Welskop-Deffaa für soziale Modernisierung: "Krise ist das neue Normal"
Ein Jahr nach Beginn des Kriegs in der Ukraine fordert die Caritas eine Modernisierung der sozialen Infrastruktur in Deutschland. Sozialämter, Job-Center und Ausländerbehörden seien angesichts von einer Million Flüchtlinge aus der Ukraine vielfach überfordert; der Mangel an Kindertagesplätzen und Wohnraum werde durch die Flüchtlingskrise verschärft, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa am Mittwoch in Berlin.
Aus Sicht der Caritas-Präsidentin muss sich die Gesellschaft darauf einstellen, dass Migration und Flucht dauerhafte Phänomene bleiben. Das zeigten nicht nur der wohl länger dauernde Krieg in der Ukraine, sondern auch die Ereignisse in Afghanistan, die Erdbeben in der Türkei und Syrien sowie klimabedingte Krisen in Afrika. "Krise ist das neue Normal", sagte Welskop-Deffaa. Darauf müsse Deutschland eine Antwort finden, auch um ausländerfeindlichen Tendenzen zu begegnen.
Die Caritas-Präsidentin verwies darauf, dass immer noch drei Viertel der Ukraine-Flüchtlinge in Privatquartieren lebten. Gastgeberinnen und Gastgeber müssten dabei nicht selten zusätzliche Aufgaben übernehmen, weil Psychologinnen und Beraterinnen für Behördengänge fehlten.
Geflüchtete stellen sich auf längeren Aufenthalt ein
"Mit der privaten Aufnahme waren und sind die Gastfamilien Ansprechpartner für alle Fragen, etwa bei der Beantragung von Sozialleistungen. Sie dürfen damit aber nicht allein gelassen werden. Die Gastfamilien brauchen selbst fachliche Unterstützung", erklärte Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln. "Für Gastfamilien ist es beinahe unmöglich, ihren ukrainischen Gästen bei der Suche nach alternativem Wohnraum zu helfen. Sie möchten unterstützen, können es aber nicht – das ist das Dilemma." Deutschlandweit biete die Caritas deshalb Anlauf- und Beratungsstellen für private Helferinnen und Helfer.
Nach den Erfahrungen des katholischen Sozialverbands stellen sich immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine auf einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland ein. "Nun stehen die Themen Integration in den Arbeitsmarkt, Erwerb der Sprache und Aufbau einer Existenz in Deutschland im Vordergrund", sagte Welskop-Deffaa unter Berufung auf die Caritas-Migrationsdienste vor Ort. Mit dem Programm Caritas4U habe die Caritas ein spendenfinanziertes Förderprogramm aufgebaut, das an bundesweit 93 Standorten Maßnahmen zur "psychosozialen Stabilisierung", "Unterstützung bei privater Unterbringung", zu "sprachlicher und beruflicher Integration" und "Empowerment und Vernetzung" anbiete.
Auch in der Ukraine und den Nachbarländern, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, braucht es aus Sicht von Oliver Müller, Leiter von Caritas international, einen langen Atem. In der Ukraine organisiert die Caritas nach eigenen Angaben die Betreuung der Menschen in landesweit 42 Zentren. Binnenflüchtlinge werden in fast 200 Sammelunterkünften temporär untergebracht. Auch in den Nachbarländern Polen, Tschechien, Slowakei, Rumänien und Moldau hilft Caritas international den lokalen Caritasverbänden, die Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine zu bewältigen.
Der Krieg hat nach Angaben von Müller zu fast acht Millionen Flüchtlingen in die Nachbarländer und zu nahezu sechs Millionen Binnenflüchtlingen geführt. 17,7 Millionen Menschen seien in der Ukraine dringend auf Hilfe angewiesen. Müller forderte die Bundesregierung auf, die Hilfsorganisationen langfristig zu unterstützen. (KNA)