Vollendete die Kirchen ihres Mannes: Die Architektin Maria Schwarz
Fast scheint die Orgel unter dem großen Bogen zu schweben. Wie auf Stelzen steht das Instrument aus den 1990er-Jahren in der romanischen Kirche Sankt Maria im Kapitol in Köln, aufgesetzt auf einem Renaissancelettner, eine Art Raumteiler. Während der Lettner reich verziert ist, besticht die Orgel mit reduziert-modernen Formen – und dennoch fügt sie sich perfekt in das Gesamtbild ein. Ihr Äußeres drängt sich nicht auf. Wer ein paar Schritte in das Kircheninnere getan hat, wird trotzdem zuerst die Orgel wahrnehmen.
"Irgendwo bescheiden, aber doch präsent", so beschreibt die Kunsthistorikerin Annette Krapp den Orgelprospekt, also sozusagen die Fassade des Instruments. Gemacht hat den Prospekt die Architektin Maria Schwarz, die an diesem Sonntag 100 Jahre alt geworden wäre. "Ich glaube, dass so ein Teil wie diese Orgel für ihre Person und ihr Werk steht", erklärt Krapp.
Nicht nur die Witwe von Rudolf Schwarz...
Maria Schwarz ist bis heute für viele vor allem die Witwe von Rudolf Schwarz (1897-1961), einem der Stararchitekten der Nachkriegszeit. Er plante den Wiederaufbau des zerbombten Köln, errichtete in der jungen Bundesrepublik zahlreiche Sakralbauten und prägte mit der "Kölner Schule" eine ganze Strömung in der Architektur.
Maria Schwarz, damals noch Lang, lernte ihren späteren Ehemann 1949 bei der Wiederaufbau GmbH für die Stadt Köln kennen, die er leitete. Die 27-Jährige wurde dort nicht als Schreibkraft oder für eine andere frauentypische Tätigkeit angeheuert – sondern als Architektin. 1941 hatte sie in ihrer Heimatstadt Aachen das Architekturstudium als eine von nur vier Frauen aufgenommen. In der Kölner Wiederaufbaugesellschaft brachte sie ebenso wie ihre männlichen Kollegen – darunter Gottfried Böhm (1920-2021) – Ideen ein. Im Kölner Festhaus Gürzenich zum Beispiel stammt die Treppenanlage wesentlich von ihr.
1951 heiratete Maria Lang ihren 24 Jahre älteren Chef. In dieser Partnerschaft sei sie aber keinesfalls das graue Mäuschen hinter dem großen Meister gewesen, sagt Krapp, die für ihre Doktorarbeit Schwarz immer wieder besuchte. Die Begegnungen seien stets mit einem Mittagessen verbunden gewesen. Als schnoddrig, selbstbewusst, belesen und einfühlsam beschreibt sie die Architektin. Schwarz sei es wichtig gewesen, dass die Kunsthistorikerin keine feministische Arbeit über sie schreibe. Sie sei immer besorgt gewesen, jemand könne am Ruf ihres Mannes kratzen. Als dieser 1961 stirbt, sind rund zehn seiner Kirchenbauten noch nicht fertig gestellt. Seine Frau vollendet sie bis 1967. An zweien war ihr Anteil so groß, dass sie laut Krapp eigentlich ihr und nicht ihrem Mann zugerechnet werden sollten: Sankt Franziskus in Osnabrück und die Liebfrauenkirche in Oberursel.
Nach 1967 bewarb sich Maria Schwarz weiter für Kirchenbauten. Ihre Entwürfe wurden aber nie angenommen, stets erhielten Männer den Zuschlag. Stattdessen gestaltete sie Altarräume um, entwarf Orgelprospekte oder errichtete Kirchtürme. In den 1980er-Jahren übernahm sie die künstlerische Leitung für die Renovierung der Frankfurter Paulskirche. Von 1996 bis 2008 lehrte sie Sakralbau an der Technischen Universität München. Sie setzte sich zudem für das Erbe des "Büro Rudolf Schwarz" ein. Als etwa der Gürzenich für Kongresse umgebaut werden sollte, schaltete sie sich intensiv ein.
"Ich glaube, sie war sehr emanzipiert auf ihre Art"
"Das hat ihr den Ruf der Gralshüterin des Erbes ihres Mannes eingebracht", so Krapp. Dabei sei es auch um ihre eigene Arbeit gegangen. Sie habe sich wohl bewusst dafür entschieden, die Rolle der Witwe einzunehmen. So sei es einfacher gewesen, Aufträge zu erhalten, als wenn sie "nur" als Maria Schwarz aufgetreten wäre. Ende der 1980er-Jahre übergab Schwarz den Nachlass ihres Mannes an das Historische Archiv des Erzbistums Köln. Heute ist dort auch ihr Nachlass aufbewahrt. Am 15. Februar 2018 starb die Architektin in Köln.
Im Rückblick werfen einige Beobachter Maria Schwarz vor, sie habe sich nicht genug für die Interessen von Frauen in der Architektur eingesetzt. Andererseits führte sie zu einer Zeit ein eigenes Büro, als das für andere Frauen quasi unmöglich war. "Ich glaube, sie war sehr emanzipiert auf ihre Art", erklärt Krapp. "Und zwar so sehr, dass sie nicht darüber reden wollte. Sie wollte eigentlich gleich betrachtet werden."