Bischöfliche Lateinamerika-Aktion 1961 gegründet

Adveniat wird 60: Eine Erfolgsgeschichte gelebter Solidarität

Veröffentlicht am 29.08.2021 um 12:45 Uhr – Lesedauer: 

Essen/Köln ‐ "Ich habe viel von den Armen gelernt", sagte der frühere Hauptgeschäftsführer Bernd Klaschka einmal. Tatsächlich soll bei der kirchlichen Lateinamerika-Aktion Adveniat Helfen keine Einbahnstraße sein. Seit 60 Jahren bedeutet Hilfe auch Kommunikation.

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"Ein halber Kontinent vertraut auf dich". Mit diesem Slogan warben vor 60 Jahren die katholischen Bischöfe in Deutschland erstmals um Spenden "für die seelsorglichen Bedürfnisse in Lateinamerika": für jene sogenannten Entwicklungsländer, die mit unbeschreiblicher Armut, Hunger, Krankheiten und Bildungselend zu kämpfen hatten. Seit der ersten Sonderkollekte zu Weihnachten 1961 liefen bei Adveniat in Essen bislang mehr als 2,5 Milliarden Euro für Lateinamerika zusammen. Eine Erfolgsgeschichte gelebter Solidarität.

Die Wurzeln der Bischöflichen Aktion liegen in Köln. Der damalige Kardinal Josef Frings hielt im Herbst 1960 als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz eine Rede über die Nöte der Kirche in Lateinamerika. Daraus erwuchs für 1961 eine zunächst als einmalig geplante Weihnachtskollekte, aus der das Lateinamerika-Hilfswerk und seine jährliche Weihnachtsaktion entstanden. Aber da es hinter den Kulissen ohnehin Sorge über ein zu großes kirchenpolitisches und finanzielles Gewicht Kölns gab, siedelte man die neue Aktion im 1958 neu gegründeten Ruhrbistum Essen an.

Zunächst handelte es sich keineswegs um ein Hilfswerk im heutigen Sinn. Die allmählich, dann immer stärker wachsende Zahl von Projektanträgen gingen allesamt über den Tisch des Essener Generalvikars, der mit der Materie naturgemäß nicht unbedingt vertraut war. Über ein Sekretariat im durchaus klassischen Sinne entwickelte sich erst über die Jahre eine "Adveniat-Geschäftsstelle" heraus.

Kanal der Großherzigkeit

Zuweilen wurde das Hilfswerk einmal als ein bloßer "Kanal" beschrieben, der die Großherzigkeit der Menschen in Deutschland nach Lateinamerika bringe. Das klingt sehr technisch. Tatsächlich stehen dahinter sehr viel Menschlichkeit und Begegnung. Hochrangige wie weniger hochrangige Kirchenvertreter aus Lateinamerika sind häufig in Essen zu Gast. Und wenn man in Guatemala oder Paraguay eine Armenhütte betritt, ist selbst dort der Name Adveniat häufig bekannt. Abgeleitet ist er vom lateinischen "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme") – ein Motto, dem sich das Hilfswerk bis heute verpflichtet fühlt.

Bild: ©dpa

Die Idee zu Adveniat ging auf Kardinal Josef Frings zurück.

Ein ebenso zentrales wie heikles Kapitel in 60 Jahren Adveniat war die sogenannte Theologie der Befreiung. In den 1970er und 80er Jahren, als marxistische und sozialistische Elemente einer "linken Theologie" das Verhältnis zwischen lateinamerikanischen Ortskirchen und dem Vatikan trübten und für massiven Gegenwind aus Rom sorgten, war auch der Essener "Adveniat-Bischof" und spätere Kardinal Franz Hengsbach zunächst durchaus kritisch.

Viele sogenannte Basisgemeinden, auch und vor allem in Brasilien, wurden auf vatikanisches Geheiß in Lateinamerika ausgeschaltet. Viele Bischöfe fühlten sich damals auch von der Forderung der Laien nach Mitsprache bedroht und brachten sie zum Schweigen. Den theologischen Kern der Befreiungstheologie, die "vorrangige Option für die Armen" und ihren Grundsatz "sehen – urteilen – handeln", hat sich die Kirchenleitung, auch in Rom, dennoch sehr wohl zu eigen gemacht. Für Adveniat sind sie seit Jahrzehnten die vielleicht wichtigsten Pfeiler der Arbeit.

Einsatz für Benachteiligte

Unterstützt durch Spenden aus Deutschland, setzt sich die Kirche Lateinamerikas auf vielen Ebenen für die Rechte der Benachteiligten ein. Adveniat hilft vor allem in der Seelsorge: etwa beim Gemeindeleben, beim Kirchbau, in der Priesterausbildung oder den Seelsorgern selbst, auch Laien. Ein entscheidendes Kriterium zur Förderung sei, so die Organisation, ob sie den Armen zugutekommt.

In den vergangenen 60 Jahren habe sich zwar sehr vieles entwickelt. Doch gerade beim Thema Armut finden Adveniat-Mitarbeiter bei Besuchen eine oft sogar noch verschärfte Situation vor. Vor allem in den Schwellenländern gibt es regelrechte Parallelgesellschaften. Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen hat solche Phänomene noch verstärkt. Angesichts dieser wachsenden Schere zwischen Arm und Reich drängt sich damals wie heute die Frage der Gerechtigkeit auf.

Vor allem drei große Herausforderungen macht Adveniat als entscheidend für die Zukunft aus: erstens die Armutsbekämpfung, zweitens die Frage der Bildung als Schlüssel für soziale Entwicklung; und drittens die Herausforderung durch die sogenannten Pfingstkirchen - jene Gruppierungen, Gemeinden und Sekten, die plakativ ein besseres Leben versprechen und der katholischen Kirche auf dem "katholischsten Kontinent" zunehmend "Marktanteile" abringen. Das Lateinamerika-Hilfswerk verdrießt das aber nicht: Ein halber Kontinent vertraut auf Adveniat - das gilt heute noch so wie vor 60 Jahren.

Von Alexander Brüggemann (KNA)