für den kooperativen Unterricht aber sei die stärkere "authentische und direkte Begegnung mit der eigenen und der anderen Konfession". Man werde sich in einem solchen Dialog des eigenen Glaubens bewusster, so Thomas Ervens, Leiter der Abteilung Erziehung und Schule im Bischöflichen Generalvikariat Aachen in der Pressemitteilung. Der kooperative Unterricht solle die eigene Identität bewusst machen, zum kritischen Nachdenken anregen und das Gewissen schärfen.
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Immer weniger Schüler sind katholisch oder evangelisch. Daher soll in NRW bald gemeinsamer Religionsunterricht für beide Konfessionen angeboten werden. Doch daran gibt es Kritik von katholischer Seite. (Artikel vom Oktober 2017)Ursula Deggerich, Schul-Referentin des Bistums Essen begrüßt das neue Konzept ebenfalls und hält das neue Modell für "religionspädagogisch sinnvoll", denn "es sichere auf lange Sicht den Erhalt des Religionsunterrichts", wie sie in der Pressemitteilung zitiert wird. Des Weiteren hofft sie, dass die Jugendlichen sich ihrer eigenen Konfession so bewusster würden, weil auch bei getauften Kindern heute christliche Tradition und biblisches Wissen längst nicht mehr selbstverständlich seien.
Die geltenden evangelischen und katholischen Lehrpläne bleiben hierbei weiter in Kraft. Sie sollten aber aufeinander bezogen und in entsprechende Unterrichtsplanungen übersetzt werden, teilte das Bistum Aachen mit. Das Bistum Essen verweist darauf, dass der verpflichtende Wechsel zwischen katholischen und evangelischen Fachlehrern ein entscheidender Punkt der Kooperation sei, weil die Schüler so beide konfessionellen Perspektiven kennenlernen könnten. Damit die Umsetzung reibungslos funktioniere, werde großer Wert auf die Fortbildung der unterrichtenden Lehrer durch die beiden Kirchen gelegt.
Keine Beteiligung durch das Erzbistum Köln
Das Erzbistum Köln beurteilt die Lage hingegen anders und beteiligt sich nicht an der Kooperation. Der Großteil der Schulen im Erzbistum habe gute Voraussetzungen den Religionsunterricht in der bestehenden Form beizubehalten, erklärte die Leiterin der Abteilung Schule und Hochschule im Kölner Generalvikariat, Bernadette Schwarz-Boenneke. Hauptaufgabe des Religionsunterrichts sei es heute, die Kinder für ihren Glauben hellhörig zu machen. Dies jedoch könne in einem konfessionell getrennten Unterricht besser gelingen, so Schwarz-Boenneke. Viele von ihnen seien das letzte Mal bei ihrer Taufe in der Kirche gewesen. Das Erzbistum Köln wolle das Augenmerk stärker auf die Wurzeln des Religionsunterrichts legen und versuchen, Glaube und Gott wieder mehr zum Thema zu machen. Außerdem enthalte auch der getrennte Unterricht viel Ökumenisches: "Die Auseinandersetzung mit Protestanten, Orthodoxen und mit anderen Religionen gehört zum festen Bestanteil des katholischen Religionsunterrichts". Als Argument gegen den kooperativen Unterricht führt Schwarz-Boenneke einen Rollenkonflikt der Lehrer an: "Wie soll das ablaufen, wenn ein katholischer Lehrer evangelischen Kindern etwas über das Katholische beibringt, aber ihnen auch als Protestanten gerecht werden muss?"
Auch für Schulen in Berlin und Brandenburg soll der konfessionell-kooperative Unterricht möglich werden. Anfang Oktober unterzeichneten der evangelische Bischof Markus Dröge und der katholische Erzbischof Heiner Koch eine entsprechende Vereinbarung. Der Dialog verschiedener Überzeugungen spiele im Religionsunterricht eine große Rolle. Dazu leiste die konfessionelle Kooperation einen wesentlichen Beitrag, heißt es in der Mitteilung des Erzbistums Berlin. "Das Wissen um verschiedene Religionen ist eine wichtige Voraussetzung gegen Radikalisierungstendenzen und für Dialogfähigkeit", sagt Landesbischof Dröge. Mit der Kooperation solle sichergestellt werden, "dass die Kernthemen in den Perspektiven beider Konfessionen unterrichtet werden" und beide Konfessionen trotzdem kooperieren, fügt Koch hinzu. Ziel sei die Stärkung der religiösen Bildung in der Schule und die Möglichkeit, dass viele Schülerinnen und Schülern am Religionsunterricht teilnehmen könnten, erklärte das Erzbistum Berlin.
Andere Bistümer erwägen ebenfalls eine Kooperation im Religionsunterricht. Grundlage sind Empfehlungen der Deutschen Bischofskonferenz vom Dezember 2016. "Ein katholischer Religionsunterricht in ökumenischem Geist ist grundsätzlich offen für die Kooperation mit dem evangelischen Religionsunterricht", heißt es in einer Mitteilung der Bischofskonferenz zu dem Papier.
"Für die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts ist die Kooperation beider Fächer von großer Bedeutung", sagte der Vorsitzende der Kommission für Erziehung und Schule der Bischofskonferenz, Erzbischof Hans-Josef Becker, damals. In vielen Regionen Deutschlands sei bald keine Trennung der Lerngruppen mehr möglich, weil die Zahl der Schüler der jeweiligen Konfession zu gering sein werde. Zugleich machte der Paderborner Erzbischof deutlich, dass es nicht um einen überkonfessionellen Religionsunterricht gehe. Ziel der Kooperation beider Fächer sei es vielmehr, dass die Schüler zu einem besseren Verständnis konfessioneller Gemeinsamkeiten und Unterschiede gelangen und dabei auch die Frage nach der Zugehörigkeit zur katholischen oder evangelischen Kirche ihre Bedeutung für das eigene Leben bedenken", erklärte Becker.