Die evangelische Kirche stellt sich ihrer dunklen Vergangenheit
"Ich werde mich weiterhin in der Aufklärung #Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und anderer Gewaltformen in der EKD und Diakonie engagieren. Das bin ich mir selbst, und anderen Betroffenen schuldig. Hart in der Sache, aber fair im Umgang." Diesen Tweet hat Detlev Zander seinem Twitter-Account vorangestellt. Es ist seine Überzeugung, zu der er auch am Donnerstag im Münchner Presseclub steht. Als selbst Betroffener hat er 2014 einen der größten Missbrauchsskandale unter dem Dach der evangelischen Kirche und Diakonie öffentlich gemacht. Die Verbrechen fanden in einem Kinderheim der Brüdergemeinde Korntal bei Stuttgart statt.
Betroffene von sexualisierter Gewalt seien bisher vor allem "beforscht" worden, gibt Zander zu bedenken. Dabei herrsche längst Einigkeit darüber, dass diese besser eingebunden werden müssten. Erstmals verwirklicht sieht er dies nun bei einer auf zwei Jahre angelegten Studie, die das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) München mit dem Berliner Verein "Dissens - Institut für Bildung und Forschung" durchführt. Dafür werden Betroffene als "Co-Forschende" gesucht. Zander macht dies bereits und bringt "seine Expertise" ein. So arbeitete er am Interview-Leitfaden mit und wird bei der Auswertung der anonymisierten Fragebögen helfen.
Natürlich weiß der barhäuptige Mann, der da so in sich ruhend am Podium sitzt, dass es nicht einfach ist, andere Betroffene zu diesem Schritt zu bewegen. Da mag vor allem die Angst sein, erneut mit etwas konfrontiert zu werden, was man längst versucht hat, zu verdrängen - oder das Vorurteil, was soll dies nach so vielen Jahren noch bringen. Ihn aber treibe die Erfahrung an, dass es helfen könne, das Schweigen zu brechen. Deshalb will er weiter dazu ermutigen, es ihm gleich zu tun.
Die richtigen Zuhörer zu finden, ist für Missbrauchsbetroffene oft nicht leicht. Bei den Wissenschaftlern im IPP München und bei Dissens habe er solche Menschen gefunden, sagt Zander. "Sie begegnen den Betroffenen mit Respekt, Wertschätzung und Anerkennung." Zudem arbeiteten diese unabhängig, seien an keine Weisung der evangelischen Kirche und Diakonie gebunden. Betroffene würden während ihrer Mitwirkung an der Untersuchung begleitet und nicht allein gelassen mit ihrem Schicksal.
EKD gibt 3,5 Millionen Euro
3,5 Millionen Euro hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für den Forschungsverbund "ForuM - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland" zur Verfügung gestellt. IPP und Dissens wurden mit einer von fünf Teilstudien beauftragt. In ihr geht es vor allem darum, die Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen zu erforschen, die sexualisierte Gewalt in diesem Kontext erlitten haben, wie IPP-Geschäftsführerin Helga Dill erläutert.
Das Münchner Institut hat Erfahrung auf diesem Feld. Schon mehrere Institutionen wurden untersucht, unter anderem die stationäre Jugendhilfe des Stadtjugendamts München, die Odenwaldschule sowie die Internate des Klosters Ettal und des Stifts Kremsmünster in Österreich. Auch der Berliner Verein "Dissens - Institut für Bildung und Forschung" wirkte bei Aufarbeitungsstudien zu sexualisierter Gewalt etwa im Bistum Essen oder im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder mit.
Die Strukturen müssten besser durchleuchtet werden, findet Zander. Seiner Einschätzung nach versteckt sich die evangelische Kirche gern hinter der katholischen. Tatsächlich scheint es bisher so, als ob in der evangelischen Kirche nur vereinzelt Fälle zu beklagen seien. Doch von Insidern hört man, dass sich dieses Bild bald ändern könne.