Digital-Spenden im Aufwind: Kirche und Obdachlose passen sich an
Deutschland ist nach wie vor ein Land des Bargelds – das bekommen während der laufenden Fußball-Europameisterschaft der Männer vor allem Gäste aus dem Ausland zu spüren. Doch auch hierzulande geht der Trend hin zu elektronischen Bezahlungen – per EC-Karte, Smartphone oder Dienstleistern wie Paypal. Darauf reagieren inzwischen auch Kirchen und Obdachlose.
Etwa die kleine Gemeinde der evangelisch-reformierten Kirche im niedersächsischen Leer. Weil die dortige Sparkasse anfing, Gebühren von fünf Prozent auf die Einzahlung von Münzen zu erheben, überlegten sich Pastor Ingo Brookmann und das Geldinstitut einen Plan B. Seit nun knapp einem Jahr geht sonntags im Gottesdienst neben einem Klingelbeutel auch ein EC-Kartenlesegerät herum, so dass Kirchgänger bargeldlos spenden können.
Für die Gemeinde ist das – trotz anfallender Kosten für den Betrieb des Geräts – ein Erfolg. "Wir haben ein etwa 10 bis 20 Prozent höheres Spendenvolumen", berichtet Brookmann. Der Pastor geht davon aus, dass seine Kirche an der EC-Kollekte festhalten wird. "Die lohnt sich aber nur, wenn es in einer Gemeinde ein hohes Spendenaufkommen gibt." Seine Gemeinde sei spendefreudig und ihre Mitglieder sehr engagiert.
Digitale Spendeprojekte im Erzbistum Köln wieder eingestellt
Im Erzbistum Köln hat es beispielsweise auch schon vereinzelte Pilotprojekte mit EC-Kollekten gegeben. Allerdings, heißt es auf Anfrage: "Vielfach wurden solche Projekte wegen des hohen Aufwandes und/oder der entstehenden Kosten wieder eingestellt." Der klassische Klingelbeutel bleibe erhalten – weitere Versuche mit digitalen Spenden seien aber nicht ausgeschlossen.
In Leer wurde der Kirche das Kartenlesegerät von der Sparkasse zur Verfügung gestellt, doch für dessen Betrieb fallen pro Jahr bis zu 700 Euro Kosten für die Gemeinde an, sagt Brookmann. Hinzu kämen zwei Prozent des Umsatzes. Weil man Gemeindemitglieder zudem nicht zwingen wolle, mit Karte zu zahlen, sei es nach wie vor möglich, auch Bargeld in den Klingelbeutel zu werfen. Die Spenden gingen an unterschiedliche Zwecke: Eine Sammlung sei für die eigenen Gemeinde, eine andere etwa für Tafelprojekte oder andere soziale Engagements.
Erzbistum Paris testet kontaktloses Zahlen für Kollekte
Bald könnte es in französischen Klingelbeuteln nicht mehr klingeln: Das Erzbistum Paris startet einen Pilotversuch mit einem elektronischen Kollektenkorb – Gläubige können kontaktlos spenden.
Auch andernorts ist man in der Kirche auf die Karte gekommen: Der Kölner Dom hat bereits 2021 während der Corona-Pandemie digitale Opferstöcke installiert. "Die Einnahmen sind seither kontinuierlich gestiegen", teilt ein Sprecher der Kathedrale mit. Kamen dort 2022 rund 62.000 Euro zusammen, waren es allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahre schon 53.000 Euro. Die durchschnittliche Spendenhöhe liege bei 4,50 Euro – allerdings macht der Anteil der Bar-Spenden immer noch 90 Prozent aus, erklärte der Sprecher.
Es sei schwer zu sagen, ob die höhere Spendensumme allein durch die Umstellung auf EC-Karten zu erklären sei. Denn nach der Pandemie kamen wieder deutlich mehr Besucher in den Dom, der zu den meistbesuchtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland gehört. Auch die EM hat sich nach Angaben des Sprechers mit den zahlreichen ausländischen Fans positiv ausgewirkt – hier vor allem auf die digitalen Spenden.
Belegtes Brötchen statt Bargeld für Obdachlose
Im europäischen Ausland ist die bargeldlose Zahlung fast überall verbreiteter als in Deutschland: Nach einer Studie der Boston Consulting Group liegt Deutschland bei elektronischen Zahlungen im hinteren Mittelfeld. Sie bezahlten 2022 im Schnitt 284 Mal digital, im Spitzenreiter-Land Norwegen waren es hingegen 708 digitale Transaktionen pro Jahr. Dennoch werden auch hierzulande Barzahlungen weniger: So haben Deutsche im vergangenen Jahr einer Erhebung der Deutschen Bundesbank zufolge bei nahezu jedem zweiten Kaufvorgang (49 Prozent) bargeldlos bezahlt, 2021 waren es noch 42 Prozent.
Obdachlose in Deutschland bekommen die Auswirkungen der Entwicklung offenbar noch wenig zu spüren. Aus Berlin berichtet etwa Kai-Gerrit Venske, Fachreferent für Wohnungslose bei der Caritas, dass es von der Klientel in den Beratungsstellen keine Rückmeldungen dazu gebe. Im Gegenteil sei aktuell durch Touristen und EM-Besucher sogar viel Bargeld im Umlauf.
In Deutschlands Finanzhauptstadt Frankfurt reagieren Obdachlose teilweise kreativ, wenn es von Passanten heißt: "Sorry, ich hab kein Geld dabei". Das berichtet Susanne Sperling, Sprecherin der Diakonie in Frankfurt und Offenbach. "Sie fragen dann, ob man ihnen ein belegtes Brötchen vom Bäcker mitbringen kann, zum Beispiel. Das klappt ganz gut." Sollte in Zukunft das digitale Bezahlen das neue Normal werden, würde das für manch Obdachlosen sicher zum Problem werden, vermutet Sperling. Sie sagt aber auch: "Obdachlose sind oft sehr kreativ und passen sich den Gegebenheiten an." Laut Venske ist es in skandinavischen Ländern etwa gang und gäbe, Obdachlosen digital etwas zu spenden – zum Beispiel direkt auf deren Handy. Früher oder später könnte sich das also auch hierzulande etablieren.