Rom auf zwei Rädern
Immer häufiger kreuzen verwegene Grüppchen Roms verkehrsreiche Innenstadt. Der Reiz liegt auf der Hand: Die Hauptsehenswürdigkeiten konzentrieren sich sich auf wenige Quadratkilometer, viele - wie der Trevibrunnen oder die Spanische Treppe - sind für Busse unerreichbar.
Mit dem Fahrrad hingegen kommt man an jedem Stau vorbei und flink durch die Gassen. Und: Man schwimmt gewissermaßen im römischen Alltagstreiben mit. Nach drei bis vier Stunden haben Kunden für die 30 bis 40 Euro, die eine geführte Rundfahrt je nach Anbieter kostet, eine Menge zu erzählen. So auch Garry Bloom und seine Familie aus dem australischen Perth.
"Jenseits aller Erwartungen" findet er im Rückblick die vormittagsfüllende Exkursion über Caelio und Aventin, durch Trastevere und die römische Altstadt. Kaum einen Tag in Rom, hat er neben den großen Sehenswürdigkeiten auch verborgene Winkel entdeckt, in die selbst mancher gebürtige Römer noch nie seinen Fuß gesetzt hat - etwa das pittoreske Gässchen Vicolo dell'Atleta mit seiner mittelalterlichen Synagoge. Dabei waren Garry und seine Familie noch am Vorabend desorientiert genug, um vom Abendessen am Pantheon nur mit Hilfe eines Taxis zum Hotel zurückzufinden.
Die Rollen schlagen ein
Die Idee zu den Touren kam Ciro Muratori, Chef von "Topbike Rental", auf der Internationalen Fahrradmesse in Friedrichshafen. Sattelfeste Deutsche, Niederländer und Engländer, so dachte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, müssten doch Spaß daran haben, Rom mit vertrautem Rollmaterial zu erkunden. Der Versuch eines Verleihgeschäfts lief zäh an, die Gruppenführungen aber schlugen ein.
Im vergangenen Jahr buchten laut Muratori 11.000 Kunden eine der unterschiedlichen Rundfahrten, 2.000 weitere mieteten ein Rad und eroberten die Stadt auf eigene Faust. Muratori teilt sich das Feld mit knapp einem Dutzend Mitbewerbern wie "Bici e Baci" oder "Rome by Segway": Der Markt wächst.
Für radelnde Römer sind die Touristen so etwas wie Hilfstruppen im Kampf gegen das rollende Blech. Andernorts in Italien gehören Fahrräder längst zum Straßenbild. In der Hauptstadt aber setzt sich die Erkenntnis nur zögerlich durch, dass das Rad "ein Fortbewegungsmittel ist und nicht ein Sportgerät wie ein Surfbrett", sagt Paolo Bellino, Mitbegründer der landesweiten Mobilitäts-Initiative "Mobnuova". "Es ist schwierig, manchmal auch gefährlich, aber das Bewusstsein wächst - auch unter Nicht-Aktivisten."
Denn Rom bewegt sich verkehrsmäßig ständig am Rande des Infarkts. Den Ausbau des Metronetzes verhindern die archäologischen Schätze im Untergrund; öffentliche Busse bleiben regelmäßig im Autoverkehr stecken, und weil deswegen so etwas wie ein Fahrplan nur in der Theorie existiert, benutzen Römer, die wirklich dringend irgendwohin müssen, das eigene Auto, auch wenn sie wissen, dass sie schlecht durchkommen. Ein Teufelskreis.
Es gab bereits Versuche, das Fahrrad in Rom heimisch zu machen. Viele Ansätze sind gescheitert. Das Radwegenetz am Tiber und in den Parks dient eher der Naherholung als der Verkehrsentlastung. Ein Bikesharing-Pilotprojekt, vor drei Jahren von den städtischen Busbetrieben lanciert, blieb mit 19 Leihstationen zu spärlich, um zu funktionieren. Heute sind die Anlagen demoliert, intakte Räder kaum zu finden.
Zwischen Anarchie und Exotik
Ein bisschen Wahnsinn braucht es ja, um sich in den römischen Verkehr zu stürzen: schiefstehende Pflastersteine erproben Material und Geschicklichkeit, Fahrbahnmarkierungen sind oft schlechter erhalten als jahrtausendalte Freskenreste, und wer nicht weiß, was defensives Fahren ist, lernt es spätestens hier. "Ihr Deutschen seid vielleicht Respekt im Straßenverkehr gewohnt, wir dafür unsere Anarchie", sagt Bellino.
Mit der gleichen Anarchie setzen sich Roms Radler zur Wehr: Jeden letzten Freitag im Monat sammeln sich Aktivisten der Bewegung "Critical Mass" irgendwo in der Stadt zu einer kleinen Demo, radeln im Feierabendverkehr ungeniert mitten auf der Fahrbahn, verprühen Fröhlichkeit und ärgern die Autos. Aber der Wettstreit zwischen Motorisierten und Unmotorisierten hat auch seine brutale Seite: Fahrradunfälle forderten im vergangenen Jahr landesweit an die 300 Tote, doppelt so viele wie jene mit den kleinen, wendigen Mofas.
Noch ist die Exotik der größte Schutz der Radler. Normale Autofahrer wittern Ungemach, wenn sie die schwankenden Gestalten auf zwei Rädern vor sich sehen, und halten instinktiv Abstand. "Die größte Gefahr sind Fußgänger und Taxis", sagt Simone, der Tourguide. Er hat seine Leute heil über die Piazza Venezia gebracht, einen der verkehrsreichsten Plätze Europas, und zeigt ihnen die Kaiserforen. So bemerken sie wenigstens nicht das improvisierte Mahnmal in ihrem Rücken: Hier starb vor vier Jahren eine junge Radfahrerin, nachts überrollt von einem Taxi.
Der Torso ihres Mountainbikes lehnt noch immer am Laternenpfosten, weiß angestrichen, eine öffentliche Anklage in Sichtweite der Stadtverwaltung auf dem Kapitol. Dort oben ist inzwischen ein Mann als Bürgermeister eingezogen, der Sinn für die alternative Fortbewegung hat: Ignazio Marino kam zu seinem Dienstantritt Mitte Juni mit dem Fahrrad. Viele versprechen sich von ihm Bewegung in der Verkehrspolitik. Von Ende Juli an soll die Via dei Fori Imperiali, die Hauptachse zum Kolosseum, für private PKW gesperrt werden. Dann können Touristen das Amphitheater ein bisschen entspannter vom Rad aus betrachten.
Von Burkhard Jürgens (KNA)