Freispruch für Kardinal Barbarin in Missbrauchsprozess
Der französische Kardinal Philippe Barbarin ist am Donnerstag vom Berufungsgericht in Lyon vom Vorwurf der Nichtanzeige sexueller Übergriffe freigesprochen worden. Zu Prozessende hatte sich neben Barbarins Anwalt auch die Staatsanwaltschaft für einen Freispruch des 69-Jährigen ausgesprochen. Der Staatsanwalt begründete seine Entscheidung mit Zweifeln. Die Verurteilung des Kardinals wegen Nichtanzeige eines Priesters und mutmaßlichen Missbrauchtäters wäre seiner Meinung nach eine zu "weitreichende Auslegung" des Rechts gewesen. Der Erzbischof von Lyon war im März 2019 in erster Instanz schuldig gesprochen worden und zu sechs Monaten Bewährungsstrafe verurteilt worden.
Bereits 2016 war gegen Barbarin ermittelt worden, weil er Fälle sexuellen Missbrauchs durch den Priester Bernard Preynat nicht bei den staatlichen Behörden angezeigt habe. Damals stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach einigen Monaten ein; es habe keine Hinweise auf eine Straftat Barbarins gegeben. Dann folgte der zweite Prozess mit Schuldspruch Anfang 2019. Der Kardinal legte Berufung ein und bot dem Papst im März seinen Amtsverzicht an, den Franziskus jedoch nicht annahm. Da das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, gelte die Unschuldsvermutung. Barbarin nahm sich eine Auszeit; die Leitung des Erzbistums übertrug der Papst übergangsweise dem früheren Bischof von Evry-Corbeille-Essonnes, Michel Dubost (77).
Kommt doch ein Rücktritt?
Wie es mit Barbarin nun weitergeht, ist noch unklar. Eine Rückkehr als Leiter des Erzbistums scheint Beobachtern zumindest problematisch, auch nach einigen ungeschickten Äußerungen im Zuge der Prozesse. Denkbar wäre auch ein Einsatz für die bedrängten Christen im Orient, die dem 69-Jährigen besonders am Herzen liegen.
Französische Medien berichteten am Donnerstag via Twitter, Barbarin wolle Franziskus erneut seinen Rücktritt anbieten. Sobald der Papst ihn sehen wolle, werde er nach Rom reisen. Für die Erzdiözese Lyon sei es eine Gelegenheit, ein neues Kapitel zu beginnen, wird aus der Pressekonferenz des Kardinals zitiert.
Am Donnerstagabend gab der Vatikan bekannt, auf unmittelbare personelle Maßnahmen verzichten zu wollen. Papst Franziskus verfolge die "schmerzliche Angelegenheit" weiterhin aufmerksam und werde seine Entscheidung "zu gegebener Zeit" mitteilen, erklärte Vatikansprecher Matteo Bruni. Der Vatikan habe das Urteil und das Rücktrittsangebot Barbarins zur Kenntnis genommen. "Gemeinsam mit der Französischen Bischofskonferenz unterstreicht der Heilige Stuhl seine Nähe zu allen Missbrauchsopfern in ihrem Leid und zu ihren Familien und Gemeinden. Er steht an der Seite der hart geprüften Kirche von Lyon", erklärte Bruni.
Französische Bischöfe sichern Barbarin Unterstützung zu
Die Französische Bischofskonferenz hatte Barbarin Unterstützung und "brüderliche Gemeinschaft" in der neuen Lebensphase zugesichert. Zugleich dankte sie in einer in Paris veröffentlichten Erklärung (Donnerstag) den Missbrauchsopfern, die während des Prozesses ausgesagt hatten. Die Bischöfe bekräftigten ihre "Entschlossenheit", die "notwendige Arbeit" gegen sexuellen oder Machtmissbrauch in der Kirche fortzusetzen, damit sich nichts davon wiederhole.
Barbarin ist seit 2002 Erzbischof von Lyon. Damit trägt er zugleich den seit 1079 bestehenden historischen Ehrentitel "Primas von Gallien". 1998 wurde er zum Bischof von Moulins in Zentralfrankreich ernannt. Vier Jahre später wurde er als Nachfolger des verstorbenen Kardinals Louis-Marie Bille mit nur 51 Jahren Lyoner Erzbischof. Seit 2003 gehört Barbarin dem Kardinalskollegium an. 2012 sorgte er mit kritischen Äußerungen zum Adoptionsrecht für Homosexuelle sowie zur "Homo-Ehe" für eine Kontroverse. Barbarin nahm zudem 2013 an der Papstwahl von Franziskus teil. (tmg/mpl/KNA)
30.1., 14:45 Uhr: Ergänzt um weitere Details. 16:55 Uhr: Ergänzt um Statement der Bischofskonferenz. 18:20: Ergänzt um weitere Details und Statement Barbarins. 31.1., 10:35 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Vatikans.