Erzbischof Müller über die Wirkung von Anna Schäffer

"Anna Schäffer ist eine moderne Heilige"

Veröffentlicht am 07.01.2015 um 00:27 Uhr – Lesedauer: 
Interview

Regensburg ‐ Es ist eine ungewöhnliche Selige, die am 21. Oktober 2012 von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen wird. Anna Schäffer ist keine große Kirchenlehrerin, keine berühmte Märtyrerin, sondern eine Magd aus einem bayerischen Dorf, deren Leben durch unermessliches Leid geprägt wurde. Erzbischof Gerhard Ludwig Müller ist dieses Jahr aus dem Bistum Regensburg, der Heimat Schäffers, als Leiter der Glaubenskongregation nach Rom berufen worden. Im katholisch.de-Interview spricht er über die Brüche im Leben dieser besonderen Frau, ihren Glauben und ihre Wirkung auf die Menschen.

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Frage: Sind die Lebensbrüche und die Art und Weise, wie Anna Schäffer sie mit Gott teilt, vielleicht das Geheimnis der neuen Heiligen? Was sagt Anna Schäffer uns heute?

Müller: Herr Erzbischof, Anna Schäffer hat nun in unserer Zeit gelebt - im 20. Jahrhundert. Sie hat den furchtbaren Unfall erlitten, aus dem es dann kein Entrinnen mehr gab, nicht nur was eine körperliche Genesung und die Schmerzen betraf, sondern vor allem ihre Hoffnungslosigkeit. Sie hatte keine Perspektive, einen Beruf zu ergreifen. Und es war sicher schlimm für sie, dass sie sich ihren Wunsch nicht erfüllen konnte, in die Mission zu gehen und dort dem Reich Gottes zu dienen. Es war eigentlich nur übrig geblieben, mit dem Leiden, das ihr zugeschickt war, das Reich Gottes so aufzubauen, dass wir das für heute auch erfassen Wir sehen, wie sie große Verehrung genießt; es kommen Menschen aus allen Schichten. Anna Schäffer spricht eben alle an, weil die Situation, die sie betroffen hat, jeden Menschen erreicht, ob er nun Bankdirektor ist oder Universitätsrektor oder ein ganz einfacher Arbeiter, eine Verkäuferin: Jeder Mensch kann von solchen körperlichen Leiden heimgesucht werden. Anna zeigt hat uns eben, was mit Hilfe der Gnade Christi alles möglich ist und wie er auch das Leid verwandeln kann. Somit können wir aus Gott heraus immer hoffen.

„Es gibt viel Leiden in der Welt und die heilige Anna Schäffer kann uns zeigen, wie wir etwas Positives daraus gewinnen können.“

—  Zitat: Erzbischof Gerhard Ludwig Müller
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Video: © TV-Augsburg

Ein Fernsehbeitrag von TV-Augsburg über das Leben der Heiligen.

Frage: Demzufolge könnten also wohl auch Menschen in existentieller, in akuter körperlicher oder seelischer Not von dem Zeugnis der Anna Schäffer profitieren.

Müller: Es gibt nicht nur die körperlichen Leiden, die sicher furchtbar sind. Es gibt auch die geistigen, seelischen Verwundungen. Es ist sehr wichtig, dass Menschen nicht hoffnungslos werden. Wir haben alle bestimmte Lebenspläne und wenn die aus irgendeinem Grund nicht Erfüllung gehen, dann denkt mancher: Jetzt hat alles keinen Sinn mehr. Viele können mit dem Älterwerden nicht umgehen, Menschen werden verlassen, Ehen gehen zu Bruch. Kinder verlieren den Zugang zu den eigenen Eltern, obwohl sie dazu ein Grundrecht haben. Es gibt viel Leiden in der Welt und die heilige Anna Schäffer kann uns zeigen, dass man damit auch umgehen kann, wie wir etwas Positives daraus gewinnen können. Insofern ist sie eine moderne Heilige: Anna Schäffer versteht Menschen mit Lebensbrüchen nur allzu gut und will ihnen eine Brücke sein zu Gott. Die Patronin derer, die Brüche in der Laufbahn des Lebens erlitten haben.

Aquarell der heiligen Anna Schäffer.
Bild: ©Thomas Schumann/katholisch.de

Aquarell der heiligen Anna Schäffer.

Frage: In der katholischen Kirche gehören Heilige nicht nur dazu; sie sind etwas ganz Existentielles für den Glauben. Was sagen Sie als der neue Präfekt der Glaubenskongregation des Papstes dazu?

Müller: Die Heiligen – ja, sie sind zur Ehre der Altäre erhoben worden. Aber sie sind ja keine Sonderklasse: Zu denen gehören wir alle. Die Heiligen sind uns nur als Beispiele vorgestellt. Zur Gemeinschaft der Kirche gehören sie nach der Lehre unseres Glaubens nämlich genauso wie die Sünder. Es gibt doch nicht nur die Gemeinschaft der Reinen und jener, die sich dafür halten. Ganz menschlich gesagt, wäre es ja wohl auch unerträglich, wenn man ausschließlich mit denen zusammen wäre. Alle, die sich halbwegs wirklichkeitsnah eher dem Stand der Sünder zugehörig fühlen, sollten sich an die eigene Brust schlagen und bei Gott um Vergebung bitten; dann wird ihnen vergeben, sie werden auch demütiger und geduldiger – und kommen damit der geschenkten Heiligkeit ein Stück näher.

Das Interview führte Thomas Schumann

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Weitere Informationen zu Anna Schäffer erhalten Sie in unserem Porträt.