Vorbild für den Rücktritt?
Wie dem auch sei: Vor 700 Jahren, am 5. Mai 1313, wurde der Nachfolger Petri, den Benedikt XVI. so verehrt, heiliggesprochen: Cölestin V. (1209/1210-1296), der einzige Papst der vor Benedikt XVI. aus freien Stücken auf sein Amt verzichtete, ohne dass ein Konzil oder ein Schisma ihn dazu nötigte.
Kein Vergleich
Vor dem 11. Februar 2013 war der 1209 als elftes Kind einfacher Bauern in der süditalienischen Region Molise geborene Papst nur Insidern bekannt. Nach der Ankündigung des Rückzugs von Benedikt XVI. wurde er oft in einem Atemzug mit dem bayerischen Papst genannt. Doch wirklich vergleichbar sind beide Fälle nicht: Dort Peter von Morrone, ein einfacher Mann, der vor seiner Papstwahl am 5. Juli 1294 als Einsiedler in den Bergen nahe dem italienischen Sulmona lebte und die römische Kurie nur flüchtig kannte. Und hier Benedikt XVI., ein Theologe von Weltrang, der vor seiner Wahl mehr als 20 Jahre an der Spitze der vatikanischen Glaubenskongregation stand.
Auch die Wahlen könnten unterschiedlicher kaum sein: Nachdem sich die zerstrittenen Kardinäle 27 Monate nicht auf einen Kandidaten einigen konnten, brachte der König von Sizilien und Neapel, Karl II. von Anjou, 1294 schließlich Peter von Morrone ins Spiel - aus sehr eigennützigen Motiven. Andere Historiker sagen, die Kardinäle hätten mit einem kühnen Schachzug das Papsttum erneuern wollen. Gewählt wurde der italienische Eremit in jedem Fall gegen seinen Willen.
So alt wie Benedikt
Peter von Morrone war zum Zeitpunkt seiner Wahl 85 Jahre - so alt wie Benedikt XVI. bei seinem Rücktritt. Benedikt XVI. begründete seine Entscheidung mit seinen nachlassenden Kräften. Cölestin trat nach einhelligem Urteil der Historiker zurück, weil er schlichtweg überfordert war und dies auch erkannte.
Die Geschichte des Einsiedler-Pontifikates ist schnell erzählt: Der in Verwaltungsdingen unerfahrene Cölestin zeigte sich sehr schnell seinem Amt nicht gewachsen. Der später als «Engelspapst» verehrte Nachfolger Petri war von Anfang an eine Marionette Karls II. Dieser zwang ihn, in Neapel zu residieren; in der Rom herrschten derweil Chaos und Verwirrung. Nachdem ihm Kardinal Benedetto Caetani, berühmter Kirchenrechtler und nachmaliger Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) versicherte, dass sein Rücktritt kirchenrechtlich möglich sei, entschloss er sich zur Tat: Am 13. Dezember 1294 verlas er vor dem Kardinalskollegium seine Abdankungsformel.
Darf der das?
Darf ein Papst überhaupt zurücktreten? Anders als heute wurde diese Frage im Mittelalter auch schon vor dem Rücktritt Cölestins unter Gelehrten lebhaft diskutiert. Damals herrschte die Auffassung vor, dass man ein Amt nur niederlegen könne, wenn der, der es verliehen hat, zustimmt. Für einen Papst hieß das: mit göttlichem Einverständnis. Die Mehrheit der Kirchenrechtler argumentierte, dass der Willen Gottes allein durch den Mund des Papstes verkündet werden könne. Wenn der Papst seinen Rücktritt selbst verkünde, sei er gültig. Um alle Zweifel an seinem Tun auszuräumen, veröffentlichte Cölestin V. einen Erlass, der seinen Schritt ausdrücklich für zulässig erklärte.
Das unwürdige Schauspiel, das sich nach der Abdankung bot, hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Amtsverzicht eines Papstes für die folgenden 700 Jahre als kaum denkbar galt. Der äußerst machtbewusste Nachfolger Bonifaz VIII. nahm ihn gefangen und sperrte ihn im Turm von Castello Fumone ein. Eineinhalb Jahre nach seiner Abdankung, am 19. Mai 1296, starb er in Gefangenschaft.
Heiliggesprochen wurde Cölestin schließlich 1313 vor allem auf Drängen des französischen Königs Philipp IV. Der Monarch führte einen posthumen Rachefeldzug gegen Bonifaz VIII. Er wurde unter seinem bürgerlichen Namen Peter von Morrone zur Ehre der Altäre gehoben. So sollte kein Zweifel bleiben: Der Rücktritt war gültig.
Von Thomas Jansen (KNA)