Einmal im Monat zum Messwochenende
Um das Jahr 1900 lebte auf den Färöern eine einzige Katholikin. Einmal im Jahr bekam sie Besuch von einem Pfarrer aus Stockholm, der mit ihr in ihrer eigenen Kapelle die Heilige Messe feierte. Heutzutage befindet sich in Nordeuropa die flächenmäßig größte katholische Pfarrei der Welt: Die Gemeinde Christ König in Nuuk erstreckt sich über ganz Grönland – und hat gerade einmal 300 Mitglieder. Auch, wenn die Verhältnisse nicht überall so drastisch sind: Als Katholik ist man im früher lutherisch und heute sehr säkular geprägten Nordeuropa oft allein. Von den 26 Millionen Menschen in Norwegen, Schweden, Dänemark, Island und Finnland sind gerade einmal 330.000 als Katholiken registriert. Ihr Bevölkerungsanteil reicht von 0,2 Prozent in Finnland bis 3,3 Prozent in Island.
Vor allem im dünn besiedelten Norden Norwegens, Schwedens und Finnlands bedeutet das für Priester wie Gläubige lange Wege zur Sonntagsmesse, also bis zu fünf Stunden Autofahrt. An einer ganzen Schule ist dort oft nur ein einziges Kind katholisch. Die so vereinzelten Katholiken drohen, sich durch mangelnden Kontakt mit ihrer Kirche vom Glauben zu entfernen.
Wiederum anders ist die Situation in den städtisch geprägten südlichen Teilen Nordeuropas: Dort herrscht in den Kirchen sonntags Hochbetrieb: "Wenn man in Oslo sonntags an der Domkirche vorbeikommt, stehen bei Gottesdiensten teilweise die Leute vor der Kirche und knien bei der Wandlung vor der Tür", sagt Schwester Anna Mirijam Kaschner, die als Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz in allen fünf Ländern unterwegs ist. Im Dom ist sonntags von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends jede Stunde Messe – und zwar in den unterschiedlichsten Sprachen. Denn die katholische Kirche Nordeuropas ist eine Einwandererkirche. Ihre Mitglieder kommen aus über 80 Nationen, vor allem aus Polen und vom Balkan, aber auch aus Lateinamerika, Afrika oder durch die jüngsten Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten.
Integration als große Aufgabe
Dadurch sieht sich die katholische Kirche auch mit einer Integrationsaufgabe konfrontiert: Sie versucht, durch den gemeinsamen Glauben dafür zu sorgen, dass die Katholiken aus den unterschiedlichen Ländern in ihrer neuen Heimat ankommen. Nicht immer ein erfolgreiches Unterfangen. "Das hängt sehr vom Priester ab", sagt der Stockholmer Bischof, Kardinal Anders Arborelius, im Gespräch mit katholisch.de. "Wenn er die Offenheit für alle hat, kann es ein sehr schönes und buntes Gemeindeleben werden. Es kann aber auch zu kulturellen Konflikten zwischen den Gläubigen kommen."
Die entzünden sich oft an fehlenden Sprachkenntnissen – bei Gläubigen wie Priestern. Doch auch die Mentalitäten sind unterschiedlich: Ob in der Kirche als Marienbildnis die Schwarze Madonna von Tschenstochau oder die Jungfrau von Guadalupe ausgestellt wird, ob im Gemeindeleben der Kirchenkaffee oder die eucharistische Anbetung im Mittelpunkt stehen soll, kann Gemeinden auseinanderdividieren. Die Kirche versucht, mit Sprachkursen und einer gemeinsamen katholischen Identität diese Grenzen zu überwinden.
Diese Integrationsbemühungen der Kirche werden in Norwegen auch vom Staat gewürdigt und gefördert – eine Seltenheit. Denn normalerweise spielt der Katholizismus – wie der Glaube im Allgemeinen – in den nordischen Gesellschaften keine Rolle. Die fünf Länder waren jahrhundertelang von protestantischen Staatskirchen geprägt. Seitdem sie in den meisten Ländern jedoch ihren offiziellen Status verloren haben, sinken die Mitgliederzahlen rapide – auch, weil sie lange Jahre als Handlanger des Staates gesehen. Und so ist Nordeuropa heute eine weitaus säkularere Region als etwa der Süden oder auch der Westen des Kontinents. Wenn es nicht gerade um Missbrauch, Abtreibung oder die Ehe für homosexuelle Paare geht, wird die Kirche kaum wahrgenommen.
Große Bedeutung der Eucharistie
In diesem Umfeld hat sich das katholische Gemeindeleben anders entwickelt, als man es etwa von Deutschland gewohnt ist: Denn die Gläubigen nehmen Liturgie und Eucharistie mit einer anderen Frömmigkeit wahr als anderswo – so ist etwa die Mundkommunion eher die Regel als der Einzelfall. Auf Ausländer macht das oft einen sehr konservativen Eindruck, weiß die Gebürtige Deutsche Anna Mirijam Kaschner. Doch sie sieht den Grund anderswo: "Durch die langen Wege ist die Eucharistie für uns nicht so selbstverständlich. Wir müssen mehr darum kämpfen, überhaupt einen Priester und eine Messe zu organisieren."
Dementsprechend richtet sich auch das Gemeindeleben mehr an der Messe aus. In den nördlichen Regionen verbinden Katholiken den Messbesuch oft mit einem Wochenendtrip: Freitagsabends reisen sie am Kirchort an, übernachten bei Mitkatholiken und nehmen samstags am Gemeindeleben Teil, etwa in Form von Bibelstunden oder Ehevorbereitungskursen. An den Gottesdienst am Sonntagmorgen schließt sich der Kirchenkaffe an. "Wir nennen das unser ‚achtes Sakrament‘", sagt Kaschner. Was sich an Gemeindeleben in Deutschland etwa auf die ganze Woche verteilt, findet dort konzentriert am Wochenende statt: Gespräche, Austausch und das Erleben von Gemeinschaft. Bei den langen Wegen ist dafür aber oft nur einmal im Monat Platz. Um die Zeit dazwischen zu überbrücken, bieten viele Diözesen mittlerweile Internet-Gottesdienste an und veröffentlichen Hirtenbriefe der Bischöfe als Video – damit die Katholiken den Kontakt zur Kirche nicht verlieren.
Wo es keine katholische Kirche gibt, hilf die Ökumene: Allein in Schweden haben sich katholische Gemeinden in 120 evangelische Kirchen eingemietet, um dort Gottesdienst zu feiern. So können auch die zur Messe kommen, die sich die lange Anfahrt nicht leisten können. Dafür fahren manche Priester zum Teil zwischen 100.000 und 150.000 Kilometer im Jahr. Hin und wieder wird auch eine evangelische Kirche gekauft – denn im Gegensatz zu den Lutheranern wächst die katholische Gemeinschaft.
Angriffe von rechts
Doch nicht alle sind den Katholiken wohlgesonnen: Obwohl die Integration voranschreitet, gilt die katholische Kirche weiter in erster Linie als Migrantenkirche – was sie Angriffen von Rechtspopulisten aussetzt, die auch in Nordeuropa erstarken. Anders Arborelius weiß von mehreren Fällen, in denen etwa öffentliche Marienstatuen Vandalismus ausgesetzt waren, eine wurde sogar geköpft. Von muslimischer Seite gibt es solche Angriffe hingegen nicht: An einer Marienstatue in einem muslimischen Viertel Malmös treffen sich Christen wie Muslime zum Gebet.
Trotz des großen Säkularismus in der Region sieht der schwedische Kardinal ein erstarkendes Interesse an Religion: "Viele Menschen sind auf der Suche und es gibt mehr Offenheit für Gott als früher." Eine Aufgabe für die kleine, durch stetige Zuzüge im Wachstum begriffene katholische Kirche im hohen Norden, sagt er: "Wir müssen das Salz in einer andersgläubigen Gesellschaft sein. Das sollten wir nicht nur negativ sehen, sondern als Möglichkeit, um den Glauben auch als kleine Gemeinschaft zu verbreiten."