Ein No-deal-Brexit träfe viele Katholiken aus der EU hart
Das britische Parlament hat den von Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag abgelehnt, mit 432 zu 202 Stimmen fiel der Entwurf klar durch. Auch etwa ein Drittel aller Abgeordneten aus Mays eigener Partei stimmten gegen das Papier. Kurz nach der Abstimmung beantragte die Opposition einen Misstrauensantrag gegen die Regierungschefin und sammelt Unterschriften für eine Neuwahl. Es wird immer wahrscheinlicher, dass es am 29. März zu einem "No Deal Brexit" kommt und Großbritannien aus Sicht der EU ein Drittland wird wie viele andere, ohne einen besonderen Vertrag. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals bereiten sich deshalb Beamte darauf vor, Pässe zu kontrollieren und Zölle zu erheben. Doch nicht nur Waren aus Europa werden im Vereinigten Königreich dann bald strenger kontrolliert: Auch Menschen aus der EU müssen sich eigens registrieren lassen.
Die 3,7 Millionen EU-Bürger in Großbritannien kommen vor allem aus katholisch geprägten Ländern – alleine eine Millionen Polen gehören dazu. "In pastoraler Hinsicht besorgt uns das besonders", sagt der in der Englischen Bischofskonferenz für Migrations- und Asylfragen zuständige Bischof Paul McAleenan dem britischen "Guardian". "Denn der Brexit bedeutet für viele Unsicherheit und Ungewissheit für die Zukunft." Die katholische Kirche ruft ihre Mitglieder deshalb auf, sich registrieren zu lassen. Denn das ist für jeden EU-Bürger Pflicht, der nach dem Brexit weiter im Vereinigten Königreich leben will. Das Verfahren dazu ist allerdings umstritten. McAleenan nennt es sogar "ungerecht und spaltend": "Menschen, die seit Jahren zu unserer Gesellschaft beigetragen haben, müssen jetzt eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen."
Kritik übt der Weihbischof von Westminster auch an den seiner Meinung nach ungerechtfertigt hohen Gebühren. Umgerechnet 73 Euro kostet es für einen Erwachsenen, sich im "government settlement scheme" registrieren zu lassen, um in Großbritannien wohnen bleiben zu dürfen. Obwohl die katholische Kirche gegen die Prozedur ist, hat sie Priester, Schulen und Verbände angemahnt, ihre Mitglieder an die Registrierung zu erinnern: "Es ist notwendig, dass die Menschen die Möglichkeit bekommen, legal im Land zu bleiben", sagt McAlennan.
Kritik: Kirche wird zum Steuereintreiber
Doch auch der Aufruf der Kirche bleibt nicht ohne Kritik. Der katholische Publizist Clifford Longley fordert, dass die Kirche das Registrierungsverfahren nicht unterstützt, "damit es sich als undurchführbar erweist", schreibt er in der katholischen Zeitung "The Tablet". "Die Kirche sollte zumindest fordern, dass die Gebühren gestrichen werden. Sonst macht sie sich zum Steuereintreiber."
Doch auch die Kirche ist nicht zufrieden, denn sie wartet noch auf Geld: Eigentlich hat die britische Regierung Organisationen, die EU-Bürgern bei der Registrierung helfen, finanzielle Unterstützung angeboten – umgerechnet über zehn Millionen Euro. Von diesen Mitteln hat die katholische Kirche aber noch nichts gesehen, sagt Paul McAleenan. "Ich habe noch von keiner katholischen Organisation gehört, die Geld bekommen hat."
Ein großes Thema ist der Brexit auch bei den Kirchen in Irland und Nordirland. Denn nach einem Austritt Großbritanniens wird die EU-Grenze mitten durch die Insel führen. Mitglieder der katholischen Kirche und des ökumenischen Irischen Kirchenrats haben dazu im vergangenen September ein gemeinsames Dokument verfasst. Darin schreibt Kenneth Milne, der sich beim Irischen Kirchenrat mit den europäischen Beziehungen befasst, dass sich die Kirchen weiter für eine enge Zusammenarbeit einsetzen wollen: Zwar werde die Landesgrenze auf die Kirchen in Nordirland einen großen Einfluss haben. Er betont aber: "Nachdem sich die Kirchen schon vor 100 Jahren daran angepasst haben, dass es auf der irischen Insel zwei Verwaltungen gibt, sollten wir den zuversichtlich sein, alle anstehenden Belastungen zu überwinden." Als Teil der Zivilgesellschaft müssten die Kirchen ihren Mitgliedern in einer längeren Zeit voller Schwierigkeiten helfen. Um das leisten zu können, müssten sie ihre Kontakte zu den europäischen Institutionen aufrechterhalten.
Angst vor neuer Gewalt
Gleichzeitig gibt es Angst vor Gewalt. Die Diözese des irischen Bischofs Noel Treanor, Down and Connor, liegt in der Nähe der inneririschen Grenze. Die europäische Einigung habe erst dafür gesorgt, dass die Konflikte auf der Insel überwunden werden und "Frieden, Versöhnung und Fortschritt einziehen" konnten, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur im Oktober 2018. Mit dem Brexit könnte diese Versöhnung gefährdet werden: "Noch vor 20 Jahren hatten wir an den Grenzen die britische Armee, befestigte Checkpoints, Polizeifahrzeuge. Sobald wir hier wieder Grenzen mit einer Art Infrastruktur bekommen, wird das leider fast sicher irgendwelche gewaltsamen Reaktionen hervorrufen."
Auch in sozialer Hinsicht sorgt der Brexit nach Meinung führender Kirchenvertreter für Probleme: Denn 4000 Beamte, die eigentlich in den Bereichen Bildung, Justiz und Soziales arbeiten, wurden abgezogen, um den Brexit zu organisieren. Das spüren vor allem die Bedürftigen in der Gesellschaft, deren Zahl in Großbritannien auf ein neues Hoch gestiegen ist. Der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, beklagte vergangenen Freitag vor dem Oberhaus, dass der Brexit vor allem die Ärmsten der Gesellschaft treffen würde. Ein Austritt ohne Abkommen wäre nicht nur ein politisches, sondern auch ein moralisches Versagen. Er bete für alle Politiker, dass sie Weisheit, Mut und Stärke für ihre schwere Aufgabe erlangten. Er rief die britische Gesellschaft zur Versöhnung zwischen "Leave"- und "Remain"-Anhängern auf. Der Hass, der in den vergangenen Jahren aufgekommen sei, müsse abklingen. Seit dem Brexit-Referendum haben rassistische Angriffe im Land zugenommen.