Das Marienbild in Luthers Arbeitszimmer
Marienverehrung gilt als typisch katholisch. Protestanten, so die verbreitete Meinung, halten nicht viel von der Gottesmutter, weil sie den Blick auf Christus verstellt. Eine aktuelle Ausstellung in der Lutherstadt Wittenberg bestätigt diese Auffassung und entkräftet sie zugleich auf manchmal frappierende Weise.
"Verehrt. Geliebt. Vergessen. Maria zwischen den Konfessionen" heißt die Schau, die im Ausstellungszentrum Augusteum neben dem weltbekannten Lutherhaus zu sehen ist. Ausgerichtet wird sie von der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Ein "weltweit einmaliges Projekt", wirbt Stiftungs-Direktor Stefan Rhein.
Nach seinen Angaben hat bislang keine Ausstellung das Verhältnis Martin Luthers (1483-1546) und anderer Reformatoren zur Marienfrömmigkeit auf diese Weise in den Blick genommen. Die Frage schien längst geklärt: Nachdrücklich wenden sich Protestanten seit Jahrhunderten dagegen, Maria zu einer Art Mit-Erlöserin zu erheben.
Die Geschichte ist nicht so einfach
Doch so einfach war die Geschichte ihrer Verehrung nicht, wie die Schau am Beispiel von 110 Schnitzplastiken, Tafelgemälden, Druckgrafiken und Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts belegt. Im Spätmittelalter hatte sich eine vielfältige Frömmigkeit um Maria entwickelt. So stellten Künstler sie als Himmelskönigin oder Schutzmantelmadonna dar, wie sie in der Ausstellung in Form von nur wenige Zentimeter großen Pilgerabzeichen bis zur Zwei-Meter-Statue zu sehen sind. "In dieser Fülle spiegelt sich die Intensität des Marienglaubens", erklärt Kuratorin Katja Schneider. Auch die Wittenberger Stadtkirche Sankt Marien ist bis heute ein Beleg dafür.
Die Reformation bedeutete keinen abrupten Bruch mit dieser Tradition. Wie sein Schutzherr, Kurfürst Friedrich der Weise, hielt auch Luther Maria zeitlebens hoch in Ehren. So machte er sie oft zum Thema von Ansprachen und Predigten. Zudem hatte er ein Marienbild in seinem Arbeitszimmer, so der Luther-Experte Rhein.
Allerdings deutete schon der Reformator die Gottesmutter teilweise neu, wie der zweite Teil der Ausstellung illustriert. So wandte er sich nachdrücklich gegen die Vorstellung, sie sei neben Christus eine weitere Heilsmittlerin zwischen Mensch und Gott. Für Luther blieb Maria jedoch ein Vorbild des Glaubens, weil sie die Rolle der Gottesmutter angenommen hatte. Er sprach von ihr als der "lieben und werten Magd".
Maria als Vorbild im Glauben
In Folge dieser neuen Sicht änderte sich auch die Darstellung Marias in der Kunst des Protestantismus. Ein krasses Beispiel ist ein Altarschrein im thüringischen Weißensee, auf dem Maria nachträglich mit Bart versehen und damit zu Jesus umgestaltet wurde, weil ihre Krönung unangemessen schien. Auch das Motiv der Schutzmantelmadonna wurde neu aufgegriffen: So entstand um 1540 in der Werkstatt von Lucas Cranach dem Jüngeren eine Federzeichnung, auf der es Jesus ist, der eine Gruppe von Menschen unter einem Mantel birgt.
Solche Vorbehalte der Reformatoren führten indes weit weniger als vermutet zu "Bilderstürmen", bei der traditionelle Mariendarstellungen zerstört wurden, betont Rhein. Viele von ihnen wurden nur weggesperrt und erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. Eine Installation in der Ausstellung soll einen Eindruck solcher "Götzenkammern" vermitteln.
In einer weiteren Ausstellung ist Maria ebenfalls Thema in der Lutherstadt. So präsentiert die Stiftung Christliche Kunst aus ihren Beständen moderne Mariendarstellungen "von Chagall bis Kollwitz".
Für Stefan Rhein haben die Projekte auch einen ökumenischen Aspekt. Sie zeigten an Maria, "was die Konfessionen verbindet", nachdem das Reformationsjubiläum 2017 auch den "Bruch gefeiert" habe, erklärt der Stiftungs-Direktor. Bei den Kirchen kam die Botschaft an: Die kürzlich verabschiedete Bschöfin Ilse Junkermann von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Bischof Gerhard Feige vom Bistum Magdeburg übernahmen zum Start die Schirmherrschaft für die Schau im Augusteum.