Tempel der Heilkunst: Roms alte päpstliche Krankenhäuser
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Gegenüber der Bischofskirche des Papstes, San Giovanni in Laterano, liegt ein Krankenhaus. Ich hatte nie darauf geachtet. Die breite Fassade, die auf den Platz mit der Basilika schaut, ist alt, aber unspektakulär für römische Verhältnisse, hochliegende Fenster, geschlossenes Portal: ein leerstehendes Gebäude, dachte ich jedesmal im Vorbeifahren, wie schade, aber so ist es ja leider oft mit den baulichen Preziosen Roms. Erst als ich unlängst zum Corona-Test in eine Klinik namens San Giovanni bestellt wurde, fiel es mir auf: Zu diesem modernen Krankenhauskomplex gehört ganz oben auf dem Lateran-Platz auch der Palazzo mit der schlichten Barockfassade. Darin, in einem wohl 100 Meter langen Saal mit Gewölbedecken über zwei Stockwerke, Kruzifix an der einen und Fresko an der anderen Stirnseite, werden in diesen Wochen täglich Tausende auf Corona getestet. Genau der rechte Raum dazu.
Die Hinwendung zu den Schwachen als christliches "Programm"
Fast alles, was in Rom alt ist, aber jünger als das Kolosseum, hat mit den Päpsten zu tun. Für Krankenhäuser gilt das auch. Es ist so: Das Christentum fiel von Anfang an durch eine Hinwendung zu den Schwachen auf. In der Antike waren Arme und Kranke ihren Familien oder, in Ermangelung einer solchen, sich selbst überlassen. Im Christentum aber wurden Arme und Kranke auf einmal heilsrelevant. "Ich war krank und ihr habt mich besucht" oder "Selig die Armen" sind religionshistorisch einzigartige Ansagen. Dass diese Jesusworte "Fleisch" wurden, dafür waren in der frühen Kirche die Bischöfe zuständig: Ihnen war die Sorge für die Armen anvertraut. Erst später kamen hier auch die Orden und die Klöster ins Spiel. Zunächst aber war das Zentrum der Caritas das Haus des Bischofs im Gebäudekomplex der Bischofskirche. Womit wir im Lateran wären. Dort residierten die Päpste bis zum Exil in Avignon, das 1309 begann. Kurz nachdem sie weg waren, entstand am Lateran aus der informellen Armen- und Krankenfürsorge des vorübergehend emigrierten Bischofs von Rom ein christliches Hospital: San Giovanni Addolorata.
Bis heute reichen die Wurzeln überraschend vieler römischer Gesundheitseinrichtungen tief in die Geschichte hinab. Erste Station: Tiberinsel. Der Vorgängerbau des heute hier beheimateten Hospitals der Barmherzigen Brüder stammt noch aus der Antike. Als 293 vor Christus die Pest in Rom wütete, ließ der Senat dort einen Tempel für den griechischen Gott der Heilkunst Äskulap bauen, was die Erreger offenbar beeindruckte, jedenfalls kam die Seuche alsbald zum Erliegen. Im Mittelalter wurden Pest- und Leprakranke auf der Tiberinsel isoliert, um sie kümmerten sich Benediktinerinnen. "Lazarett" hießen solche Caritas-Einrichtungen, nach Lazarus, dem Freund von Jesus, der mit seinen schwärenden Wunden vor dem Haus des namenlosen Reichen lag und starb. Heute allerdings wird auf der Tiberinsel bevorzugt geboren: Im Schnitt zehn Babys pro Tag kommen hier zur Welt, das ist Rekord in Rom.
Unweit davon, in Trastevere, sitzt in einem Ex-Benediktinerkloster das Krankenhaus "Nuovo Regina Margherita". Dort wurde ich einmal zur Gesundenuntersuchung vorgeladen, was mir einen typischen Rom-Moment bescherte. Innerlich gefasst auf Linolfußboden, Schallschluck-Decken, herben Putzmittelgeruch und Enge, findet man sich in einem lichten Kreuzgang wieder, der, wie man fasziniert ergoogelt, aus der Mitte des 10. Jahrhunderts stammt. Das zugehörige Kloster war den Heiligen Kosmas und Damian geweiht. Zwillingsbrüder waren sie und frühchristliche Ärzte aus Syrien, und ihre Patienten behandelten sie aus reiner Nächstenliebe, also gratis. Welch würdiger Ort für ein lokales Gesundheitsamt in Rom 2021.
Das älteste veritable Krankenhaus der Stadt, ja in ganz Italien, ist Santo Spirito in Sassia zwischen Vatikan und Tiber. Als seine Väter können ein visionärer Ordensgründer und ein Papst mit Alpträumen gelten. Innozenz III., so weiß die Legende, sah im Schlaf Fischer, die in ihren Netzen ertränkte Neugeborene aus dem Tiber zogen. Der entsetzte Papst beschloss 1198, ein Institut für ungewollte Kinder zu gründen, aber auch für Obdachlose und Kranke. Dazu holte er aus Südfrankreich einen ausgewiesenen Fachmann für diese Form von Rundum-Caritas: Guido von Montpellier, Gründer des Heilig-Geist-Ordens. So entstand am Tiber am Ort des früheren Pilgerhospizes für Engländer ("Sachsen") das Institut Santo Spirito in Sassia, frei übersetzt: der Heilige Geist bei den Engländern.
Dass Kranke in einer eigens dafür geschaffenen Einrichtung behandelt wurden – und nicht von Privatärzten oder auf der Straße von Quacksalbern – war neu für das Hochmittelalter. Hospitäler gab es sonst nur für Fremde, meist Pilger oder Kreuzfahrer. Das "Santo Spirito" bot 300 Patienten Platz und versorgte bis zu 1.000 Bedürftige mit Essen, Kleidern und Medizin. Neugeborene konnten in einer Babyklappe abgegeben werden, die erhalten, aber nicht mehr in Betrieb ist. Die Kuren im Krankenhaus waren teils bahnbrechend, sogar eine Urform von Musiktherapie wurde Patienten im Santo Spirito zuteil. Guido von Montpellier pflegte eine ganzheitliche Auffassung von Medizin. Indem er Krankheiten an Körper, Geist und Seele heilte, wollte er mit seinem Werk das göttliche Ideal der universellen Nächstenliebe abbilden. Heute ist die Klinik spezialisiert auf Erste Hilfe, hier haben sie mir mal einen abgeschabten Fußknochen nach einem Roller-Unfall versorgt, auch kam unsere Tochter versehentlich im Santo Spirito zur Welt, weil auf der Tiberinsel kein Platz für sie war.
Das größte pädiatrische Krankenhaus Europas
Das einzige Krankenhaus, das heute noch dem Papst "gehört", zumindest auf dem Papier, ist die Kinderklinik Bambino Gesù. Sie ist im Vergleich jung, 19. Jahrhundert, liegt auf dem Nachbarhügel zum Vatikan und ist mit 600 Betten das angeblich größte pädiatrische Krankenhaus Europas. Kinder aus der ganzen Welt mit schweren oder seltenen Krankheiten finden hier Aufnahme, und in Notfällen landet der Hubschrauber auf dem Heliport im Vatikan, den Franziskus dafür freigegeben hat. Letztes Jahr trennten Ärzte am Bambino Gesù in einem 18-stündigen Eingriff ein am Kopf zusammengewachsenes siamesisches Zwillingspaar. Die Mädchen stammen aus der Zentralafrikanischen Republik, das päpstliche Krankenhaus holte sie mit ihrer Mutter in einer Hilfsmission nach Rom. Papst Franziskus taufte die glücklich getrennten Zwillinge, Ervina und Prefina, in einer Privatfeier. Römische Bischöfe, die für Arme und Kranke sorgen, sind eine alte Geschichte, die sich auch im 3. Jahrtausend fortschreibt.
Kolumne "Römische Notizen"
In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.