Sie bieten eine Plattform für Kritiker von Franziskus

Wie papstkritische Medien den weltkirchlichen Diskurs diktieren wollen

Veröffentlicht am 29.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Sie kritisieren Papst Franziskus und den Kurs, den die Kirche unter seiner Leitung einschlägt: Reaktionäre katholische Medien, meist aus den USA, bieten scharfen Papstkritikern eine Plattform – und versuchen damit, den Kurs der Weltkirche zu steuern.

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Reaktionäre und gut vernetzte Online-Portale, traditionalistische Blogs und einzelne papstkritische Persönlichkeiten mit einer starken Präsenz in den sozialen Medien. So in etwa ließe sich ein lautstarker Teil der katholischen Medienlandschaft in den Vereinten Staaten in aller Kürze beschreiben. Mit Blick auf die erste Etappe der Weltsynode in Rom und das im Dezember veröffentlichte Segnungsdokument "Fiducia supplicans", das die Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare unter bestimmten Umständen ermöglicht, wurde deutlich, wie groß der Einfluss papstkritischer Medien und traditionalistischer Blogs ist und welchen Druck sie in der Kirche ausüben.

Ein Beispiel: Im November warf der von Papst Franziskus abgesetzte texanische Bischof Joseph Strickland in einer eigenen Online-Sendung auf dem Internetportal "Lifesitenews" dem Vatikan vor, schismatisches Gedankengut zu verbreiten und forderte den Glaubenspräfekten Kardinal Victor Manuel Fernandez zum Rücktritt auf. Über seine Präsenz auf der Plattform "X" (ehemals Twitter), wo er über hunderttausend Follower hat, äußert sich der Bischof von Tyler regelmäßig zu aktuellen kirchenpolitischen Themen. Nicht nur "Fiducia supplicans" wurde heftig kritisiert, als er Bischöfe und Gläubige aufforderte sich gegen den Vatikan und die geforderten Segnungen zu stellen; auch die Weltsynode bezeichnete er als "böse und falsche Botschaft" und behauptete unter anderem, sie sei "kein Leben nach der Wahrheit".

Kardinal Gerhard Ludwig Müller
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, warf dem Pontifex vor, gemeinsam mit seinem Landsmann Fernandez eine Vielzahl von Häresien verbreitet zu haben.

Auf dem kanadischen Internetportal "Lifesitenews" ist das bei weitem kein Einzelfall. Ursprünglich als Anti-Abtreibungsplattform gegründet, verfügt es bis heute über gute Verbindungen zu bischöflichen Papstgegnern und ist in den USA gut vernetzt. Ihre Plattform prägt wesentlich den Diskurs der eher rechts angesiedelten Papstkritik, die teilweise auch mit Verschwörungstheorien des ehemaligen päpstlichen Nuntius in den USA und Erzbischofs Carlo Maria Vigano unterfüttert wird. Neben dem abgesetzten Strickland nutzte auch der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, das einflussreiche Internetportal für seine scharfe Kritik an einer Vielzahl von Themen des weltkirchlichen Diskurses. Dazu gehörten die Weltsynode im vergangenen Herbst, der deutsche Synodale Weg und das Segenspapier des Glaubensdikasteriums.

Der Kurienkardinal und Kirchenrichter sorgte mit einigen Äußerungen für Aufsehen, als er in einem unmittelbar nach der Veröffentlichung kommentarlos zurückgezogenen Interview dem Papst zwar keinen formellen Akt der Häresie vorwarf, aber dennoch scharfe Worte gegen den Pontifex fand. Franziskus habe in Zusammenarbeit mit seinem Landsmann Fernandez eine Vielzahl von Häresien verbreitet. Müller kritisierte die Teilnahme von Laien an einer Synode, die seiner Meinung nach nur Bischöfen vorbehalten sei, verglich die Entscheidungsfindung auf dem deutschen synodalen Weg mit dem Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933 und bezeichnete jüngst das vatikanische Segensdokument "Fiducia supplicans" als "Gotteslästerung".

Hatespeech im Namen des Herrn

Nicht viel anders ist die Rhetorik bei "Church Militant", das vor wenigen Monaten wegen seines Gründers in die Schlagzeilen geriet und von Beobachtern als homophob, frauenfeindlich, islamophob und antiliberal eingestuft wird. Michael Voris, der ehemalige Chef des umstrittenen Mediums, trat Ende November zurück, weil er gegen die Ethikklausel seiner eigenen Organisation verstoßen hatte. Mehrere Mitarbeiter hatten sich über seine Art der Unternehmensführung beschwert – konkreter wurde nicht berichtet. Probleme gab es jedoch schon lange vor Voris' offiziellem Rücktritt. Dies deckte eine ehemalige Journalistin in einem achtminütigen Video auf "X" auf, in dem sie enthüllte, dass die Mitarbeiter ihren Chef und Gründer im Laufe der Zeit immer seltener oder gar nicht mehr im Büro sahen. Unter anderem sei von einer Persönlichkeitsveränderung die Rede gewesen, so die ehemalige Journalistin.

Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Julio Cortez

Voris gründete 2006 "St Michaels Media" und 2008 "Church Militant" mit dem Ziel, die starke Erosion des katholischen Glaubens zu bekämpfen, indem er vor allem gegen die LGBTQ-Gemeinschaft hetzte und ohne Beweise Gerüchte über die Sexualität von Priestern und Bischöfen verbreitete.

"Church Militant" steht Papst Franziskus mehr als kritisch gegenüber und bietet extremistischen Stimmen wie dem rechtsgerichteten Autor und Redner Milo Yiannopoulos eine Plattform, der sich abfällig über Muslime, die LGBTQ-Gemeinschaft und Studenten aus Minderheitengruppen geäußert hat. Unter anderem finden sich auf der Website Leugner der Klimakrise und scharfe Kritiker der Bemühungen um die Integration von queeren Katholiken. Auch prominente Kirchenvertreter wie Strickland fanden ihren Platz auf der Plattform, wo er von Voris und seinem Medium weitgehend in Schutz genommen wurde. Nicht nur die Absetzung Stricklands, sondern auch Willkommensgesten gegenüber LGBTQ-Gläubigen und sein aktueller kirchenpolitischer Kurs rückten Papst Franziskus immer wieder ins Visier von "Church Militant". Aber nicht nur das Kirchenoberhaupt, sondern auch die US-Bischöfe wurden wiederholt beschuldigt, durch ihr Engagement für Migranten an der US-mexikanischen Grenze den Menschenhandel zu fördern.

Voris gründete 2006 "St Michaels Media" und 2008 "Church Militant" mit dem Ziel, die starke Erosion des katholischen Glaubens zu bekämpfen, indem er vor allem gegen die LGBTQ-Gemeinschaft hetzte und ohne Beweise Gerüchte über die Sexualität von Priestern und Bischöfen verbreitete. Wie Mike Lewis vom katholischen Blog "Who Peter is" schreibt, soll Voris einen mit Lewis befreundeten schwarzen Bischof als "African Queen" bezeichnet haben. Außerdem habe er seine Leser und Zuhörer ermutigt, den US-Jesuiten James Martin zu denunzieren. Voris selbst habe dazu beigetragen, dass einige Vorträge Martins abgesagt wurden und Bischöfe begannen, ihm zu misstrauen.

Traditionalistische Blogs und vermeintliche Kampagnen

Misstrauen ist das Stichwort, um zu verstehen, weshalb die traditionalistischen Randblogs nicht zu unterschätzen sind. Ein aktuelles Beispiel ist das Orgasmen-Buch des Glaubenspräfekten, das kürzlich vom traditionalistischen Blog "Messa in Latino" ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde und weltweit für Aufsehen sorgte. Beobachter gingen von einer Kampagne gegen Fernandez aus, da aus papstkritischen und traditionalistischen Kreisen über "X" zu erfahren war, dass das vor einigen Jahrzehnten erschienene Büchlein in digitaler Form an nicht wenige einflussreiche Kleriker und Laien, vor allem aus den USA, verschickt wurde.

Der "Skandal" empörte nicht wenige; weltweit sorgte das Werk, das Fernandez noch als Seelsorger für Ehepaare verfasst hatte, für Aufsehen und Kopfschütteln bei Konservativen wie Progressiven. Auslöser schien Beobachtern zufolge das Segenspapier "Fiducia supplicans" zur Segnung homosexueller Paare zu sein, mit dem man den Glaubenspräfekten mitten in der spannungsreichen Diskussion rund um die Segnungen homosexueller und wiederverheirateter Paare, angeblich zum Rücktritt zwingen oder ihm pauschal Inkompetenz vorwerfen wollte.

Erzbischof Victor Manuel Fernandez
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Natacha Pisarenko

Fernandez wies darauf hin, dass er kurz nach Erscheinen des Buches die Veröffentlichung gestoppt und einer Neuauflage nicht zugestimmt habe; ein solches Buch würde er heute nicht mehr schreiben, so der Chefdogmatiker.

Auch der katholische Fernsehsender EWTN griff das Buch in der Sendung "World Over" mit Moderator Raymond Arroyo auf, wobei einer der Gäste das Buch als "Müll" und "pornografisch" bezeichnete, und Fernandez vorwarf, nicht auf der Linie der kirchlichen Morallehre zu sein. Fernandez selbst wies jedoch darauf hin, dass er kurz nach Erscheinen des Buches die Veröffentlichung gestoppt und einer Neuauflage nicht zugestimmt habe; ein solches Buch würde er heute nicht mehr schreiben, so der Chefdogmatiker. Beobachter argumentierten zudem, dass Fernandez wegen der Thematisierung von Spiritualität und Sinnlichkeit kritisiert werde, nicht aber Johannes Paul II., der sich in ähnlicher Weise mit dem gleichen Thema beschäftigte und relativ offen über Orgasmen schrieb. Für diese Offenheit wurde der polnische Papst aber von konservativen Kreisen nicht kritisiert.

Die weitere Entwicklung in der katholischen Medienlandschaft besonders in den USA bleibt abzuwarten. Der Vatikan hatte jedenfalls noch vor zwei Jahren den teilweise moderaten katholischen Fernsehsender EWTN gerügt und zur Einheit mit dem Papst aufgerufen. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin kritisierte damals, Nachrichtenportale wie EWTN und seine Ableger müssten Verbindungen und Dialog schaffen sowie Konflikte vermeiden. Wenn der Vatikan gesetzt konservative Medien wie EWTN maßregelt, stellt sich die Frage, wie er mit reaktionären und papstfeindlichen Portalen umgehen sollte.

Von Mario Trifunovic