Ausgangsfrage selbst sei schon problematisch formuliert

Kirchliche Gender-Expertin kritisiert Gutachtenpläne im Fall Latzel

Veröffentlicht am 22.09.2021 um 13:54 Uhr – Lesedauer: 

Bremen/Hannover ‐ Im Fall des wegen Volksverhetzung verurteilten Pastors Olaf Latzel soll ein theologisches Gutachten Klärung bringen. Doch dessen Ausgangsfrage teile schon eine fundamentalistische Voraussetzung zur Bibel, kritisiert nun EKD-Gender-Expertin Ruth Hess.

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Die kirchliche Gender-Expertin Ruth Hess hat die Pläne für ein theologisches Gutachten im Berufungsverfahren um den wegen Volksverhetzung verurteilten Bremer Pastor Olaf Latzel kritisiert. Die Ausgangsfrage selbst sei schon problematisch formuliert, sagte die Leiterin des hannoverschen Studienzentrums der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Genderfragen in Kirche und Theologie der "tageszeitung" (Mittwoch): "Nämlich die Frage, ob die Aussagen Latzels 'noch von der Bibel gedeckt sind'."

Die Frage teile bereits die fundamentalistische Voraussetzung, dass die Bibel zu gesellschaftspolitischen Fragen unmissverständlich Auskunft gebe, führte die frühere Gleichstellungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche aus. "Und dass sich das wissenschaftlich auf diese Weise verifizieren oder falsifizieren ließe." Das ist nach Einschätzung der Theologin und kirchlichen Expertin für Genderfragen aber nicht möglich.

"Die theologische und auch die bibelwissenschaftliche Diskussion zum Thema Homosexualität ist sehr vielstimmig", sagte Hess. Um sich ein realistisches Bild zu machen, müsse sie in ihrer Breite dargestellt werden: "Ein einzelnes Gutachten, noch dazu mit einer von vornherein festgelegten Position, wird sich damit wahrscheinlich schwertun. Dafür bräuchte es mindestens zwei oder besser noch drei Gutachten."

Wahl des Gutachters in der Kritik

Das Bremer Landgericht hatte den Gießener Theologieprofessor Christoph Raedel mit einem Gutachten zu der Frage beauftragt, ob Latzels schwulenfeindliche Äußerungen möglicherweise durch die Bibel gedeckt seien. Raedel hatte auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) erklärt, er vertrete die Auffassung, dass Homosexualität nicht mit der christlichen Lehre vereinbar sei und als Sünde bezeichnet werden müsse. Die Evangelisch-methodistische Kirche (EmK) in Deutschland distanzierte sich davon und stellte klar, Raedels Aussagen seien nicht als offizielle Stellungnahme "namens und im Auftrag der EmK" anzusehen.

Die Gutachtenpläne hatten zu heftiger Kritik von Theologen, Kirchenrechtlern und Verfassungsexperten geführt. Unter anderen kritisierte der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig das Vorgehen des Gerichts als "befremdlich". Die Staatsanwaltschaft Bremen hat den Gutachter zwischenzeitlich abgelehnt. Das Landgericht wolle in diesen Tagen entscheiden, ob Raedel als Gutachter infrage komme, sagte ein Gerichtssprecher dem epd. Latzel war im vergangenen November vom Amtsgericht Bremen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Der Pastor hatte nach Überzeugung des Gerichts in einem auf YouTube verbreiteten "Eheseminar" zum Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil Latzels Verteidiger Berufung eingelegt haben. Das Verfahren wird nach Informationen des Landgerichts vermutlich Anfang kommenden Jahres beginnen. (tmg/epd)