Wie Pfarrgemeinden sich verändern (müssen)
Jahrhundertelang war die Pfarrei eine – auch kirchenrechtlich – klar definierte und einfache Größe: Vor allem zeichnete sie sich durch eine zentrale Kirche und einen Pfarrer aus. In den 1970er Jahren, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-195) und dem Aufruf der Laien zum verstärkten Engagement, wurde aber mehr aus diesem recht eindimensionalen Konstrukt. Gemeinden entwickelten ein Selbstverständnis, zu "unserem" Pfarrer und "unserer" Kirche kamen eigene Chöre, die Messdiener- und KjG-Gruppe sowie Seniorenkreise und vieles mehr. Das alles war Teil der "Pfarrfamilie", in der Gläubige über Jahrzehnte christlich sozialisiert wurden. Doch vielerorts steht dieses Konzept heute vor dem Aus.
Denn aus der ehemals übersichtlichen Pfarrgemeinde sind inzwischen oftmals immer größere Gebilde geworden: Erst jüngst gab das Erzbistum Freiburg eine Arbeitshilfe heraus, laut der aus den bisher 224 Pfarreiverbünden in Zukunft 40 Verwaltungszentren werden sollen. Ähnlich im Bistum Trier: Trotz Protesten soll es dort ab 2020 statt 900 Pfarreien nur noch 35 Großpfarreien geben. In einigen Diözesen wie Aachen läuft die Planungsphase für Umstrukturierungen, andere – wie etwa das Bistum Essen – haben den Schritt vor allem aus finanziellen Gründen schon vor vielen Jahren vollzogen.
Mehr Zusammenarbeit mit weniger Personal
Das Ziel ist überall das gleiche: Gemeinden sollen stärker zusammenarbeiten und dadurch mit weniger hauptamtlichem Personal – vor allem Priestern – auskommen. Aber Personaletats sind nicht alles. Denn auch die Natur der Pfarreien soll sich grundlegend verändern. "Es geht um den Abschied vom Modell einer vorwiegend von Hauptberuflichen getragenen und verantworteten Kirche, das einer Versorgungs- und Mitmachlogik folgt, und um die Entwicklung einer 'Pastoral der Ermöglichung', die auf die Selbstführung und Selbstorganisation derer, die sich engagieren, ausgerichtet ist", heißt es etwa in einer Broschüre der Freiburger Erzdiözese. Zum Schicksal der bisher gewohnten Pfarrei heißt es unmissverständlich: "Die pastorale Planung, die vorrangig an einer flächendeckenden, möglichst identisch gestalteten und zentral gesteuerten Entwicklung orientiert ist, wird nicht in der bisherigen Form fortgeführt."
Nicht mehr die Hauptamtlichen sollen in Zukunft diejenigen sein, die Jugendtreffs und Familienkreise leiten. Sie werden eher zu einer Art Koordinations- und Delegierungsstelle und sollen Aktivitäten vor Ort unterstützen, die dann aber von Anderen umgesetzt werden. Die Pfarrei wird ein Raum, in dem sich die Zahl der Aktivitäten nach den Wünschen der Gläubigen und den Ressourcen richtet. Es geht nicht mehr darum, alles überall anzubieten.
Dominik Meiering arbeitet gerade daran, ein neues Gemeindebild im Erzbistum Köln, genauer in der Kölner Innenstadt umzusetzen. Der ehemalige Generalvikar koordiniert seit vergangenem Herbst den "Sendungsraum Köln-Mitte" und ist zugleich leitender Pfarrer in vier der sechs Seelsorgebereiche in Köln-Mitte. 26 Kirchen gehören zu diesem Gebiet. Die Neuorientierung soll schon am Namen deutlich werden, für den sich Kölns Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, entschieden hat: Im "Sendungsraum" soll es nicht mehr nur darum gehen, ein Angebot für die bestehenden Gemeindemitglieder zu machen, sondern auch veränderte Lebensbedingungen und die Bedürfnisse der Stadtgesellschaft zu berücksichtigen. Denn viele können mit den bisherigen Strukturen nicht viel anfangen.
Jede Kirche soll ihr eigenes Profil bekommen
Auf diese veränderte Lage soll der neue "Sendungsraum" eingehen: Meierings Ziel ist es, jeder Kirche ein Profil zu geben, das schnell identifizierbar ist. "Wir können in der Kölner Innenstadt nicht 26 Mal dasselbe machen", sagt er. "Also überlegen wir mit Hauptamtlichen und Ehrenamtlich derzeit: Wer hat Lust, an dieser Stelle etwas Neues mitzudenken." Dabei sind die Gemeinden im Sendungsraum sehr unterschiedlich: So hat etwa die Kirche St. Maria in der Kupfergasse einen überregionalen Ruf als Wallfahrtsort, während die Kunststation Sankt Peter mit ihrer Mischung aus Gottesdiensten und Kulturveranstaltungen vor allem Kunstinteressierte anzieht. Beide Kirchen werden nicht in erster Linie von den Anwohnern des Viertels besucht. Stattdessen kommen Gläubige ganz gezielt auch von weiter her. Daneben funktionieren andere Gemeinden wie St. Agnes oder St. Severin als klassische Stadtgemeinden mit einem Vollprogramm. In wiederum anderen ist das kirchliche Leben eingeschlafen.
In einem langen Prozess sollen für jede Kirche eine Bestimmung und gleichzeitig Möglichkeiten für Kooperationen der Gemeinden untereinander gefunden werden. Dazu wurden in der Vergangenheit schon in unterschiedlichen Formaten und aus verschiedenen Gremien Ideen gesammelt, die zusammengefasst und bei einem Konvent am 30. März diskutiert werden sollen. Die zahlreichen Ideen der Gläubigen sind sehr vielfältig: So gibt es Synergievorschlägen wie eine gemeinsame Reinigungsfirma oder einen zentralen Computerserver. Meiering geht es aber auch um neue Wege des Kirche-seins. Auch dazu gibt es Vorschläge, etwa Kirchenführungen als niederschwelliges Angebot für Außenstehende oder eine eigene Gottesdienstgemeinde für Suchende. Eine Kirche könnte außerdem zu einem geistlichen Zentrum der karitativen Arbeit ausgebaut werden.
Bestimmungssuche und Zusammenlegung
Weitere Überlegungen gibt es im Hinblick auf die Zusammenlegung von Chören oder Verwaltungsteams – dieser Orientierungsprozess steht aber noch am Anfang, auch im Hinblick auf Immobilien: Das Kirchennetz in der Kölner Innenstadt ist sehr eng, zwischen manchen Gotteshäusern liegen nur ein paar hundert Meter. Ob künftig noch jedes Pfarrzentrum und jede Kirche erhalten bleibt, scheint auf lange Sicht fragwürdig. "An diesem Punkt sind wir aber jetzt nicht", sagt Meiering. "Gerade bringen wir erst einmal Leuchtturmprojekte auf den Weg, um zu zeigen, dass Kirche in der Stadt präsent und relevant ist."
Dass es beim neuen Gemeindeverständnis mehr auf Bedürfnisse und Ressourcen ankommt statt auf Wohnortnähe, sorgt besonders bei Gemeinden ohne prestigeträchtige "Leuchttürme" für Sorgen: Verlustängste und Trauer um verschwindende volkskirchliche Strukturen bestimmen an vielen Stellen das Bild. Meiering verspricht aber, dass es für diese Fragen einen gemeinsamen Weg von Verantwortlichen und Gemeindemitgliedern geben soll. Auch eine Fusion der Pfarreien sei nicht geplant – das betont auch das Erzbistum immer wieder. Doch die Struktur des Sendungsraumes spricht aktuell eine andere Sprache: Neben Meiering als leitendem Pfarrer gibt es in seinen Seelsorgebereichen keine Pfarrer mehr, sondern nur noch Pfarrvikare sowie momentan noch ausreichend weitere Seelsorger. Wie lange das aber so bleibt, ist fraglich. Kritiker sagen, dass das Bistum mit der Einrichtung der Sendungsräume sehr wohl schon eine Strukturentscheidung getroffen habe. Meiering betont: "Der Sendungsraum ist etwas, was sich entwickeln muss. Wir haben jetzt eine Zeit der Orientierung und der Suche im Hinblick auf das, wie wir mit den Menschen über unseren Glauben ins Gespräch kommen." Was als nächstes komme, hänge auch sehr von Grundsatzentscheidungen im Bistum ab. Neben pastoralen Schwerpunktsetzungen sei hier auch die Frage nach den Personal- und Finanzressourcen zu betrachten.
In welche Richtung sich große Gemeinden entwickeln, hängt aber auch von ihrer Lage ab. Das zeigt im Kölner Erzbistum etwa der Vergleich mit einem anderen Sendungsraum – der "Katholischen Kirche Grevenbroich und Rommerskirchen" am Niederrhein. Dort sollen auch aufgrund längerer Wege weiterhin die gewohnten "Pfarrfamilien" das Kirchenbild prägen.
Andere Lösungen für Stadt und Land
Der Unterschied zwischen städtisch und ländlich geprägten Regionen sowie unterschiedlichen Graden der christlichen Sozialisierung zeigt sich auch beim Blick verschiedener Bistümer auf die Pfarrei: Wie sich etwa die Diözesen Freiburg und Trier von der bisherigen Pfarreiform verabschieden, will das Bistum Eichstätt zwar mehr Zusammenarbeit in größeren Pfarrverbänden, die traditionelle Pfarrei wird aber erstmal nicht angetastet. Im von einer katholischen Bevölkerungsmehrheit bestimmten Bistum Augsburg sollen die bestehenden Gemeinden vom "Institut für Neuevangelisierung" unterstützt werden, um "nach Wegen zu suchen, wie Menschen wieder Freude am Glauben finden können", wie Institutsleiterin Schwester Theresia Mende kürzlich gegenüber katholisch.de sagte. Neben Urbanisierung und Volksfrömmigkeit sind die lokale religiöse Verankerung und das Brauchtumsgefälle zwischen dem Norden und Süden Deutschlands Elemente, die die Überlebensfähigkeit der "Pfarrfamilie" mitbestimmen und dadurch zu unterschiedlichen Ausprägungen von Pfarreireformen führen.
Was für viele Gläubige vor Ort bleibt, ist unabhängig vom diözesanen Leitbild der Gemeindereform der Verlust einer liebgewonnenen wohnortnahen Kirchenstruktur. Es müsse Verständnis für die Menschen da sein, die diesen Verlust betrauern, sagt Dominik Meiering. Er ist aber zuversichtlich, dass der Glaube durch neue Ansätze auch in Zukunft erlebbar bleibt.