Trump-Attentat: Ein religionspolitischer Einschnitt in den Wahlkampf
Die USA standen sichtlich unter Schock: Alle medialen Meldungen kannten am 14. Juli 2024 nur ein Thema. Zwar haben sich die Schlagzeilen in den vergangenen Tagen verändert und – den Umständen entsprechend – normalisiert, doch kreisen die meisten davon weiterhin um das verübte Attentat auf Donald Trump. Dieser war bei einem Wahlkampfauftritt in Butler, Pennsylvania, um Haaresbreite einem tödlichen Schuss entgangen. Sowohl US-Präsident Joe Biden, innen- und außenpolitische Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien sowie die internationalen Stimmen verurteilten den Angriff auf den Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei. Der Anschlag markiert eine politische Zäsur in diesem Wahlkampf, dies haben bereits zahlreiche Expertinnen und Experten bestätigt. Zugleich werden an diesem Ereignis einige religionspolitische Motive im innenpolitischen Duell um das "Oval Office" neu zueinander gestellt – mit derzeit unvorhersehbaren Auswirkungen auf die kommenden Monate.
Kampfeststille – die Ruhe vor dem Sturm?
Der US-Wahlkampf hatte in den vergangenen Wochen enorm an Fahrt aufgenommen. Das erste TV-Duell zwischen Amtsinhaber Biden und seinem 2020 abgewählten Kontrahenten Trump ging eindeutig an den konservativen Herausforderer. Die Folge war (und ist) eine anhaltende Diskussion innerhalb der demokratischen Amtsträgerinnen und -träger und Parteistrateginnen und -strategen darüber, ob Biden als Kandidat überhaupt noch zu halten sei. Zudem griffen sich beide Aspiratoren auf das höchste Amt im Staat – einmal mehr – frontal vor laufenden Kameras an. Biden wirkte abwesend, Trump offensiv wie noch bei seinem ersten Antreten 2016. Aber nicht nur die beiden Frontmänner gerieten aneinander: Der Ton zwischen den politischen Parteikolleginnen und -kollegen sowie den Unterstützergruppen der beiden großen Wählerblöcke hatte sich in den letzten Wochen mit den fast schon traditionellen apokalyptischen Bildern vor einem amerikanischen Urnengang merklich verschärft, die Emotionen schienen täglich höher zu kochen.
Am vergangenen Samstag kehrte eine fast gespenstische Ruhe ein: Kurz nach dem versuchten Anschlag auf Donald Trump war Bestürzung zu spüren: Joe Biden stoppte alle Wahlkampfauftritte, Werbespots und Kampagnen auf unbestimmte Zeit. Zwar hat er diese mittlerweile wieder aufgenommen, doch war der Schritt ein Novum in den letzten Jahren. Zugleich trat der amtierende Präsident, der besonders in den letzten Wochen nicht gerade als selbstsicherer Redner aufgefallen war, gleich mehrmals vor die Presse, um das Attentat zu verurteilen. Er telefonierte mit Donald Trump, wünschte ihm gute Besserung und sprach in einer vielbeachteten TV-Rede der ganzen US-Nation ins Gewissen: "Wir sind keine Feinde", war da etwa zu hören. Freilich hat sich die Wortwahl beider Kandidaten in den Tagen und Wochen zuvor anders angehört: Beide Kandidaten attackierten den jeweils anderen als "Untergang der USA", als beinahe endzeitliches Ungeheuer, das den biblischen Kampf zwischen Gut und Böse in der "Offenbarung des Johannes" einstimmen sollte.
Religiöse Motive in der US-Politik
Solch biblischen Anleihen und Vergleiche sind in der amerikanischen Politik kein Novum: US-Präsidenten spielen seit jeher mit Schriftzitaten, christlich-jüdischer Symbolik und religionspolitischen Motiven. Auch Trump und Biden sind in diese Narrative eingewoben: Wurde Trump 2016 von seinem eigenen Wahlkampfteam als "Erlöser" vor dem korrupten Establishment stilisiert, so wurde damals Hillary Clinton als personifizierter „Anti-Christ“ (Republikaner Ryan Zinke) inszeniert. Joe Biden hingegen wirkte für zahlreiche Menschen (und seine eigene Kampagne) 2020 wie eine Retterfigur, welche die USA aus den Klauen von Präsident Trump befreien sollte.
Der Wahlkampf 2024 basiert zu einem guten Teil aus diesen falschen und extremen Narrativen der letzten Jahre – und nicht zuletzt auf der Enttäuschung, die sich mit beiden Präsidenten in ihrer tatsächlichen Amtsführung eingestellt hatte. Denn weder Trump noch Biden konnten ihre Versprechen halten. Wunder erwartete man von ihnen vergeblich. Sie kämpfen bis heute mit ihrem Überzeugungsproblem, welches die Desillusionierung vieler Menschen in den USA mit Bezug auf die Politik noch einmal verstärkt hat. Donald Trump konnte (anders als Biden) seine Erzählung besonders in den vergangenen Jahren in Richtung der "gestohlenen Wahl" aufrechterhalten – er bezeichnete sich selbst immer wieder als "Opfer einer Hexenjagd", verglich sich in der Karwoche 2024 sogar mit Jesus Christus. Während diese Narrative zumindest Teile seiner eigenen Gefolgschaft bis heute glauben und die Bindung zu ihrem Idol größer wurde, so kämpft besonders die demokratische Gegenseite mit ihrer eigenen Sprachlosigkeit, mit der farblosen Präsidentschaft Bidens sowie mit der scheinbar aussichtslosen Suche nach einem personellen, stilistischen und politischen Neuanfang.
Der lebende Beweis: Vom göttlich inspirierten Umgang mit der Geschichte
Das Attentat auf Donald Trump wird – obwohl beide Seiten das Gegenteil versuchen wollen – nicht zu einer Entemotionalisierung der öffentlichen Debatten rund um die Präsidentschaftswahl 2024 führen. Es dauerte keine Stunden, bis die ersten Memes und Fotomontagen im Internet zu finden waren, die den Anschlag politisch zu Wählerstimmen ummünzen oder geschmacklos lächerlich zu machen versuchten. Während Parteikolleginnen und -kollegen der beiden Kandidaten die jeweilige Gegenseite die Hauptschuld an der Verrohrung des politischen Tons gaben, sahen viele Anhängerinnen und Anhänger Trumps im gescheiterten Attentat eine göttliche Fügung. Auch Trump selbst benutzte schon kurz nach dem Verlassen des Krankenhauses eine ähnliche Rhetorik: Niemand anderes als Gott höchstpersönlich sei es gewesen, der diesen Schuss abgelenkt hatte. Andere identifizierten die Muttergottes als die rettende Fügungsgewalt, wieder andere nahmen Anleihe bei diversen Heiligengestalten oder halb-göttlichen Mächten mit fast schon esoterischem Einschlag. Rein physikalisch war es wohl nur eine spontane Drehung seines Kopfes, die Trump das Leben gerettet hatte, aber auch dieses Faktum wird politisch verwendet, um Trump medienwirksam in Matrix-Manier in einem kugelausweichenden Abwehrmanöver szenisch in Siegerpose zu rücken. Die Bilder sprechen Bände.
Mit dem Attentat auf ihn, findet sich Trump jedenfalls in einer langen geschichtlichen Reihe mit Größen wie Abraham Lincoln, John F. Kennedy oder Martin Luther King jr., die Angriffe mit ihrem Leben bezahlt haben. Zugleich gibt es – etwa Theodore Roosevelt – auch Beispiele dafür, wie Politiker durch ihr Überleben bei verübten Anschlägen in der Gunst der Wählerschaft zulegen konnten. Donald Trump wurde, auch in den Augen viele skeptischer Beobachter weltweit, mit diesem gescheiterten Attentat zu einem Märtyrer, zu einem Opfer der aufgeladenen Stimmung in den USA. Die Frage, ob er diese Stimmung möglicherweise zu einem guten Teil mitzuverantworten hat, ist dem ersten Eindruck nachgeordnet. Donald Trump inszenierte sich sogar im Augenblick seiner Verletzung als Kämpfer, wie ein Sieger reckte er die Hand in die Höhe, rief seinen Unterstützerinnen und Unterstützern mehrmals "Fight!" zu. Für seine Anhängerinnen und Anhänger gibt es keine Zweifel: Sein Überleben gilt als Beweis für seine göttliche Unterstützung, das Scheitern des Angriffes für die Heiligkeit seiner politischen Agenda.
Trumps Ankündigung, seine Rede für den Republikanischen Parteitag völlig neu gestalten zu wollen und die Schärfe seiner Worte zurückzunehmen, mag aufhorchen lassen. Die letzten Jahre hatte man nicht den Eindruck, dass die politische Landschaft in den USA zu einer Mäßigung ihrer Polarisierung in der Lage wäre. Umso mehr mag diese Zusage des republikanischen Kandidaten überraschen. Damit traf er wohl tatsächlich einen Nerv, der viele Wählerschichten quer durch die Parteienlandschaft verbindet: Die Grabenkämpfe, aufgehetzte Stimmungen, untergriffige Auseinandersetzungen der vergangenen Dekaden, haben nicht nur der US-Politik im Allgemeinen, sondern der Wahrnehmung institutioneller Autoritäten, politischer Verantwortungsträgerinnen und -träger sowie auch der medialen Öffentlichkeit mehr als geschadet. Der sachliche öffentliche Diskurs war und ist in den Vereinigten Staaten so gut wie unmöglich geworden, was nicht zuletzt auch der Selbstwahrnehmung der "Nation Under God" merklich zugesetzt hatte. Neben den internationalen Konfliktherden, wirtschaftlichen Krisen, ständigen Dauerkonkurrenzen mit Indien, China, Russland und anderen Staaten wurden die Vereinigten Staaten auch innenpolitisch vielerorts mit ihrem eigenen Scheitern konfrontiert.
So manche ehemals unhinterfragt patriotisch eingestellten Gruppierungen stehen mittlerweile vor dem Scherbenhaufen ihrer einstigen unantastbaren Selbstbilder. Ereignisse der letzten Jahre (etwa der missglückte Abzug der USA aus Afghanistan, die Ohnmacht im Nahen Osten oder die bröckelnde Allianz gegen Russland) legen die Fragilität der bestehenden Ordnungen schonungslos offen, sie verdeutlichen nicht zuletzt eine Vielzahl falscher Ideale, konstruierter Narrative und angeblicher Lösungsstrategien, die im Laufe der Jahre entweder unglaubwürdig geworden sind oder ihre Wirkungen verfehlt haben. Die USA sind vor den Präsidentschaftswahlen 2024 ein Land, das sehnsüchtig auf eine einigende Stimme wartet: Der "Allversöhner" (wohl nicht zufällig ein Bild aus der traditionellen monotheistischen Gotteslehre), als der sich die Kandidatinnen und Kandidaten und Wahlsieger der letzten Jahre gerne inszeniert hätten, ist zum religionspolitischen Hoffnungssymbol einer angeschlagenen Weltmacht geworden.
Eine religionspolitisch virulente Situation
Ob nun tatsächlich Trump oder Biden diese Sehnsuchtsbilder erfüllen könnte, sei dahingestellt. Es mag angesichts der beiderseits ernüchternden ersten Amtszeiten bezweifelt werden. Zugleich wird in den jüngsten Ereignissen deutlich, wie sehr religionspolitische Symbole und Narrative bis heute in den USA wirksam werden. Selbst in einem Land, das seit den 1990er wie kein anderes weltweit enormen Säkularisierungsschüben ausgesetzt ist, können nach wie vor religiös fundierte Sprach- und Bilderstrategien platziert und genutzt werden. Dessen sind sich letztlich auch beide Großparteien und ihre Gallionsfiguren bewusst.
Das Attentat auf Donald Trump war deshalb sicherlich kein Schlusspunkt, sondern ein Anfang eines neu inszenierten Duells um die politische Vormachtstellung in den USA. Zahlreiche Glaubensgemeinschaften sind auf den Zug dieser Narrative aufgesprungen. Auch manch katholische Gruppen haben sich den jeweiligen Parteilogiken angeschlossen. Es wird eine spannende Zeit, wie sich die religiösen Stimmungen im Fortdauern des Wahlkampes, in den zu erwartenden Phasen der Verschärfung der Töne und Sprachbilder weiter entwickeln werden.