Warum Abschiebungen nach Afghanistan unmenschlich sind
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"Nichts ist gut in Afghanistan", für diesen Satz in einer Neujahrspredigt musste sich Margot Käßmann vor elf Jahren ziemlich viel Kritik anhören. Heute wissen wir: Der internationale Militäreinsatz in Afghanistan hat das Land allenfalls stabilisiert, gut ist die Situation noch lange nicht. Seit dem 1. Mai ziehen die Nato-Truppen ab und die Gefahr besteht, dass das Land völlig im Chaos versinkt. Davor hat gestern das Hilfswerk Misereor eindringlich gewarnt. Ein Bürgerkrieg droht, die radikalen Taliban gewinnen wieder die Oberhand. Was das für die Rechte von Frauen bedeutet, mag man sich nicht ausmalen. Afghanistan ist bettelarm, die Menschen leiden Hunger, und die Corona-Pandemie hat die Not noch einmal verschärft. Gesundheit ist ein Luxusgut. Nichts ist gut. Und nichts wird besser, wenn im Herbst die letzten internationalen Soldaten Afghanistan verlassen haben.
Das muss Folgen haben für unsere Politik. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen einer kritischen Revision unterzogen worden. Einen "failed state", ein Land am Abgrund zu hinterlassen, kann ja kaum das Ziel einer militärischen Strategie sein. "Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan", sagte Margot Käßmann damals in ihrer Predigt. Sie hatte recht.
Trotz der humanitären und politischen Katastrophe, auf die Afghanistan zusteuert, halten deutsche Behörden immer noch daran fest, "ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige" in ihr Heimatland abzuschieben, wenn sie nicht freiwillig aus Deutschland ausreisen. Ein für Dienstag angesetzter Rückführungsflug wurde aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt, an der grundsätzlichen Haltung der Politik ändert sich nichts. Trotz Corona. Der "Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen" sei auch im Hinblick auf die "Corona-Pandemie" grundsätzlich möglich, heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen bayerischen Landesamtes. Das ist unmenschlich und unverhältnismäßig. Kirchen, Verbände und Parteien wie die Grünen und die Linken fordern in immer eindringlicheren Appellen ein "Abschiebungs-Moratorium" für Afghanen. Die Politik sollte auf diese Appelle hören.
Der Autor
Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.