Evangelische Kirche beginnt Missbrauchsstudien ab Oktober
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will ab Oktober mit übergreifenden Studien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche beginnen. Man sei gerade in Verhandlungen mit einem Forscherverbund, die bis zum Sommer abgeschlossen sein sollen, sagte die Sprecherin des Beauftragtenrats der EKD, Kirsten Fehrs, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem hätten sich die 20 Landeskirchen man sich auf gemeinsame Rahmenbedingungen für materielle Leistungen für Missbrauchsopfer geeinigt.
Nach den Plänen des Forschungsverbunds soll es vier oder fünf Studien zu einzelnen Aspekten geben, etwa zu Täterstrukturen oder zu den Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs auf die Biografie der Betroffenen. Außerdem soll es eine Metastudie geben, die sowohl bereits vorliegende Einzelstudien von Landeskirchen als auch die Teilstudien zusammenführt. Ziel der Studien ist eine institutionelle Aufarbeitung des Missbrauchs Schutzbefohlener. Sie sollen erhellen, durch welche Strukturen speziell im evangelischen Kontext Missbrauch begünstigt wird und in welchen Bereichen Risiken entstehen, etwa in der Kinder- und Jugendarbeit, bei den Pfadfindern und auf Jugendfreizeiten.
Binnen drei Jahren von Oktober an sollen die Studien abgeschlossen sein, sagte Fehrs, sofern man das heute planen könne. Denn das sei in wissenschaftlichen Zeithorizonten äußerst knapp bemessen. "Wir setzen immer die Gründlichkeit vor die Schnelligkeit", sagte die Hamburger Bischöfin. Die Studien sehen eine durchgängige Beteiligung Betroffener vor. Zwischenergebnisse sollen regelmäßig auch mit Betroffenen diskutiert werden, sagte Fehrs. Wenn es etwa um die Auswirkung des Missbrauchs auf die Biografie von Betroffenen gehe, sei das unerlässlich.
Kein fester Rahmen für materielle Leistungen für Betroffene
Bezüglich der materiellen Leistungen für Betroffene von Missbrauch ist die Evangelische Kirche weiter gegen pauschale Entschädigungszahlen. "Es bleibt bei der individuellen Aufarbeitung", sagte die Hamburger Bischöfin Fehrs. Individuelle Aufarbeitung bedeutet, dass nicht wie in der katholischen Kirche ein fester Rahmen für finanzielle Leistungen festgelegt wird, sondern dass bei jedem Betroffenen geschaut wird, welche Hilfe er benötigt. "Jedes Modell, das der pauschalen und der individuellen Leistung, hat seine Vor- und Nachteile", so Fehrs weiter.
In diesem Rahmen würden materielle Leistungen gemeinsam mit den Betroffenen festgelegt, erläuterte sie. So sei es in vielen Landeskirchen bisher geschehen. Es gebe unter den Landeskirchen jedoch eine erhebliche Bandbreite, was die Höhe der Anerkennungsleistungen angeht, die seit 2010 gezahlt wurden. Es werde für die materiellen Leistungen lediglich eine Plausibilitätsprüfung geben, sagte Fehrs. Dafür brauche es unabhängig arbeitende Kommissionen. Man habe sich aber mit bereits existierenden Kommissionen über mögliche Summen finanzieller Hilfeleistungen für Betroffene ausgetauscht, die sich an gesetzlichen Schmerzensgeldbemessungen orientieren. "Wir müssen diesen Teil der Aufarbeitung jetzt in den Landeskirchen synchronisieren", sagte Fehrs. Bis zur kommenden Synode im November wolle man da eine Einigung vorlegen.
"Wir möchten nicht, dass Menschen in eine Beweislast kommen. Entschädigung würde bedeuten, dass Betroffene ihr Leid beweisen müssten", sagte Fehrs. Das sei nicht nur belastend für Betroffene, sondern auch in vielen Fällen schwer nachvollziehbar, weil es ein Charakteristikum des erlittenen Traumas sei, dass man Tathergänge, die oft lange zurückliegen, nicht mehr detailliert beschreiben könne.
Einrichtung eines Betroffenenbeirats verzögert sich durch Pandemie
Fehrs teilte zudem mit, dass sich die Einrichtung eines EKD-weiten Betroffenenbeirates, der die Arbeit des Beauftragtenrats begleitet, verzögert. Ursprünglich war geplant gewesen, dass der Betroffenenbeirat, der aus zwölf Mitgliedern bestehen soll, seine Arbeit im Mai aufnimmt. Doch zum Ende der Bewerbungsfrist Ende Januar hätten noch nicht genügend Bewerbungen vorgelegen, die Frist sei daher auf Ende März verlängert worden.
Mittlerweile lägen genügend Bewerbungen vor, doch die Auswahl verzögere sich, weil wegen der Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie keine Auswahlgespräche stattfinden könnten. "Ein solch sensibles Thema sollte man nicht in einem Videocall klären. Diese Gespräche soweit irgend möglich müssen persönlich geführt werden", sagte Fehrs. Ziel ist, dass die Mitglieder des Betroffenenbeirats bis Ende Juli feststehen. (cst/epd)