Generaloberin: An der Spitze des Staates braucht es einen Brückenbauer
1.472 Mitglieder werden am Sonntag in der Bundesversammlung im Berliner Paul-Löbe-Haus den nächsten Bundespräsidenten wählen. Eine der Wählerinnen ist die Generaloberin der Franziskanerinnen im baden-württembergischen Kloster Reute, Schwester Maria Hanna Löhlein. Im Interview mit katholisch.de erzählt sie, wie und von wem sie für die Bundesversammlung nominiert wurde und wie sie den amtierenden und voraussichtlich auch nächsten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier findet. Außerdem verrät die Ordensfrau, ob sie in ihrem Habit an der Wahl teilnehmen wird und warum sie unbedingt mit Fußball-Nationaltrainer Hansi Flick, der ebenfalls Mitglied der Bundesversammlung ist, sprechen möchte.
Frage: Schwester Maria Hanna, an diesem Sonntag wählen Sie als Mitglied der Bundesversammlung den nächsten Bundespräsidenten mit. Sind Sie schon ein bisschen aufgeregt?
Löhlein: Ja, natürlich. Den Bundespräsidenten mitwählen zu dürfen, ist schließlich etwas ganz Besonderes; das macht man nicht jeden Tag. Insofern fühle ich mich auch sehr geehrt, dass ich für die Bundesversammlung nominiert wurde.
Frage: Nominiert wurden Sie von der CDU in Baden-Württemberg. Wie kam es dazu?
Löhlein: Manuel Hagel, der Fraktionsvorsitzende der CDU im baden-württembergischen Landtag, hat mich im vergangenen Herbst angerufen und gefragt, ob ich als Vertreterin seiner Partei an der Bundesversammlung teilnehmen möchte. Warum er gerade auf mich gekommen ist, weiß ich nicht genau. Ich denke aber, dass es mit unserem innovativen Klosterbergprojekt zu tun hat.
Frage: Was ist das für ein Projekt?
Löhlein: Wir wollen unser Kloster und unsere kleiner werdende Gemeinschaft in den kommenden Jahren zukunftsfest machen. Unter anderem planen wir, das Kloster noch stärker für Menschen von außerhalb zu öffnen. So soll etwa in Räumen, die wir selbst nicht mehr benötigen, generationengerechter und bezahlbarer Wohnraum entstehen. Das ganze Projekt umfasst mehrere Bauabschnitte und wird auch vom Land gefördert.
„An der Spitze des Staates braucht es einen Brückenbauer, der nah bei den Menschen ist und vermittelnd wirken kann. Dass er das kann, hat Herr Steinmeier in den vergangenen Jahren ja bereits gezeigt.“
Frage: Zurück zur Bundesversammlung: Sie wurden zwar von der CDU nominiert – Mitglied der Partei sind Sie aber nicht, oder?
Löhlein: Nein. Unser Kloster hat natürlich gute Verbindungen zu den örtlichen Landes- und Bundespolitikern – das ist aber unabhängig vom Parteibuch.
Frage: CDU und CSU haben sich Anfang des Jahres entschieden, keinen eigenen Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten aufzustellen, sondern stattdessen Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier zu unterstützen. Wie finden Sie das?
Löhlein: Das finde ich gut, denn in meinen Augen hat Herr Steinmeier als Bundespräsident bislang eine gute Figur gemacht und unser Land nach innen und nach außen gut vertreten. Er ist ein Mensch, der vermitteln kann und der bürgernah ist – das gefällt mir. Und er hat in seiner ersten Amtszeit einige starke Zeichen gesetzt. Ich denke etwa an seine Rede bei der Trauerfeier für die Opfer des schrecklichen rassistischen Anschlags in Hanau. Da hat er genau die richtigen Worte gefunden und gute Zeichen gesetzt.
Frage: Herr Steinmeier kann sich Ihrer Stimme am Sonntag also sicher sein?
Löhlein: Das werde ich Ihnen nicht sagen – schließlich ist die Wahl geheim (lacht). Ich kann aber verraten, dass mich auch Gerhard Trabert, der Kandidat der Linken, sehr beeindruckt hat. Sein Engagement für Obdachlose, Arme und Geflüchtete ist großartig und verdient Beachtung. Vielleicht hat seine Kandidatur zumindest den Effekt, dass diese Menschen stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken.
Frage: Der Bundespräsident hat nur wenig politische Macht. Er muss stattdessen versuchen, durch Gesten und Worte zu wirken. Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht in den nächsten Jahren von Herrn Steinmeier?
Löhlein: Ich denke, dass uns die Corona-Pandemie mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Nebenwirkungen noch einige Zeit herausfordern wird. Wir sehen ja jetzt schon, wie polarisiert, ja wie zerrissen unsere Gesellschaft ist. Umso mehr braucht es an der Spitze des Staates einen Brückenbauer, der nah bei den Menschen ist und vermittelnd wirken kann. Dass er das kann, hat Herr Steinmeier in den vergangenen Jahren ja bereits gezeigt. Umso mehr hoffe ich, dass er in dieser Hinsicht auch weiterhin gute Impulse setzen wird.
Frage: Mit der von den Freien Wählern nominierten Physikerin Stefanie Gebauer steht am Sonntag zwar auch eine Frau auf dem Wahlzettel – die Wiederwahl von Herrn Steinmeier gilt angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung aber als sicher. Bei aller Wertschätzung für den Amtsinhaber: Bedauern Sie, dass auch diesmal keine Frau in das höchste Staatsamt gewählt wird?
Löhlein: Ja, das bedaure ich. Ich würde mir schon wünschen, dass Frauen stärker in Führungspositionen vertreten wären und zeigen könnten, dass sie die damit verbundenen Aufgaben genauso gut bewältigen können wie Männer. Dass sie das können, hat man am Beispiel von Angela Merkel ja eindrucksvoll gesehen. Ich sage aber auch: Wenn es um Führungspositionen geht, darf das Geschlecht nicht das entscheidende Kriterium sein. Ein Bundespräsident etwa muss in erster Linie das Volk würdig vertreten, Brücken bauen und starke inhaltliche Akzente setzen können. Herr Steinmeier kann das alles – deshalb halte ich ihn auch für den richtigen Kandidaten.
Frage: Wenn Sie für die nächste Bundesversammlung in voraussichtlich fünf Jahren eine Frau als Kandidatin vorschlagen dürften: Wer wäre das?
Löhlein: Da möchte ich jetzt lieber keinen Namen nennen; das fände ich nicht richtig. Ich bin mir aber sicher: Die Wahl einer Frau zur ersten Bundespräsidentin wird nicht an einem Mangel an geeigneten Kandidatinnen scheitern.
Frage: Werden Sie bei der Wahl am Sonntag eigentlich Ihren Habit tragen?
Löhlein: Natürlich, das ist schließlich meine normale Bekleidung. Ich zeige damit, dass ich Franziskanerin bin und ganz bewusst ein Leben in Armut gewählt habe. Warum sollte ich ausgerechnet bei der Wahl des Bundespräsidenten auf dieses Bekenntnis verzichten?
Frage: Gehen Sie davon aus, dass Ihr Äußeres in der Bundesversammlung Aufmerksamkeit erregen wird?
Löhlein: Das weiß ich nicht. Grundsätzlich bin ich neugierige Blicke aber gewohnt. Gerade in Großstädten ist der Anblick einer Ordensfrau für die meisten Menschen heute ungewohnt; mich fragen dort auch immer wieder Menschen, ob sie ein Foto von mir machen dürfen. Ob das in der Bundesversammlung auch so sein wird, weiß ich aber nicht.
„Weil ich Fußball toll finde und weil ich wissen möchte, wie er es schafft, aus ganz unterschiedlichen Spielern eine gut harmonierende Mannschaft zu formen.“
Frage: Neben dem eigentlichen Wahlvorgang bietet die Bundesversammlung ihren Mitgliedern immer auch die Gelegenheit zum Austausch untereinander. Gibt es unter den Mitgliedern am Sonntag jemanden, den Sie gerne kennenlernen und mit dem oder der Sie gerne sprechen würden?
Löhlein: Ja, auf jeden Fall Hansi Flick.
Frage: Den Trainer der Fußball-Nationalmannschaft? Warum?
Löhlein: Weil ich Fußball toll finde und weil ich wissen möchte, wie er es schafft, aus ganz unterschiedlichen Spielern eine gut harmonierende Mannschaft zu formen. So etwas ähnliches muss ich als Oberin in unserem Kloster schließlich auch schaffen. Meine Mitschwestern und ich müssen zwar keine Tore schießen, aber wir müssen auch wie eine gute Mannschaft funktionieren.
Frage: Glauben Sie denn, dass Sie an Herrn Flick rankommen werden? Immerhin hat die Bundesversammlung mehr als 1.400 Mitglieder ...
Löhlein: Da bin ich guter Hoffnung. Ich weiß nämlich schon, dass wir beide im selben Flugzeug nach Berlin fliegen werden. Vielleicht habe ich also schon über den Wolken Gelegenheit, mit ihm ins Gespräch zu kommen.