Kardinal Lehmann sprach vor seinem Tod über das Ringen mit Rom
Wie führt man die katholische Kirche in Deutschland eigentlich in "krisenhaften Zeiten"? Zu dieser Frage hat sich der vor einem halben Jahr verstorbene Kardinal Karl Lehmann im letzten Interview vor seinem Tod ausführlich geäußert. Jetzt erst wurden die Aussagen des langjährigen Mainzer Bischofs publik: Lehmann blickt dabei auf seine Rolle als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zurück - insbesondere in der Zeit des Ringens mit Rom um den Verbleib der katholischen Kirche im staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung. Ein Ringen, das Lehmann letztlich verlor.
Fast 20 Jahre nach dem Ende des Streits bilanzierte Lehmann im September 2017 dennoch: "Der Kampf hat sich gelohnt." Dabei war er sich immer bewusst, dass seine Haltung - er plädierte für einen Verbleib der Kirche im staatlichen Beratungssystem - angreifbar war: "Mir war immer klar, dass wir verlieren können. Aber ich hätte nie hingeschmissen. Denn: Wir beraten die Frauen auf alle Fälle weiter - in welcher Form auch immer."
Neuordnung im Sinne des Papstes
Das Gespräch mit Lehmann führte der stellvertretende Pressesprecher des Bistums Mainz, Alexander Matschak, am 11. September 2017 im Haus des Kardinals. Wenige Tage danach wurde Lehmann ins Krankenhaus eingeliefert. Von den Folgen eines Schlaganfalls und einer Hirnblutung erholte er sich nicht mehr und starb am 11. März 2018 im Alter von 81 Jahren. Die bisher unveröffentlichten Lehmann-Zitate wurden nun in einem Beitrag auf der Internetseite der katholischen Journalistenschule ifp publiziert.
Im Januar 1998 hatte Papst Johannes Paul II. den katholischen deutschen Bischöfen den Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung nahegelegt. Der Beratungsschein, Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung, verdunkle das Zeugnis für den Lebensschutz, argumentierte er. Lehmann kämpfte für den Verbleib im System. Am 23. November 1999 gab die Deutsche Bischofskonferenz nach knapp zwei Jahren mit heftigen Diskussionen schließlich bekannt, die Beratung werde "im Sinne der Weisung des Papstes" neu geordnet.
Lehmann sagte in dem Interview wenige Monate vor seinem Tod, der Kern des Konfliktes sei "in Rom sehr schwer zu vermitteln" gewesen: Dass also Abtreibung in Deutschland zwar verboten ist, aber bei entsprechender Beratung straffrei bleibt. Doch der Mainzer Bischof argumentierte, die Kirche dürfe nicht die größtmögliche Nähe zu den Frauen aufgeben, die in einer schweren Konfliktsituation Hilfe nötig hätten.
Lehmann wollte dabei in seiner Haltung unmissverständlich sein. Rückblickend betonte er im September 2017: "Von einem Bischof erwartet man einen klaren und begründeten Standpunkt, der nicht mit Sturheit, sondern mit Offenheit verbunden ist." Und er fügte hinzu: "Ausweichen ist eine törichte Haltung. Denn wenn man Entscheidungen ausweicht oder verzögert, kann man sündigen. Dadurch gehen Chancen verloren, die nicht wiederkommen. Oder man wird als jemand abgeschrieben, mit dem das Gespräch nicht lohnt." Erstaunt zeigte sich Lehmann darüber, dass Papst Johannes Paul II. ihn immer wieder angehört habe. "Dafür habe ich ihn bewundert. Dass er nie sagte, das will ich nicht mehr hören."
"Ich war selbst mitten im Feuer"
Lehmann betonte, er habe immer wieder mit sich selbst gerungen und eher weniger auf Berater von außen gesetzt: "Ich war selbst mitten im Feuer. Da musste ich für mich selber immer wieder formulieren: Wie weit können wir gehen? Was können wir noch machen? Wo können wir Hilfe holen? Und es war so: Von unseren Leuten haben sich nicht gerne viele exponiert."
Lehmann war mehr als zwei Jahrzehnte lang eine der prägenden Gestalten der katholischen Kirche in Deutschland. Dabei habe er sich aber nicht unbedingt selbst in den Vordergrund gedrängt, berichtete er in seinem letzten Interview: "Nach meiner Erfahrung ist meine Autorität durch die Anforderungen, die von außen an mich herangetragen wurden, gekommen - hauptsächlich durch die Presse. Bei vielen Dingen, bei denen ich um eine Stellungnahme gebeten wurde, hätte ich sagen müssen: Da bin ich gar nicht befugt." Deshalb habe er sich einfach die Fähigkeit erworben, fundierte Antworten zu geben.