Seit 2016 steht er an der Spitze des Bistums Dresden-Meißen

Von Aufbrüchen und Erkundungen: Bischof Heinrich Timmerevers wird 70

Veröffentlicht am 25.08.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Blickt Heinrich Timmerevers auf sein Leben zurück, waren die sechs Jahre seit seinem Amtsantritt 2016 als Bischof von Dresden-Meißen vielleicht die spannendsten und herausforderndsten. Heute wird der Bischof 70 Jahre alt.

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Wer nach 64 Jahren im volkskirchlich geprägten Oldenburger Münsterland nach Sachsen zieht, wechselt mehr als nur den Dialekt. Als Heinrich Timmerevers 2016 erfuhr, dass er katholischer Bischof von Dresden-Meißen werden sollte, reagierte er nach eigenem Bekunden erst mal "ziemlich geschockt": "Für mich war klar: Jetzt verlässt du Haus, Hof und Vaterland und ziehst in ein anderes Land", sagte Timmerevers 2017 in einem katholisch.de-Interview. Was folgte, war ein Aufbruch – nicht nur geografisch und biografisch, sondern auch im Nachdenken über Kirche und Glaubensleben. An diesem Donnerstag feiert Timmerevers nun seinen 70. Geburtstag in Dresden.

Heinrich Timmerevers kommt von einem Bauernhof, geboren als zweites von sechs Kindern. Seine Heimat ist eine zum Bistum Münster gehörende katholische Enklave in einem sonst evangelisch geprägten Landstrich. Verlassen hatte er sie nur für das Theologiestudium in Münster, mit kurzem Abstecher nach Freiburg im Breisgau, einen Kurs für Spiritualität der Fokolarbewegung in Rom und von 1984 bis 1990 als stellvertretender Leiter des Collegium Borromaeum in Münster, wo die angehenden Priesteramtskandidaten leben. Danach kehrte Timmerevers nach Visbek als Pfarrer zurück, wo er schon nach seiner Priesterweihe 1980 als Kaplan tätig war.

Als Weihbischof von Münster war er der "Moorpapst"

2001 folgte seine Ernennung zum Weihbischof, und Münsters Bischof Reinhard Lettmann machte ihn zeitgleich zum Leiter des Offizialatsbezirks Oldenburg. Der niedersächsische Teil des Bistums Münster ist auf der Grundlage einer weltweit einmaligen Rechtskonstruktion kirchenpolitisch weitgehend unabhängig. Der Weihbischof in Vechta hat dadurch ein machtvolleres Amt als andere Weihbischöfe. Der Volksmund im Bistum Münster spricht deshalb gern mal vom "Moorpapst".

Bild: ©BRIAN_KINNEY - stock.adobe.com

Seit 2016 ist Heinrich Timmerevers Bischof von Dresden-Meißen.

Niemanden hätte es verwundert, wäre Timmerevers bis zur Emeritierung in diesem Amt geblieben. Doch überraschend wählte ihn 2016 das Domkapitel von Dresden-Meißen zum 50. Bischof des sächsischen Bistums, das zum Teil in den Osten Thüringens reicht. Über die Beweggründe wird bis heute Stillschweigen bewahrt.

Timmerevers stieg auf und verkleinerte sich zugleich: Bei seinem Dienstantritt in Dresden zählte das Diaspora-Bistum knapp 143.000 Katholikinnen und Katholiken. Zuvor hatte er die Verantwortung für rund 265.000 Gläubige getragen. Auch ist das Budget nun merklich kleiner, wenngleich Dresden-Meißen in Ostdeutschland zu den finanziell besser gestellten Bistümern zählt. In der laufenden Diskussion um Finanzhilfen wechselte Timmerevers von der Geber- auf die Nehmerseite.

"Ich bin hier ein Lernender"

Was ihn jedoch am meisten herausfordert in seinem ostdeutschen Bistum ist die so ganz andere Mentalität der Menschen und Prägung durch die DDR-Zeit. Von seinem Amtsvorgänger Heiner Koch, der nach nur zweieinhalb Jahren in Dresden an die Spitze des Erzbistums Berlin wechselte, hat Timmerevers einen "Erkundungsprozess" geerbt. Es ist zum einen der offizielle Titel einer Strukturreform des Bistums, zum anderen der persönliche Prozess eines Westdeutschen, der als Bischof und Seelsorger in Ostdeutschland nur dann gut wirken kann, wenn er eine Sensibilität für ostdeutsche Perspektiven, Befindlichkeiten und Realitäten entwickelt.

Fast mantraartig wiederholte Timmerevers in seinen ersten Dresdner Jahren: "Ich bin hier ein Lernender." Fragt man ihn heute, was er inzwischen gelernt habe, so fällt die Antwort vielschichtig aus. So beeindrucken íhn die Glaubensbiografien vieler Ostdeutscher "wegen ihrer Gradlinigkeit". Dass man für seinen Glauben teils empfindliche Nachteile in Kauf nehmen musste, vielleicht deswegen nicht studieren durfte, dass der Glaube keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit ist, das war für Timmerevers Neuland. Bis heute versucht er, möglichst viel davon wahrzunehmen: "Aber ich hüte mich vor Interpretationen – dazu kenne ich viel zu viele Details nicht."

„Was können wir tun, damit wir als Kirche lebensrelevant sind für die Menschen in dieser Region?“

—  Zitat: Bischof Heinrich Timmerevers

Was er sonst noch gelernt habe: "In Ostdeutschland war die Kirche nie systemrelevant. Das sehe ich jetzt als Vorteil, denn westdeutsche Bistümer kosten gegenwärtig die Debatten um den Verlust ihrer 'Systemrelevanz' viel Kraft", sagt Timmerevers. "Hier hingegen frage ich: Was können wir tun, damit wir als Kirche lebensrelevant sind für die Menschen in dieser Region?" Eine Frage, für die es keine Patentlösungen gibt und die ihn umtreibt. Mit Statements zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die in Sachsen nicht immer erfreulich sind, hält er sich indes sehr zurück, obwohl oder vielleicht weil etwa das Problem des Rechtspopulismus auch in die Pfarrgemeinden hineinreicht.

"Die Wirklichkeit ist stärker als jede Idee von Kirche oder Leben"

Schließlich formuliert Timmerevers noch eine Erkenntnis der vergangenen Jahre: "Die Wirklichkeit ist stärker als jede Idee von Kirche oder Leben." Begegnungen mit queeren Christinnen und Christen seines Bistums haben ihn zu einem offenen Fürsprecher für ihre Anliegen gemacht, etwa für die Segnung homosexueller Partnerschaften.

Bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zeigte Timmerevers – wie viele seiner Amtsbrüder – nicht immer ein geschicktes Händchen. Jedoch reflektierte er sehr genau, als unlängst das Münsteraner Missbrauchsgutachten erschien: "Mir wird im Rückblick deutlich: Ich bin in ein System des Schweigens hineingewachsen." Zu seinem eigenen Handeln als Weihbischof sagte er: "Ich bereue meine fehlende Aufmerksamkeit." Deswegen verstehe er es umso mehr als seine Aufgabe, an einer Veränderung mitzuwirken. "Heute kann ich mit einem anderen Standing sagen, dass es so nicht geht." Gerade die Perspektive der Missbrauchsbetroffenen habe ihn "in vielen Gesprächen viel gelehrt".

Von Karin Wollschläger (KNA)