Schwester Dominika löst ihr Kloster auf
Vor 130 Jahren waren es vier Schwestern von der heiligen Elisabeth, die nach Halle an der Saale kamen, um sich hier um Alte und Kranke zu kümmern. In der Folge wuchs nicht nur ihre kleine Station zu einem großen Krankenhaus, auch der Kongregation traten mehr und mehr junge Frauen bei. Das machte in den 1920er Jahren einen Klosterneubau nötig. Von den zu Hochzeiten über 100 Schwestern, die hier wohnten und sich der Krankenpflege widmeten, sind heute nur noch 16 übrig – und einige von ihnen benötigen jetzt selbst Pflege. Deshalb hat sich die Gemeinschaft entschlossen, das Haus aufzugeben. Schwester M. Dominika Kinder, von 2003 bis 2021 Provinzoberin der Provinz Deutschland, verwaltet die Auflösung des Klosters, in das sie selbst einmal eingetreten ist, und erzählt im Interview mit katholisch.de, welche Aufgaben auf sie warten.
Frage: Schwester Dominika, um was müssen Sie sich kümmern, wenn Sie ein Kloster auflösen?
Kinder: Das hängt davon ab, ob und wie eine Nachnutzung geplant oder schon beschlossen ist. In Halle ist noch in keiner Weise klar, was aus dem Haus wird. Das ist auch nicht so einfach, weil das Gebäude innen und außen unter Denkmalschutz steht. Allein unsere neobarocke Klosterkapelle ist so groß wie eine Kirche. Um hier eine Nachnutzung zu ermöglichen, muss erst einmal richtig investiert werden. Bis sich da etwas ergibt, fällt erst einmal alles an, was so ein großes Haus ausmacht.
Frage: Können Sie Beispiele nennen?
Kinder: Wir haben hier einen Pflegebereich für unsere älteren Mitschwestern. Da geht es um das, was als Pflegematerial vorhanden ist: vom Rollstuhl bis zur angebrochenen Pflegemittelflasche. Das können wir ja nicht einfach stehen lassen. Früher haben hier sehr viele Schwestern gelebt. Das Kloster war außerdem Provinzhaus unserer Kongregation, das bedeutet, es kamen viele Schwestern für Exerzitien hierher. Wenn im großen Refektorium Zusammenkünfte stattfanden, brauchte es dafür eine Menge an Geschirr, Besteck und Tischdecken. Davon können wir nicht alles weiterverwenden. Dann kommt es darauf an, welche Gewerke noch von den Schwestern selbst ausgeübt wurden. Ob es noch eine tätige Küche und Waschküche im Kloster gibt. Selbst wenn die Reinigungsdienste – wie man heute sagt: outgesourct – sind, gibt es noch genug Gegenstände, für die man gucken muss, wo die noch hinkommen können. Früher hat man die Dinge in andere Häuser im eigenen Land verteilt. Das führte dazu, dass sich jetzt hier in Halle Dinge stapeln, die gar nicht für unser Kloster angeschafft, sondern aus kleineren Niederlassungen hergelangt sind.
Frage: Gibt es denn im Ausland Abnehmer für Klosterbetten?
Kinder: Unsere Betten und Matratzen, auch Schränke und weitere Möbel geben wir unseren Schwestern in Polen. Die Elisabeth-Schwestern dort betreiben Sozialeinrichtungen oder Altenheime. Deren Ausstattung ist 30 bis 40 Jahre älter als unsere, deshalb freuen sie sich, wenn sie unsere gebrauchten aber gut gepflegten Dinge übernehmen können. Oder sie wissen vor Ort notleidende Gemeinden. Man denkt immer, dass die Polen alle katholisch und gut ausgestattet sind, aber das stimmt nicht. Da gibt es viele arme Gemeinden. Die bekommen dann zum Beispiel Messgewänder von uns.
Frage: Messgewänder ist ein gutes Stichwort: Wie ist das mit der Ausstattung der Klosterkapelle?
Kinder: Monstranzen und Kelche geben wir in der Regel an unser Generalat in Rom oder in die Mission. Unsere Kongregation hat Niederlassungen in Russland, Brasilien und Afrika. Da wächst etwas Neues, die können das für die Einrichtung ihrer Kirchen gebrauchen. Für Messgewänder finden sich leichter Abnehmer als für Kirchenbänke. Das ist schon eine aufwendige Aufgabe. Man muss Beziehungen zu Leuten aufbauen, die sich dem Kloster verbunden fühlen. Denn je mehr davon wissen, desto größer ist die Chance, die Dinge unterzubringen.
Frage: Wie ist das mit Kunstwerken?
Kinder: Es ist für eine Ordensgemeinschaft wie unsere nicht immer einfach, solche Dinge abzugeben. Zum Teil gibt es in unseren Häusern noch alte Möbel oder Gemälde. Oft sind das Geschenke aus der Gründungszeit. Die sind nicht übertrieben kostbar, aber es sind ein paar schöne Sachen dabei. Als Ordensfrau will ich aber nicht in ein Antiquariat gehen und die verhökern müssen. Das versuchen wir anders zu klären. Wir suchen nach vertrauenswürdigen Partnern.
Frage: An wen geben Sie die Kunstwerke dann?
Kinder: Konkret hier in Halle haben wir das Kloster Marienstern bei Mühlberg als einen Abnehmer gefunden. Das ist ein schon im Zuge der Reformation aufgelöstes Zisterzienserinnenkloster, das seit dem Jahr 2000 von Claretinerpatres zu einer ökumenischen Begegnungsstätte aufgebaut wird. Da geben wir gerne Kunstwerke hin. Ansonsten sind es andere kirchliche Einrichtungen oder Altenheime, die sich eine Figur oder ein Bild für ihren Eingangsbereich oder ihre Kapelle wünschen.
Frage: Kommen auch Privatleute aus Halle auf Sie zu und wollen Sachen übernehmen? Das Kloster war immerhin 130 Jahre lang Teil der Stadt.
Kinder: Ja, aber da geht es um Kleinigkeiten. Es kommen auch Mitarbeiter aus dem Krankenhaus, die fragen, ob sie eine kleine Figur oder ein Bildchen bekommen können. Und ich werde auch noch einen kleinen Flohmarkt organisieren. Da geht dann mehr oder weniger alles weg und der Rest muss halt wirklich in den Container. Man versucht es auf allen Wegen, aber wenn es niemand haben will, soll es so sein.
Frage: Sie waren 18 Jahre lang Provinzoberin der Elisabeth-Schwestern. Wie viele Häuser haben Sie in dieser Zeit auflösen müssen?
Kinder: Als ich 2003 anfing, gab es in Deutschland 423 Schwestern. Jetzt haben wir noch 152. Damals habe ich 32 Niederlassungen übernommen. Und wenn wir Halle jetzt aufgelöst haben, haben wir noch sechs.
Frage: Sechs Klöster, das ist weniger als ein Viertel der Häuser – ein starker Rückgang.
Kinder: Ja, aber das ist ja nicht erst seit gestern so. Vor meinem Eintritt waren noch zehn bis 15 junge Frauen pro Jahr eingetreten. Ich war Ende der 1960er Jahre nur eine von zwei Novizinnen und die andere trat später wieder aus. Auch in den Jahren danach gab es immer nur eine Handvoll neuer Schwestern. Ich schätze, dass zu der Zeit meines Eintritts mehr als 1.000 unserer Schwestern in Deutschland gelebt haben. Schon damals kam die Oberin auf mich zu und sagte: "Das kann doch gar nicht sein. Was soll denn bloß werden, wenn niemand mehr eintritt?" Da habe ich zu ihr gesagt: "Wenn wir die letzten sein sollen, dann wollen wir wenigstens gute Elisabeth-Schwestern sein." Diesen Gedanken hatte ich als 19-jährige Novizin und er hat mich immer begleitet.
Frage: Wie ist es denn das Kloster, in das Sie damals eingetreten sind, aufzulösen?
Kinder: Es ist traurig, Klöster zu schließen. Aber ich bedauere mehr, dass immer weniger junge Leute diesen geistlichen Weg gehen möchten. Papst Benedikt XVI. hat die apostolisch-karitativen Orden einmal als "Projekte Gottes in dieser Welt" bezeichnet. Und ich denke, ein Projekt legt man auf, wenn ein dringendes Problem oder eine Not da ist und irgendwann ist es eben abgeschlossen. Unsere Gründerinnen sind angetreten, damit die Kranken nicht unversorgt in ihren Wohnungen liegen. Und das, so muss man wirklich sagen, haben sie erfolgreich erreicht.
Frage: Haben Sie noch Hoffnung für Ihre Kongregation?
Kinder: Natürlich werden wir weniger, aber unser Orden stirbt nicht aus. Wir werden kleiner, ohne Frage, aber – und das ist gerade für unsere älteren Schwestern wichtig – es geht weiter. Nicht hier in Halle, vielleicht noch nicht einmal mehr in Deutschland. Aber in unseren Klöstern in Russland, Brasilien und Afrika.
Frage: Wo gehen Ihre Mitschwestern von Halle aus hin?
Kinder: Ich habe meine Mitschwestern alle gefragt, wo sie nach Halle gerne hingehen möchten. Dabei habe ich immer wieder gehört: "Ach, wir haben doch mal gelobt, dass wir dahin gehen, wo wir hingeschickt werden. Sie werden schon das richtige für uns finden und da gehe ich auch hin." Die neue Provinzleitung hat die Wünsche der Schwestern alle mehr oder weniger erfüllt. Traurig dürfen sie natürlich sein. Es gibt bei uns noch einige Schwestern, die ihr ganzes Ordensleben, also 60 bis 70 Jahre, in Halle verbracht haben
Frage: Und was wird aus Ihnen?
Kinder: Im Sommer planen wir noch einen kleinen Abschied von den Krankenhaus-Mitarbeitern. Danach werde ich nach Magdeburg gehen, da haben wir ein Krankenhaus mit einem kleinen Konvent. Ich bin noch im Aufsichtsrat des Trägerverbundes für die Krankenhäuser und Vorsitzende unserer Stiftung. Ich habe also weiter zu tun.