Theologin: Biblische Apokalypse zeigt den Glauben an die Menschheit
Sterne, die vom Himmel fallen, rauchende Abgründe, Plagen – die Offenbarung des Johannes zeichnet schreckliche Bilder. Die an der Hochschule Vallendar lehrende Theologin Margareta Gruber sagt jedoch: In der biblischen Apokalypse geht es vor allem um Hoffnung. Warum die Erzählung zum Handeln aufruft und das Paradies eine Stadt ist, darüber spricht die Professorin im Interview.
Frage: Frau Gruber, aktuell erleben wir Flutkatastrophen, Brände, Hungersnöte, eine Pandemie – das klingt schon apokalyptisch, oder?
Gruber: Apokalyptische Bilder begleiten uns permanent. Als Studentin erlebte ich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, die mit der Apokalypse interpretiert wurde. Was ich heute schwierig finde ist, dass ein großer Teil der evangelikalen Christen vor allem in den USA die Bibel und insbesondere die Offenbarung des Johannes sehr wörtlich nimmt und sie konkret politisch interpretiert oder instrumentalisiert. Das hat sich unter Donald Trump noch zugespitzt.
Frage: Worin liegen dabei die Probleme?
Gruber: Es ist die Faszination durch das Unglück. Man wird von der Katastrophe gebannt und bleibt bei ihr stehen. Etwas ähnliches beobachte ich auch heute und teilweise auch bei den christlichen ökologischen Bewegungen. Sie tendieren zu alarmistischen Rhetoriken – möglichst krass, möglichst aufrüttelnd. Aber das bewirkt nur Hilflosigkeit und lähmt. Die Johannesoffenbarung hingegen zeichnet zwar starke Bilder, aber so furchtbar die dort gezeigten Katastrophen sind, sie gehen alle vorbei.
Frage: Sie sagen, es geht also gar nicht um die Katastrophen?
Gruber: Die Johannesoffenbarung greift die apokalyptischen Bilder ihrer Umwelt auf – und transformiert sie dann. Sie macht daraus etwas Neues. Ich würde sogar sagen, sie zeichnet ganz bewusst Hoffnungsbilder gegen die apokalyptischen Ängste. Die sieht man aber nicht, wenn man sich nur von der Katastrophe blenden lässt.
Frage: Inwiefern zeigt sie Hoffnungsbilder?
Gruber: Die Offenbarung des Johannes zeigt zu Beginn, wie die Welt ist – mit all ihren Konflikten. Dann gibt es aber eine Schlüsselszene. Der Seher tritt vor den Thron Gottes und sieht das Lamm, wie geschlachtet, aber aufrecht stehend. Darin steckt die Botschaft, dass die Welt in Kreuz und Auferstehung Christi erlöst ist und dass alle furchtbaren Bilder, die nachher noch gezeigt werden, durch diese "Brille des Lammes" gesehen werden müssen. Das ist ein bisschen wie im Kino. Wenn man die 3D-Brille nicht aufsetzt, sieht man den ganzen Film nur verschwommen und es wird einem schlecht.
Frage: Birgt eine solche Sicht für die heutige Zeit nicht auch Gefahren? Nach dem Motto "Augen zu und durch – am Ende wird Gott es schon richten".
Gruber: Wir dürfen die heutigen Katastrophen nicht verdrängen – die existieren ja. Wer jetzt sagt: "Das steht doch so in der Bibel, Gott wird uns schon retten", der verharmlost oder leugnet die Krise, der reagiert unbiblisch. Man nimmt den Menschen damit aus der Verantwortung. Für mich zeigt die Apokalypse vor allem einen gewaltigen Glauben an die Menschheit. Es braucht eine starke Kraft, an die Zukunft des Menschen zu glauben. Das ist eine Errungenschaft der jüdischen Apokalyptik. In ihr wird der Glaube an eine Zukunft aufrechterhalten. Das unterscheidet sie von Weltuntergangsfantasien.
Frage: Also erteilt die Johannesoffenbarung den Menschen eine Aufforderung zum Handeln?
Gruber: Auf jeden Fall, und deswegen brauchen wir eine Schöpfungstheologie, die handlungsrelevant ist. Wir dürfen nicht nur auf die Katastrophen schauen, sondern müssen an einer besseren Welt arbeiten. Die Offenbarung endet mit der Vision des himmlischen Jerusalems. Das ist menschlicher, urbaner Raum, der von Menschen gestaltet wird. Die Christen müssen, wie man es Luther in den Mund legt, bis zum letzten Tag den Apfelbaum pflanzen.
Frage: Das himmlische Jerusalem passt eigentlich wenig in unsere Vorstellung vom Paradies als ruhiger Garten.
Gruber: Wir stellen uns das Paradies ja gerne wie einen Ferienkatalog für gestresste Städter vor. Die Offenbarung des Johannes rückt aber den Himmel als Stadt ins Zentrum. An ihrem Ende wird uns das himmlische Jerusalem gezeigt. Eigentlich bietet die Bibel uns da eine ganz realistische Vorstellung: Wir können gar kein ökologisches Paradies mehr schaffen, das kriegen wir nicht mehr hin. Aber diese Erde, die wir eh schon komplett umgestaltet haben, können wir verantwortlich so gestalten, dass sie ein guter Lebensraum wird.
Frage: Das Paradies ist also eine Stadt?
Gruber: Ob man das jetzt will oder nicht, aber die christliche Bibel beginnt mit einem Schöpfungsgedicht und endet mit der Vision einer Megacity. Für mich ist das die städtebaulich gezeigte Vision eines neuen Miteinanders. Überall sind Tore und Plätze, da findet Kommunikation statt. Es geht also darum zu fragen, wie wir den öffentlichen Raum gestalten wollen. Und es gibt ja trotzdem noch Bäume des Lebens, die Frucht tragen und sogar heilen. Die Stadt ist als Heilgarten für die Völker konzipiert – also doch ein bisschen wie ein Spa. Das Heil geht aber nicht von der Natur aus, sondern von Gott, der das Miteinander der Menschen erfüllt. Deshalb braucht es nicht einmal mehr einen Tempel. In dieser Vision des himmlischen Jerusalems wird das gute Leben, das gute Miteinander gezeigt. Eine provozierende Perspektive, die unsere Imagination prägen will. Mit diesem Hoffnungsbild schließt unsere Bibel.