Jenseits von Batman
Frage: Herr Hausmanninger, die Verbindung von Comics und Religion scheint nicht gerade naheliegend. Wie sind Sie dazu gekommen, darüber zu forschen?
Hausmanninger: Ich beschäftige mich schon lange mit populären Medien wie den Comics. In den 1990er Jahren fiel mir auf, dass sich immer mehr Comics mit religiösen Themen beschäftigten – eine regelrechte Religionswelle. Interessant daran ist: Zeitgleich beginnen Sozialwissenschaften und Theologie darüber zu diskutieren, ob sich moderne Gesellschaften von der Säkularisierung verabschieden und die Religion zurückkehrt, also für das öffentliche Leben wieder nachhaltig eine Rolle spielt. Wissenschaftler sprechen von einem Zustand der Postsäkularität. Ich finde, dass man dieses Phänomen gut über eine Analyse der Comics erfassen kann.
Frage: Sie sprechen von einer Rückkehr der Religion. Wie passen Kirchenaustritte und Religionskritik dazu? Täuscht der Eindruck, dass Religion im Alltag eine zunehmend geringere Rolle spielt?
Hausmanninger: Nein, beides ist richtig. Postsäkularität heißt mit Recht so. Sie entsteht im Durchgang durch die Säkularität. Deren Effekte bleiben erhalten. Zu den Eigenschaften postsäkularer Religiosität zählen Autonomisierung und Individualisierung des Menschen. Die Lebensdienlichkeit der Religion wird zum Prüfstein. Ein Moment, das ich durchaus positiv finde. Religion ist, wenn sie etwas taugt, lebensdienlich – und dies für das selbstbestimmte Individuum. Wir haben christlicherseits nicht von ungefähr den Glaubensakt stets an das Individuum gebunden und die Freiheit dazu und darin betont.
Frage: Kehren wir zurück zu den Comics. Auf welche Art und Weise thematisieren sie Religion?
Hausmanninger: Das Christentum, vor allem der katholische Glaube, spielt eine dominante Rolle. Daneben gibt es einige wenige Comics, die das Judentum thematisieren, und noch weniger zum Islam. Religion wird aus der Distanz betrachtet. Sie hat keine unbefragte oder unbefragbare Autorität. Stattdessen rückt die Frage nach der positiven oder negativen Rolle der Religion in Geschichte und Gegenwart in den Vordergrund. Das entspricht der postsäkularen Vorstellung einer lebensdienlichen Religion, über die wir gerade gesprochen haben. Religion muss, wenn sie positiv akzentuiert werden soll, den Einzelnen in seinem Leben und seiner Entwicklung fördern können. Autoritäre Muster der Religionsgemeinschaften und übermächtige Institutionen werden entsprechend kritisch behandelt.
Frage: Sind die Comics also alle religionskritisch?
Hausmanninger: Nein. Die Religionswelle in den Comics wäre eindeutig falsch wahrgenommen, wenn man sie nur als Welle der Religionskritik sehen wollte. Mit Ausnahme von Convard habe ich kaum Autoren und Zeichner gefunden, die in erster Linie Religionskritik betreiben wollen. Die Erzählungen, die ich gelesen habe, zeichnen sich durch eine erstaunlich hohe Informiertheit und sehr differenzierte Auseinandersetzung mit Religion aus. Neben Figuren, die die Kritik tragen, treten häufig weitere Figuren auf, die eine positive Akzentuierung des Glaubens verkörpern.
Frage: Wie nahe steht den Autoren der Comics der christliche Glaube?
Hausmanninger: Es handelt sich fast durchweg um Autoren und Zeichner, die sich religiös eher distanziert einordnen. Sie betrachten Religion jedoch als ein wichtiges, gesellschaftlich relevantes Thema und setzen sich daher mit ihr auseinander. Neben dieser Gemeinsamkeit dürften die Motivationen durchaus unterschiedlich sein.
Frage: Welche Motivationen spielen eine Rolle?
Hausmanninger: Convard ist zum Beispiel deutlich religionskritisch, aber nicht undifferenziert. Er hat ein freimaurerisch ausgelegtes spirituelles Anliegen. Desberg zeigt sich in seinen Comics als politisch engagierter Autor, der sich immer wieder mit Gerechtigkeitsfragen auseinandersetzt. Er hat beispielsweise schon in den 1980er Jahren in der traditionsreichen Serie „Tif et Tondu“ (dt. „Harry und Platte“) zwei Geschichten gegen die französische Rechte publiziert. Bidot ist ein christlich engagierter Autor.
Frage: Wer sind die Leser der Comics, die Religion thematisieren? Gibt es ein spezielles Publikum?
Hausmanninger: Es ist durchaus das „normale“ Comic-Publikum. Wobei man generell sagen muss, dass in Deutschland das Segment der erwachsenen Leser, anders als beispielsweise in Frankreich oder Belgien, erheblich schmaler ist. Erwachsene sind jedoch eindeutig das Zielpublikum der entsprechenden Comics.
Frage: Wir haben über Ihr wissenschaftliches Interesse an Comics gesprochen. Sind Sie auch privat ein Comicfan?
Hausmanninger: Der Offenbarungseid zum Schluss. Comics sind eine seit meiner Jugendzeit anhaltende Liebe. Ich wollte ursprünglich Kunst studieren, bis mich das Interesse an der Theologie erwischt hat. In meiner Arbeit an den bildhaften Medien Comics und Film ist sicher ein Teil meiner ästhetischen Leidenschaften erhalten geblieben.
Frage: Verraten Sie uns Ihren Lieblingscomic?
Hausmanninger: Persönliche Lieblinge gibt es viele. Momentan lese ich mit großem Vergnügen „Achille Talon“, eine humoristische Serie mit einem sehr französischen, intellektuellen Witz. Seit einiger Zeit publiziere ich auch selbst eine Comicserie in der Fachzeitschrift „Comixene“.
Das Interview führte Vanessa Renner