Auf der Berlinale begeistert Dietrich Brüggemann mit dem Film "Kreuzweg"

Marias letztes Opfer

Veröffentlicht am 11.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Berlinale

Berlin ‐ Vierzehn Einstellungen, vierzehn Bilder, vierzehn Stationen: Maria ist vierzehn Jahre alt, und sie lebt in einem besonderen Kosmos. Ihre Parallelwelt liegt mitten in Deutschland - und doch weit weg vom Leben der anderen. Marias Familie gehört einer fundamental-katholischen Gemeinde an. Das heißt: Gott regelt alles, sieht alles, bestimmt alles, gibt allem sein Ziel. Dietrich Brüggemanns neuer Film "Kreuzweg", der am Sonntag als Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale präsentiert wurde, erzählt, wie Maria an diesem Gott zugrunde geht.

  • Teilen:

Denn Maria will eine gute Christin sein. Das ist nicht leicht; denn was gut und richtig ist, definieren die Mutter und ein junger Pater. Marias Mutter herrscht über die Familie: Streng, uneinsichtig, dabei im Herzen unglücklich wacht sie unerbittlich über jede Regung ihrer Kinder. Der Vater ist schwach, ein stiller Beobachter des Geschehens; vor der Macht seiner Frau hat er längst kapituliert. Maria hat drei jüngere Geschwister: Die Schwester hat sich ins Unauffällige zurückgezogen, der ältere der beiden Brüder betrachtet die Welt durch ein selbstgebautes Fernrohr, der jüngere Bruder kann nicht sprechen.

Geschwisterpaar Brüggemann teilt den Film in 14 Bilder

In dieser Familie ist Maria weitgehend allein; einzig das Au-pair-Mädchen Bernadette steht ihr zur Seite. In der Schule lernt Maria Christian kennen, einen Jungen in ihrem Alter. Christian geht auf sie zu, sucht das Gespräch; sie mag ihn, fühlt sich hingezogen zu ihm. Doch sie verbietet sich ihre Gefühle, weist Christian ab. Und doch fühlt sie sich sündig, schuldig. Und wird von ihrer Mutter mit Verachtung gestraft. Ein Riss geht durch Marias Welt; um ihn zu schließen, will sie ein Opfer darbringen - ihr Leben.

Regisseur Dietrich Brüggemann hat das Drehbuch zu "Kreuzweg" gemeinsam mit seiner Schwester Anna geschrieben. Die Geschichte ist in vierzehn Bilder eingeteilt; sie sind nach den Stationen des Passionsweges benannt. "Jesus wird zum Tode verurteilt" heißt das erste Bild, "Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt" das letzte. Dass es schließlich Marias Leichnam sein wird, der beerdigt wird, kann sich jeder Zuschauer denken. Diese Aussicht auf das Ende gibt dem Film etwas Unausweichliches, Fatalistisches. Man schaut ihn anders an als andere Filme.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de/Sarah Schortemeyer

Interview mit den Machern des Berlinale-Wettbewerb-Films

Das hat auch damit zu tun, dass jede Station ohne Schnitt gefilmt ist. Eine Einstellung von zehn Minuten Länge zwingt den Zuschauer zu einer anderen Haltung. Statt der gewohnten Schnitt-Gegenschnitt-Montage, statt dem Wechsel von Nahaufnahmen und Totalen begegnet dem Betrachter eine statuarische Welt. Es ist, als blicke man durch ein Fenster in einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Wie im Theater kann der Blick umherschweifen, kann diese oder jene Person auswählen oder sich mal dem Vordergrund, mal dem Hintergrund widmen. So ergibt sich ein langsames, abwägendes, suchendes Zuschauen.

Alle Gefühle des Mädchens sind lebendig

Aber "Kreuzweg" fordert nicht allein seine Betrachter heraus. Auch die Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten anders als in anderen Filmen. Dass alle Szenen in Realzeit gedreht werden, erfordert vom Ensemble eine besondere Spannung, eine hohe Konzentration. Auch deshalb wirkt der Film, der am 20. März in die deutschen Kinos kommt, so beklemmend eindringlich. Franziska Weisz gibt die Mutter als eine Frau, die im Regime des Glaubens verhärmt ist - und doch liebt sie ihre Tochter. Florian Stetter zeigt den Pater als einen inspirierten Gläubigen; er wirkt durchaus wohlmeinend, doch trägt er den furchtbaren Irrtum in sich, die Lehre für wichtiger zu halten als die Menschen.

Und die selbst erst 14 Jahre alte Lea van Acken spielt Maria mit einer Genauigkeit, die es unmöglich macht, nicht von ihr angerührt zu werden. Alle Gefühle des pubertierenden Mädchens drückt sie aus - Angst, Zorn, Trotz, Entschlossenheit, Trauer, Sehnsucht, alles ist lebendig. Unvergesslich, wie Maria betet, weint, lächelt. "Kreuzweg" ist kein aufwendiger, kein pathetischer Film, aber ein großer - und ein erschütternder. Und nach vier Tagen Berlinale ist Lea van Acken die erste wirkliche Entdeckung dieses Festivals.

Von Hans-Joachim Neubauer (KNA)