Religion und Transzendenz sind Thema zahlreicher Filme auf der Berlinale

Ein Jesus-Tattoo als Inspiration

Veröffentlicht am 24.02.2018 um 13:31 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
Berlinale

Berlin ‐ Auf der am Sonntag zu Ende gehenden Berlinale haben sich zahlreiche Filme religiösen Fragen gewidmet. Manche kritisieren religiöse Institutionen, andere begreifen Transzendenz als erzählerisches Angebot.

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Was verbindet Kirche und Kino? Beide, so sagen manche, seien Institutionen der Offenbarung, verwandte Orte des Verweises auf eine andere Welt. Dagegen beharren viele auf dem Unterschied zwischen dem Reich der Transzendenz und dem des Scheins. Bei der Berlinale kommen beide Ansichten zu ihrem Recht. Allein schon als Teil der menschlichen Lebenswelt hat Religion ihren Platz im Kino. Wenn etwa in Babak Jalalis Anti-Western "Land" die Bewohner eines Indianer-Reservats in einer katholischen Kapelle beten und das Gerücht von einem mordenden Priester verbreiten, wenn die gleichen Leute dann ihre vorchristlichen Bräuchen zelebrieren, spiegelt dies Religion als einen Teil der Wirklichkeit wider.

Ob es dabei um den Glauben geht, hängt davon ab, ob religiöse Elemente die Handlung bestimmen. Ein Jesus-Tattoo kann, wie etwa in dem Forum-Beitrag "Los debiles" aus Mexiko, beides sein: Spur einer religiös inspirierten Folklore und Signal transzendenter Haltungen. Interessant wird es, wenn Religion dazu dient, bestimmte Gruppen moralisch zu qualifizieren. So versammeln sich in dem Geschichtsdrama "7 Tage in Entebbe" die jüdischen Geiseln der Terroristen zum Gebet. Das mag historisch stimmen, im Kontext der plakativen Freund-Feind-Dramaturgie des Films aber unterstreicht der Blick auf die Religion nur die Differenz zwischen Gut und Böse. Fromme sind rein, und Böse beten nicht.

Unverhüllte Kritik am iranischen Gottesstaat

Dass es so einfach nicht ist, zeigen Filme wie die iranische Groteske "Khook" ("Schwein") von Mani Haghighi. Die Hauptfigur, der Filmregisseur Hasan, stolpert durch ein Teheran, das von einer Mordserie schockiert wird: Ein Serienkiller köpft alle namhaften Regisseure des Landes, alle bis auf Hasan. Schließlich kommt es zum Showdown zwischen dem Künstler und dem Mörder, der sich als Vollstrecker einer höheren religiösen Wahrheit versteht. "Khook" wäre keine Komödie, würde solche Hybris nicht bestraft – eine unverhüllte Kritik am iranischen Gottesstaat und seinen brutalen Schergen.

Kinosessel.
Bild: ©IvicaNS/Fotolia.com

Was verbindet Kirche und Kino? Beide, so sagen manche, seien Institutionen der Offenbarung, verwandte Orte des Verweises auf eine andere Welt.

Kritisch geht auch die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska mit der Religion ins Gericht. Ihr Film "Twarz" (Gesicht) spielt in einer ländlichen Szenerie: In der Nähe baut man die größte Jesus-Statue der Welt, katholische Riten und Bräuche bestimmen den Alltag, und ein voyeuristischer Pfarrer forscht im Beichtstuhl nach schlüpfrigen Details aus dem Sexleben der Gläubigen. Gegen solche Verirrungen setzt Szumowska das Lachen der Aufklärung im Zeichen einer höheren Humanität. Nicht die Religion ist das Problem, gegen das ihr Film aufsteht, sondern der Missbrauch religiöser Gefühle durch die, die das Sagen haben.

Das Kino als Träger religiöser Offenbarung

Dagegen kann das Kino durchaus zum Träger religiöser Offenbarung werden. Gleich zwei Filme des Wettbewerbs integrieren christliche Offenbarung in ihr Geschehen. Beide schildern einen Drogenentzug als Weg zu einem neuen Bewusstsein. In Cedric Kahns Film "La Priere" (Das Gebet) verschlägt es den jungen Thomas (Anthony Bajon) in eine katholische Gemeinschaft in der französischen Provinz. Mit Gebet und Arbeit kämpft er sich durch die Abgründe des Entzugs, bis ihn eine Erscheinung zu einer wegweisenden Entscheidung bringt; für ihn ist klar, dass Gott ihn erhört hat.

Ähnlich mutet das Wirken einer höheren Macht in Gus van Sants "Don't Worry, He Won't Get Far on Foot" an, einem fiktiven Porträt des US-amerikanischen Cartoonisten John Callahan. Auch hier zeigt sich die Dramaturgie im Bunde mit der transzendenten Botschaft des Films. In einer Schlüsselszene erscheint die sichtbare Spur des Jenseitigen im Hier und Jetzt. Hauptdarsteller Joaquin Phoenix gelingt das Kunststück, den religiösen Stein des Anstoßes als das zu belassen, was er ist: Beweggrund des Geschehens und Motivation weiteren Handelns, also Wirklichkeit. Ob solche Filme zu einer besseren Welt führen, sei dahingestellt. In jedem Fall halten sie die Tür zur anderen Seite offen; faszinierendes, provokantes Kino bieten sie allemal.

Von Hans-Joachim Neubauer (KNA)