Warum das biblische Buch Daniel lesenswert ist

Kleines Buch eines "großen Propheten"

Veröffentlicht am 21.07.2018 um 12:55 Uhr – Lesedauer: 
Bibel

Bonn ‐ Was liegt näher, als am Gedenktag des Propheten Daniel das Danielbuch im Alten Testament zu lesen? Neben Zauber, abenteuerlichen Tieren und einem Gerichtsdrama hat es vor allem eines zu bieten: Hoffnung.

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Das kleine Buch Daniel – es besteht aus 14 Kapiteln – gehört zu den bekannteren der Prophetenbücher im Alten Testament. Die vielen ikonischen Szenen sind in Kinderbibeln und in der Kunst oft dargestellt worden – Daniel in der Löwengrube ist wohl die bekannteste. Aber auch die Bilder der Jünglinge im Feuerofen, der Anbetung einer hohen Goldstatue, der aus dem Nichts auftauchenden Hand, die eine Wand beschreibt, und der alten Männer, die Susanna vergewaltigen wollen, brennen sich ins Gedächtnis ein. Diese und noch weitere – teilweise auch sprachlich sehr unterschiedliche – Erzählungen weisen auf die Entstehungsgeschichte des Buchs hin, aber dazu später mehr.

Schon das frühe Christentum sah in Daniel einen Propheten. Gott hat ihm Geheimnisse offenbart, die für andere Menschen verschlossen blieben – so ist er der einzige unter den Zeichendeutern, der den Traum des Königs erraten und folglich auch deuten kann. Er zählt gemeinsam mit Jesaja, Jeremia und Ezechiel zu den vier "großen Propheten". In der jüdischen Bibel findet sich das Danielbuch hingegen nicht unter der Prophetie, sondern unter den Weisheitsbüchern (Ketuvim) und ist eine der letzten Schriften, die in den Bibelkanon aufgenommen wurde.

Das Vorbild eines toratreuen Juden

Daniel ist ein hoher jüdischer Gefangener am babylonischen Königshof. Er und seine drei Freunde sind für den Dienst des Königs bestimmt, schaffen es aber, ihre religiösen Vorschriften zu halten – etwa, indem sie nicht von der königlichen Tafel essen, sondern um vegane Kost und Wasser bitten. Unter anderem weil Daniel sich nicht unrein macht, gilt er als Vorbild für einen toratreuen Juden auch in der Verbannung und trotz lebensbedrohlicher Verfolgung. Als junger Mann verhilft er der zu Unrecht der Unkeuschheit angeklagten Susanna zum Freispruch. Er entlarvt zudem falsche Götter und ihre Diener, die sich einen Geheimgang zum Altar verschafft haben, um nachts die Opfergaben aufzuessen (Kapitel 13 und 14).

Linktipp: Die Geschichte von Daniel in der Löwengrube

Die Geschichte von Daniel in der Löwengrube gehört zu den bekanntesten Bibelgeschichten. Katholisch.de hat sie für Kinder in leicht verständlicher Sprache aufgeschrieben.

Mehrere Könige verschiedener Reiche werden im Buch genannt, unter denen Daniel am Hof arbeitet: die Babylonier Nebukadnezzar und Belschazzar, der Chaldäer Darius und der Perser Kyrus. Die geschichtlichen Angaben sind jedoch so widersprüchlich zu dem, was an anderen Stellen im Alten Testament steht, dass Lesern bereits früh klar war, dass das Danielbuch kein historischer Bericht ist – und das auch nicht sein will.

Eine wichtige Bedeutung hat das apokalyptische Buch deshalb für die Gläubigen, weil es ihnen die Macht Gottes zeigt. Auch die größten Herrscher konnten letztlich nichts gegen Gott und sein auserwähltes Volk ausrichten und ihr Hoheitsanspruch wurde als Selbstüberschätzung entlarvt. Im Buch fehlen zudem Angaben zu Daniels Familie und Herkunftsort, was darauf hindeutet, dass er eine mythische Figur ist. Erwähnt wird nur, dass Nebukadnezzar nach schönen und klugen jungen Israeliten von "königlicher Abkunft oder wenigstens aus vornehmer Familie" verlangte.

Die Handlung ist zwar im 6. Jahrhundert vor Christus angesiedelt, das Buch wurde aber wohl erst in der Zeit der Verfolgung der Juden durch den Seleukiden-König Antiochos IV. (167–164 vor Christus) verfasst. Es besteht aus zwei auf Hebräisch verfassten Teilen und dazwischen einem aramäischen Teil. Außerdem gibt es Abschnitte, die auf Griechisch verfasst wurden und nicht zur jüdischen Bibel gehören: das Gebet von Daniels Freund Asarja, der Lobgesang im Feuerofen sowie die Erzählungen von Susanna, vom Gott Bel und vom Drachen. Passend zur Lage der Juden in der Verfolgungszeit handeln Daniels Visionen (Kapitel 8 bis 12) vom Untergang der Verfolgermächte – in der Vergangenheit und in der Zukunft. Der Visionär und Traumdeuter fragt nach Gott in der Weltgeschichte und steht damit am Anfang der Geschichtstheologie.

Prophet Daniel
Bild: ©Fotolia.com/Renáta Sedmáková

Ein Fresko zeigt den Propheten Daniel.

Und dann sind da noch die Aspekte, die das Danielbuch unter Christen so beliebt machten: In einer Vision erscheint der kommende Menschensohn, dessen Herrschaft alle anderen menschlichen Reiche endgültig ablösen wird. "Sein Reich geht niemals unter", heißt es bei Dan 7,14; er herrscht ohne Gewalt, anders als die aus dem Chaos geborenen anderen Weltreiche. Auch im Neuen Testament spricht Jesus von sich als Menschensohn, wenn er über das Reich Gottes und die Gerichtsankündigung predigt. Die diversen Erzählungen von Rettung, Befreiung und dem Sieg Gottes am Ende waren Kraft- und Hoffnungsquellen während der Christenverfolgung – und sie können das auch für die heutigen Leser noch sein.

Daniel-Kult in Norditalien und im alpinen Raum

Nicht zuletzt machte die Geschichte von Daniel in der Löwengrube (Dan 6), der nach einer Nacht unversehrt wieder herauskommt, den Propheten zu einer Symbolfigur der Auferstehung, die auf Gräbern und in Katakomben dargestellt wurde. Als ganz am Ende des letzten Kapitels die Löwengruben-Erzählung noch einmal beschrieben wird, bleibt Daniel nicht nur eine Nacht, sondern ganze sechs Tage eingesperrt. Da schickt Gott den Propheten Habakuk durch die Lüfte, um Daniel zu essen zu geben. In der christlichen Ikonografie ist das Brot, das der von Engeln getragene Habakuk Daniel reicht, ein Sinnbild für die Eucharistie.

Im norditalienischen Aquileia und im alpinen Raum entwickelte sich ein Daniel-Kult, der ihn ab dem Spätmittelalter zu einem Patron der Bergleute machte. Die Löwengrube wurde als Zeche aufgefasst und wegen seiner Traumdeutungen wurde Daniel als "erzkundig" und als Ratgeber beim Entdecken von Bodenschätzen angesehen. Am 21. Juli gedenkt die katholische Kirche des Propheten; die evangelische, orthodoxe und armenische Kirchen begehen seinen Gedenktag am 17. Dezember.

Von Agathe Lukassek