Wie Katholiken mit den Chemnitzer Vorfällen leben
Entsetzen ist bei vielen Chemnitzern auch in den Wochen danach noch da. Der Tod eines jungen Mannes, die Demonstrationen und die Angst sind in den Köpfen weiter präsent. Auch unter den katholischen Christen der Stadt, in der die gegenwärtigen Spannungen in der Gesellschaft wie in einem Brennpunkt aufscheinen.
"Bei uns zeigt sich nichts anderes als der Querschnitt der Gesellschaft, deswegen gibt es auch hier unterschiedliche Ansichten über Flüchtlinge", erklärt Matthias Böhm, der Kantor der Pfarrei Heilige Mutter Teresa. So hat er in der vergangenen Woche erlebt, dass ein Gemeindemitglied nach der Messe dem Pfarrer vorwarf, in seiner Predigt gelogen zu haben.
Pfarrhelferin: Mit Argumenten kommt man da nicht durch
Pfarrhelferin Beate Leisterer bestätigt den Eindruck, dass manche Chemnitzer Angst haben, im Leben zu kurz zu kommen und dies auf die Flüchtlinge projizieren. "Mit Argumenten kommt man da nicht durch", sagt sie. Das schlechte Image, das ihre Stadt jetzt hat, sei nun schwer wieder los zu werden, bedauert sie und kritisiert zugleich, dass der Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit nicht wahrgenommen werde. Propst Clemens Rehor pflichtet ihr bei: "Wir tun sehr viel in Chemnitz, aber wir sind nur 6.000 Katholiken unter 247.000 Einwohnern."
Auch mehrere Orden engagieren sich, etwa im Don Bosco Haus, wo Salesianer einen Treff für Kinder und Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen anbieten. Auch dorthin seien rechtsradikale Gedanken schon vorgedrungen, sagt die Sozialarbeiterin Katharina Schnabel. "Vier- bis Zehnjährige plappern unreflektiert die Sätze ihrer Eltern nach." Auf emotionaler Ebene versuchen die Betreuer, gegenzusteuern. "Am Beispiel von Menschen, die den Kindern bekannt sind, versuchen wir zu zeigen, was Fremdenfeindlichkeit bewirken kann."
Bei den 14- bis 18-Jährigen flaut das Interesse an Geschehnissen zunächst eher ab, bevor es nach Erfahrung der Sozialarbeiterin wieder wächst. Junge Menschen gingen dann zu Demonstrationen von Rechtsextremisten, weil sie mehr Sicherheit vom Staat erwarteten. "Wir versuchen dann, ihnen klar zu machen, wie sehr die Rechten manche Menschen ausgrenzen."
Wenn Empörung und Hassrede aus dem Internet auf die Straße kommen, können sich aber auch neue Chancen auftun, miteinander ins Gespräch zu kommen. Salesianerpater Albert Krottenthaler, der Leiter des Don Bosco Hauses, weiß, dass dies nicht immer einfach ist. "Auch uns Christen fehlt eine gute Gesprächskultur, und das Interesse am Gegenüber." Er wirbt dafür, klar die eigene Position zu vertreten, dem Gegenüber aber auch das Gleiche zuzugestehen.
Auch mit rechten Jugendlichen arbeiten
Dabei beruft er sich auf den Papst. "Franziskus spricht davon, an die Ränder zu gehen. Das heißt auch, mit rechten Jugendlichen zu arbeiten und ihre Sorgen zu hören", sagt Pater Albert. Zudem sollten Menschen nicht gleich in die rechte Ecke gestellt werden, wenn sie ihre Sorgen äußern. Der Ordensmann fordert deswegen mehr politische Bildung auf einem Niveau, das alle verstehen.
Auch Propst Rehor tritt für einen dauerhaften Dialog ein. Hass und Gewalt seien kein Nährboden, auf dem Frieden gedeihen könne. "Wir müssen die Menschen aber ausreden lassen, auch das Böse, denn schon das Reden ist heilend."
Sabine Geck, die Geschäftsführerin der Chemnitzer Caritas, sieht nicht nur die Kirche in der Verantwortung: "Wir haben alle eine Pflicht und müssen nicht erst aktiv werden, wenn etwas passiert ist." Vor allem die politische Mitte müsse wach werden und in Erscheinung treten. Der Salesianerpater und Gemeindeseelsorger Bernhard Kuhn sieht schon erste Hoffnungszeichen in Chemnitz: "Die Leute sind wacher geworden. Sie setzen sich aktuell mit Politik und dem Geschehen auseinander."