"Warum hat Gott Läuse gemacht?"

Veröffentlicht am 24.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Essay

Bonn ‐ Wenn Kinder einfache, aber grundlegende Fragen stellen, fehlen den Erwachsenen manchmal die Worte. Neulich wollte meine fünfjährige Tochter wissen: "Papa, warum hat Gott Läuse gemacht?" Im ersten Moment konnte ich darauf nichts antworten, im zweiten brabbelte ich, dass sie schon irgendeinen Sinn haben werden, und im dritten schrieb ich den Satz auf – als Ausgangsfrage für ein paar Gedanken über die Stellung des Tiers im christlichen Weltbild.

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Warum Gott Läuse gemacht hat, ist eine ziemlich gute Zusammenfassung für ein ganzes Bündel von Fragen, die das Verhältnis des Menschen zu den Tieren betreffen. Was ist zum Beispiel mit den Hunderten von Fruchtfliegen, die jeden Sommer in unseren Balsamico-Zucker-Spülwasser-Fallen umkommen? Und ist es nun christlich oder einfach nur albern, jede Spinne im Wasserglas zu fangen, statt sie zu zertreten?

Von Nützlingen und Schädlingen

Die Unterscheidung zwischen Nutztieren und Schädlingen kommt sicher nicht von Gott, sondern vom Menschen. Doch rechtfertigt sie das Töten? Und welches tierische Leben ist mehr wert und welches weniger? Ist es zum Beispiel aus christlicher Sicht vertretbar, das Wespennest auf dem Balkon vernichten zu lassen, weil ich um das Wohl meiner Kinder fürchte? Und warum rette ich den kranken Igel im Garten und begrabe die tote Amsel, während ich die salatfressenden Schnecken wutentbrannt packe und über den Zaun auf die Autobahnböschung schleudere?

Professor Rolf Schieder, Jahrgang 1953, lehrt an der Berliner Humboldt-Universität praktische Theologie und Religionspädagogik. Ich frage ihn, ob in der christlichen Vorstellung zwischen Tierarten unterschieden wird – und ob zum Beispiel ein Pferd mehr wert ist als eine Kopflaus. "Grundsätzlich nicht", sagt er. "Aber die Symbolkraft von Tieren ist – oft religionsgeschichtlich bedingt – unterschiedlich. Auch in den Stadtwappen sind Adler, Bären, Löwen und Stiere häufiger vertreten als Läuse. Hinzu kommt die biblische Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren, die aber im Christentum aufgehoben ist."

Schicksalsgemeinschaft auf der Arche

Aber wo genau ist das Tier im christlichen Weltbild einzuordnen? Professor Schieder sagt: "Während René Descartes Tiere als bloße Maschinen verstand, waren vor allem den Wortlaut der Bibel ernst nehmende christliche Kreise der Meinung, dass nach Jesaja 11 und Römer 8 die Tiere selbstverständlich Anteil am Heil haben." Die ersten Tierschutzvereine in England und Deutschland seien von evangelikalen beziehungsweise pietistischen Christen gegründet worden. "Auch in der Noah-Erzählung ist es selbstverständlich, dass Tier und Mensch eine Schicksalsgemeinschaft bilden." Im Vergleich mit den Naturreligionen, in denen Tierkulte üblich gewesen seien und man Tieren mit Respekt (und auch Angst) begegnet sei, habe sich das Christentum zu wenig mit der Stellung der Tiere beschäftigt. "Vergleichen Sie dazu aber auch Albert Schweitzers Forderung, Ehrfurcht vor allem Leben zu haben", rät der Theologe.

Im katholischen Jugendkatechismus "Youcat" heißt es: "Der Mensch soll in den Geschöpfen den Schöpfer ehren und achtsam und verlässlich mit ihnen umgehen." Tierliebe sei zutiefst menschlich. Und es sei dem Menschen zwar erlaubt, Tiere und Pflanzen zu nutzen und zu essen, aber nicht, Tiere zu quälen oder sie artfremd zu halten. "Das widerspricht der Würde der Schöpfung genauso wie die Ausbeutung der Erde aus blinder Habgier."

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Video: © Christian Turrey

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Beliebte Pferdesegnung

Aber offenbar sind die Menschen zu einigen Tieren lieber als zu anderen. Pferde zum Beispiel stehen im Ranking der beliebten Tiere ziemlich weit oben. Das zeigt sich bei Pferdesegnungen wie in der Bonner Gemeinde St. Peter. 40 Reiter treffen sich dort an einem Sonntag im Herbst auf der Wiese vor der Kirche. Pfarrer Michael Dörr erteilt den Segen Gottes für die Tiere, den er gleichzeitig als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung betrachtet.

Pfarrer Dörr erinnert an die Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis, in der Gott dem Menschen die Verantwortung für die Schöpfung überträgt und damit auch für die Tiere des Himmels, der Erde und des Wassers. "Er gibt sie uns, damit wir sie bewahren, damit wir Gottes Schöpfung der nächsten Generation übergeben." Die Fürbitten verstärken das: "Hilf uns, die Tiere als Mitgeschöpfe zu achten!" Pfarrer Dörr möchte die Segnung künftig auf weitere Tiere ausweiten, "die uns am Herzen liegen", und die Tradition der Tiersegnung weiterführen. Das freut Pferdehalterinnen wie Nina Görtz (31), die mit ihrem Rappschecken Sammy Joe bereits zum sechsten Mal dabei ist.

Kommen Tiere in den Himmel?

Doch, was ist mit den Tieren, die uns nicht so sehr am Herzen liegen? Pfarrer Dörr glaubt, dass selbst die Laus, der Floh oder die Mücke eine Daseinsberechtigung in der Schöpfung Gottes haben – sei es als wichtiger Bestandteil des Ökosystems oder als ein kleines Glied in der Nahrungskette. Professor Schieder sieht noch weiteren Aufklärungsbedarf: "Das Christentum hat ein noch nicht hinreichend geklärtes Verhältnis zum Tier." Das zeige sich auch in den Tiersegnungen. Schieder ergänzt: "Nur wenige Theologen schrieben den Tieren eine Seele zu."

Was mich zur nächsten kniffligen Kinderfrage führt: "Papa, kommen Pferde in den Himmel?" Auch darauf weiß Professor Schieder eine Antwort: "Da es zu einer Neuschöpfung des gesamten Kosmos kommt, kommen Tiere auch in den Himmel – allerdings ebenso verwandelt wie die Menschen, vergleiche dazu Jesaja 11." Davon geht auch Pfarrer Dörr aus. Er sagt, im Römerbrief des Apostels Paulus (Kapitel 8, Vers 19) sei die Rede davon, dass die gesamte Schöpfung erlöst und neu erschaffen werde, um Gott zu verherrlichen. Und auch im Kolosserbrief (Kapitel 1, Vers 17) heißt es, in Gott habe "alles" Bestand.

Dass Tiere in den Himmel kommen, kann ich demnach künftig mit "Ja" beantworten. Und auch die nervigen Läuse haben offenbar einen Sinn. Am besten feile ich jetzt schon mal an einer kindgerechten Begründung...

Von Sascha Stienen