Ein Tag mit Bischof Georg Bätzing
"Wissen Sie, was hier das Schwierigste für mich ist? Hochdeutsch zu sprechen!" Ab jetzt spricht Georg Bätzing Platt – und macht es dem auswärtigen Besucher so äußerst schwer, seiner kleinen Rede im Dialekt zu folgen. Die Menschen um ihn herum stört das nicht, sie verstehen ihn zum größten Teil. Gesetztere Damen mit grauer Dauerwelle, Herren, die mit ihrem Rollator etwas länger brauchen, um zu ihrem Platz zu kommen. Bei strahlendem Sonnenschein haben sie sich auf dem Vorplatz des Caritas-Altenheims "Haus Helena" versammelt, in Hachenburg, landschaftlich sehr reizvoll, aber auch abseits gelegen mitten im Westerwald. Es ist die erste Station dieses Tages mit dem Limburger Bischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, der zu einer Visitation in der Stadt ist.
Ein Bischof oder seine Vertreter besuchen ihre Pfarreien regelmäßig. Deshalb ist Bätzing heute nicht am Schreibtisch, sondern vor Ort – kein alltäglicher Tagesablauf also. Es erwarten ihn keine Akten und Mails, dafür stehen Gespräche, Besuche und Probleme des Alltags auf der Tagesordnung. Hier ist er als Kommunikator und Vermittler an der Basis gefragt.
Hachenburg ist für Bätzing ein Heimspiel, er stammt aus Kirchen an der Sieg und wuchs in Niederfischbach auf, beides etwa eine halbe Autostunde von hier entfernt. Bevor er mit seiner Rede anfängt, hat er schon eine Collage aus Bildern der Kirche St. Mauritius und Gefährten in Niederfischbach, dem sogenannten Siegerländer Dom, geschenkt bekommen. Man habe Informationen über sein Leben eingeholt, erzählt Leiterin Anja Kohlhaas, das mache man bei Neubewohnern immer so. Die lokale Verbundenheit wird den ganzen Tag eine zentrale Rolle spielen: "Wir sind hier zu Hause und das verbindet uns", drückt es Bätzing aus. Da hat er zu Anfang bereits mit einigen der Anwesenden im besten Alter geplaudert und immer wieder Fragen wie "Ach, Sie kommen von X? Kennen Sie dann den Y?" gestellt und beantwortet. Solche kleinen Runden gehen oft über die reine Begrüßung hinaus, Bätzing quatscht sich bei manchen regelrecht fest.
Pflegende als Ehrengäste
Es gibt heute viele Ehrengäste, doch dazu gehört Georg Bätzing nicht. Es handelt sich um die Pflegenden. Am "Tag der Pflege" steht ihre Arbeit im Fokus, wie auch der Fachkräftemangel, der sich auch in Hachenburg bemerkbar macht. Nicht zuletzt durch viele Plakate und T-Shirts für alle Pflegenden mit der Aufschrift "Wir rocken die Pflege mit <3" machen sie aber auch klar, wie schön der Beruf sein kann.
Bätzing spricht immer wieder Mitarbeitende des Hauses an, es gibt dann auch eine etwas größere Runde mit den Pflegenden. Dort trifft Bätzing auf ganz unterschiedliche Biografien: Da sind die alteingesessenen, die zum Teil schon seit vielen Jahren im Haus Helena arbeiten, daneben aber auch jene, die erst seit Kurzem durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nach Deutschland gekommen sind und bald eine Ausbildung anfangen wollen. Viele von ihnen stammen aus Marokko. Bätzing wird nachdenklich. "Es freut mich wirklich, dass Sie hier sind – aber Sie fehlen natürlich dann in Ihrer Heimat." Die jungen Menschen nicken – ein Zwiespalt, der sich an diesem Tag nicht auflöst. Denn auch die Caritas hat Sorgen: Private Betreiber expandieren und werben dem Haus Personal ab, oft mit Hilfe von Prämien. Neuzugang ist also dringend notwendig. Zum Abschluss des etwas offizielleren Teils gibt noch einen Flashmob mit selbstgedichteten Liedern, die Bätzing auch mitsingt. Das Ende markiert der typisch Westerwälder Ruf "Hui Wäller", auf den mit "Allemol" geantwortet wird.
Das Haus Helena feierte im vergangenen Jahr 50-jähriges Jubiläum, davon zeugen viele Plakate mit alten Fotos des Hauses und den Festivitäten im Corona-Modus, die die Mitarbeitenden zusammengestellt und aufgehängt haben. Auf alles wirft Bätzing einen Blick, bevor er zum Essen verabredet ist: Im Haus wohnt der Altabt des Klosters Marienstatt, der Bätzing freundschaftlich verbunden ist. Zuvor gibt es noch eine kleine Andacht im Speisesaal des Hauses. Bei der unprätentiösen kleinen Feier spricht Bätzing über Freud und Leid des Lebens: Nicht jeder Tag könne immer ein Freudentag sein, im Alter gebe es körperliche Beschwerden und Einsamkeit. "Doch es gibt immer Gründe, froh zu sein und Gott zu danken", so Bätzing in seiner Ansprache, die von wenigen Liedern und Gebeten umgeben ist. Nach einer Viertelstunde ist die Andacht zu Ende.
Ein spontaner Segen
Als sich der Bischof nach dem Essen von den Mitarbeitenden verabschiedet, erfährt er in letzter Minute, dass Haus-Leiterin Kohlhaas heute Hochzeitstag hat. Ob sie denn einen Segen möchte? Kohlhaas’ Mann, der auch vor Ort ist, aber bisher kaum in Erscheinung getreten ist, springt auf und beide stellen sich vor Bätzing, der sie segnet.
Der nächste Termin führt in die Hachenburger Innenstadt. Auf dem Marktplatz angekommen, wird Bätzing schon erwartet. Eine schwarz verschleierte Frau sitzt dort, die sich beim Bischof über die Corona-Maßnahmen beschweren möchte. Sie fühlt sich von den Sakramenten ausgeschlossen. Bätzing nimmt sich Zeit, verteidigt die Vorkehrungen der Diözese. Die Frau hört ihm zu, ist am Ende aber nicht überzeugt. Sie kann Bätzing heute nicht für sich gewinnen.
Bürgermeister Stefan Leukel wartet schon mit einem Stadtrundgang zu Stadtenticklung und Bürgerbeteiligung. Die 6000-Einwohner-Stadt steht als Mittelzentrum im Wettbewerb mit anderen Städten der Umgebung – und manche Westerwälder fahren am Samstag zum Einkaufen lieber nach Montabaur als nach Hachenburg. Davon zeugt auch die Innenstadt, die an diesem Donnerstag ruhig und wie im Dornröschenschlaf erscheint. Am Marktplatz befindet sich ein Laden für E-Zigaretten in erster Lage, eine alteingesessene Kneipe hat seit Kurzem geschlossen. Und doch tut sich etwas, erzählt Leukel: Junge Familien ziehen in die Region, der Marktplatz wurde neu bepflanzt, Wege in einem Park ein paar Fußminuten davon entfernt neu angelegt. Das alles auch immer in Absprache mit der Bevölkerung. Für die jungen Familien sind Kindergärten wichtig – da spielen auch die beiden kirchlichen Einrichtungen mit rein. Bätzing nickt: "Es ist wichtig, dass wir uns bei der Stadtentwicklung sowohl mit der Kommune wie auch den evangelischen Einrichtungen absprechen." Bei den Kindergärten zeigt sich dasselbe Bild wie beim Altenheim heute Vormittag: Noch gibt es zu wenig Plätze und zu wenig Personal. Wohnraum, Flächenentwicklung, Leerstand in der Innenstadt – an Herausforderungen mangelt es nicht. Da ist auch die Kirche als Teil der Stadtgesellschaft gefragt.
"Das habe ich als kleines Kind auch mitgemacht."
Im Alten Rathaus besucht die kleine Gruppe eine Ausstellung mit historischen Fotografien der Stadt – und Bätzing erkennt auf einem Hochzeitsfoto einen alten Brauch wieder. Dort stehen in einer Ecke Kindergartenkinder. "Die haben ein Seil gespannt und das Brautpaar musste sich freikaufen, indem beide für die Kinder Groschen geworfen haben. Das habe ich als kleines Kind auch mitgemacht."
In einem Park steht ein Zirkuszelt, Schulkinder der Stadt werden dort am Abend ein selbst einstudiertes Programm in die Manege bringen. Bätzing ist sich für Fotos in der Manege nicht zu schade – trotz des potentiell kompromittierenden Umfelds: Bätzing als Kopf des Synodalen Wegs in der Rolle als Zirkusdirektor. Das spielt seinen Kritikern in die Hände, die den Reformprozess als großen Kirchenzirkus des Verbandskatholizismus weg von der Weltkirche hinein in eine schismatische Nationalkirche sehen. Viele davon kann er mit seinen vermittelnden Worten nicht erreichen – da reicht schon ein Blick in die zahlreichen Hassmails, die jeden Tag im Bistum Limburg und der Deutschen Bischofskonferenz eingehen.
Vertreter der Kirche nach außen, Erklärer und Verteidiger von Prozessen, auch in der großen Politik, daneben Visitation in Hachenburg – sehr ungleiche Pole. "Bischof von Limburg zu sein ist meine erste Aufgabe. Das habe ich meinen Mitbrüdern auch bei der Wahl zum DBK-Vorsitzenden gesagt", sagt Bätzing. Das Bistum Limburg sei klein, da könne er nicht so viele Aufgaben delegieren. Er sei gefragt, auch nach der unrühmlichen Vergangenheit unter Franz-Peter Tebartz-van Elst. Termine vor Ort und die Sitzungen von diözesanen Gremien seien für ihn zentral. "Da lasse ich mich nicht vertreten. Dann muss auch mal jemand anderes die Aufgaben auf Ebene der Bischofskonferenz wahrnehmen." Für die DBK-Geschäftsstelle in Bonn sei das eine Umstellung gewesen, aber die Beschäftigten dort arbeiteten mittlerweile sehr selbstständig. Leute vor Ort in die Pflicht zu nehmen, sei aber auch bei den vielen Strukturprozessen im Bistum Limburg notwendig, erklärt Bätzing. Er verbringe viel Zeit damit, den Menschen zu sagen: "Die Kirche der Hauptamtlichen ist zu Ende. Es liegt an euch, ob Leben da ist." Noch ist fraglich, ob dieser Verantwortungswechsel gelingt.
An neue Flasche erst gewöhnen
Schon ein paar Minuten später steht Bätzing mit einem Pils in der Hand vor der Hachenburger Brauerei. Das mittelständische Unternehmen bemüht sich, mehr und mehr nachhaltig und klimaneutral zu produzieren. Deshalb wurden zuletzt die bislang typischen Bügelflaschen abgeschafft und durch solche mit Kronkorken ersetzt – die Reinigung der Bügelflaschen musste extern geschehen und war mit zahlreichen LKW-Fahrten verbunden. Die werden nun eingespart – doch von den Anwesenden geben mehrere zu: An die neue Flasche musste man sich erst gewöhnen.
Gestärkt vom frisch Gezapften geht es nun an Braukesseln und hohen Metalltanks vorbei den ganzen Weg entlang, den Gerste, Wasser und Hopfen durchlaufen, bis aus ihnen Bier wird. Seit 1861 entsteht hier das kühle Nass – und es gibt noch Kunden aus der Gründungszeit. Im Sinne der Gemeinwohlökonomie kauft man hier mehr und mehr in der Region ein, zum Beispiel auch Werbemittel, die bislang aus China importiert wurden. Das Team aus etwa 100 Leuten ist jung, im Schnitt 34 Jahre alt. Im Inneren der alten Gebäude sieht es eher wie in einer Werbeagentur denn wie in Brauerbüros aus: Es gibt eine Bierschule und für Zugezogene einen Raum mit Westerwälder Eigenheiten. "Hui Wäller" steht dort an der Wand – der Ruf stammt von einem Bauer, der ihn sich 1913 angesichts eines Wettbewerbs für einen Erkennungsrufs der Westerwälder überlegte. Dafür gab es damals 12 Flaschen Wein. Aus dem Westerwald stammen das Toast Hawai, der Römertopf, die Raiffeisen-Genossenschaft und der Eierkäs, eine Süßspeise aus geschlagenen Eiern, Milch und Zucker. Wieder was gelernt. Bätzing schaut sich das alles geduldig an, liegt beim Bier-Blindtest allerdings daneben: Das Pils hält er zunächst für die alkoholfreie Variante.
"Hui Wäller" – "Allemol" schallt es auch ein paar Augenblicke später in der Wirtschaft der Brauerei. Hier haben sich Vertreterinnen und Vertreter der Pfarreigremien Hachenburgs zusammengefunden, um dem Bischof ihre Anliegen mitzugeben. Die haben es in sich: Eine Frau hätte sich durchaus vorstellen können, Priesterin zu werden, doch habe ihr die Diskriminierung der Frau in der Kirche einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Gläubigen vor Ort sind zudem sauer wegen Missbrauchsaufarbeitung in der Kirche, die sie als schlampig empfinden. Dazu kommen Probleme der größer gewordenen Pfarreistrukturen: Die Entfernungen zum nächsten Gottesdienstort sind gewachsen, viele Ehrenamtliche seien durch die Zusammenlegungen vergrault worden, die Aufgabenteilung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen sei unklar, die Priester hätten zudem zu wenig Zeit für die Seelsorge.
Ein Mediationsprozess für bessere Absprachen
Bätzing hört sich alles an und versucht, zu vermitteln: Er empfiehlt einen Mediationsprozess für bessere Absprachen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Zudem legt er den Anwesenden nahe, ein anderes Bild der Großpfarrei zu entwickeln: Sie lediglich als organisatorischen Rahmen, nicht aber als Identifikationsraum zu verstehen. Es komme auf die Ortsgemeinden an, sagt er. Und die seien an jedem Ort anders – und nicht mehr der Einsatzbereich des Pfarrgemeinderats. "Der Pfarrgemeinderat soll keine Aktionen planen, sondern das große Ganze im Blick behalten." Der Bischof schließt mit dem Hinweis, die Gläubigen sollten versuchen, als Team zu wachsen und die spirituelle Dimension der Aufgabe mehr zu betonen, etwa in Form von gemeinsamen Exerzitien. "Tun Sie etwas für sich selbst, dann machen Sie auch etwas für die Pfarrei." Das sei vor allem nach den wenigen Begegnungen in der Coronazeit wichtig. Ansonsten stehen bei Bätzing die ganz praktischen Erwägungen und Empfehlungen im Vordergrund. Grundsatzdiskussionen hält er mit dem Hinweis kurz: Das könne man vor Ort eh nicht ändern. Es sind zwei dichte Stunden, in denen Bätzing versucht, Wünschenswertes und Machbares so nah wie möglich zusammenzuführen. Er tritt bestimmt, aber nie schroff oder polarisierend auf. Er hält keine Grundsatzreden, sondern trägt eher Interessen zusammen. Die Mitglieder der Gremien sind am Ende zufrieden mit dem Gespräch.
Zum Abschluss feiert Bätzing im Innenhof der Brauerei eine Andacht, auf einem Altar aus Bierkästen. Es geht um das Jesuswort "Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben" (Joh 4,14). "Das wäre für die Brauerei hier schlecht", sagt Bätzing dazu schmunzelnd. Noch einmal eine kurze, bodenständige Feier ohne viel Pomp. Es spielt eine Blaskapelle, die Gemeinde sitzt auf schlichten Holzstühlen. Nach der Andacht gibt es die für die Region typische Kartoffelsuppe mit Brezeln und Bier. Bätzing bahnt sich derweil seinen Weg durch die Menge, kommt aber kaum voran, so viele Gespräche warten auf ihn, die er mit sichtbarem Genuss führt. Morgen kommt er wieder nach Hachenburg, zum zweiten Tag der Visitation. Bischof Bätzing, der kommunikationsfreudige Vermittler ist in seinem Element.