Es herrscht Misstrauen
Frage: Frau Podlinski, Deutschland steht kurz vor der nächsten Bundestagswahl. Welche Zeugnisnote würde Sie der schwarz-gelben Regierung im Verbraucherschutz vergeben?
Podlinski: Im Verbraucherschutz muss noch viel getan werden, deshalb eine Drei. Ein großes Problem ist, dass in der Bevölkerung nach all den Lebensmittelskandalen ein Misstrauen gegenüber den Landwirten herrscht. Wegen mangelnder Kennzeichnung, Überwachung und Transparenz haben die Verbraucher das Vertrauen in Landwirte verloren - statt in Politiker.
Frage: Anfang des Jahres gab es in Europa den Pferdefleischskandal. Was muss sich in Zukunft ändern?
Podlinski: Wir brauchen eine bessere Kennzeichnung, eine klarere Schrift auf den Verpackungen, bestimmte Füllmengen, also keine Mogelpackungen. Die Frage ist, wie wir eine nachhaltige Landwirtschaft entwickeln können, denn auf der Ebene haben wir noch große Probleme.
Frage: Deutschland diskutiert über einen Veggie-Day in den Kantinen. Soll der von den Grünen geforderte vegetarische Tag in der nächsten Legislaturperiode eingeführt werden?
Podlinski: Der Veggie-Day ist ja im Prinzip für Katholiken gar nichts Neues, wir hatten mal den fleischlosen Freitag. Das war aus religiösen Gründen so, um den Respekt vor der Schöpfung zu bezeugen. Ein vegetarischer Tag sollte aber nicht vorgeschrieben werden. Schön wäre es, wenn Kantinen täglich unter anderem auch fleischlose Gerichte anbieten würden - und wenn diese viel besser schmecken würden als bisher.
Frage: Beim Thema Kennzeichnung tut sich nicht viel. Die Lebensmittel-Ampel, die gesunde und ungesunde Nährstoffe anzeigen soll, gibt es in Deutschland immer noch nicht. War die Regierung da untätig?
Podlinski: Die Kennzeichnung in Deutschland sollte kein Versteckspiel über Zutaten, die Allergene oder die Herkunft sein, wie bislang so oft. Aber Verbraucher müssen an vielen Ecken aufgeklärt werden, zum Beispiel wird das Mindesthaltbarkeitsdatum oft als Wegwerfdatum verstanden - was es aber nicht ist.
Frage: Die Landvolkbewegung steht für Schöpfungsverantwortung ein. Wie stehen Sie zum Beschluss der Energiewende, die wahrscheinlich mit großen Kosten für den Verbraucher verbunden sein wird?
Podlinski: Die Ressourcen sind begrenzt und wir müssen uns schon überlegen, wie wir die Energiewende gestalten wollen. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima war klar, dass es so nicht weitergehen kann und nun müssen wir eben durch die ganzen Detailfragen wie etwa den Trassenausbau durch. Wir brauchen erneuerbare Energien im großen Ausmaß und wir müssen die Detailfragen gemeinsam lösen. Denn wenn wir das schaffen, ohne dass es zu sozialen Spannungen in der Gesellschaft kommt, dann sind wir auch ein Beispiel für andere Länder in der Welt.
Frage: Aber es wird doch teurer...
Podlinski: Es wird teurer werden, aber das heißt nicht, dass wir die Energiewende nicht anpacken müssen. In der Energie stecken große Fragen für die Zukunft des Planeten. Man muss sich auch fragen, wie viel im Einzelnen es teurer werden muss: Geht das Geld in die Taschen der Energiekonzerne oder ist es wirklich für den Umbau vorbestimmt?
Frage: Die EU-Agrarsubventionen und die Anliegen der Bauern in Entwicklungsländern stehen oft in Konflikt miteinander. Die Piratenpartei fordert langfristig einen Abbau, die SPD ein "Abschmelzen" der Agrarsubventionen, auch die Grünen wollen nicht, dass EU-Exporte weiter subventioniert werden, die CDU hingegen ist für einen möglichst effizienten Einsatz der Mittel. Was ist die Position der katholischen Landvolkbewegung?
Podlinski: Kommen wir erst zu den Bauern in Europa: Die Agrar-Exporte, aber auch die Agrar-Importe sollten ethischen Gesichtspunkten unterliegen. Und man darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: In Brasilien etwa wird das Fleisch billiger produziert, weil dort mit der Regenwald-Rodung Umweltdumping betrieben wird oder mit den Arbeitsbedingungen Sozialdumping. Wir können mit diesen Preisen nicht konkurrieren und wollen solche Bedingungen auch nicht, deshalb müssen die europäischen Bauern unterstützt werden. Wir dürfen aber auf keinen Fall subventionierte Exporte in fremde Märkte drücken und diese zerstören. Auch da muss man unterscheiden: Wenn Subventionen fließen, um die Rente oder Krankenversicherung der Landwirte zu sichern, dann sind sie in Ordnung. Aber Agrarexport-Subventionen müssen weg, und sie sind es zum Teil auch schon. Das waren vor 20 Jahren noch 10 Millarden und jetzt liegen sie weit darunter noch um die 100 Millionen.
Frage: Welche anderen Baustellen für die Zeit nach der Bundestagswahl sehen Sie noch?
Podlinski: Die ländliche Entwicklung darf nicht abgehängt und muss viel mehr gefördert werden. Auf dem Land werden nicht nur weniger Kinder geboren, sie gehen auch weg zur Ausbildung in die Städte und bleiben oft auch dort. Gleichzeitig wird viel weniger investiert. Für die Familien muss es Infrastruktur geben: Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind nötig. Wir brauchen Chancengleichheit mit der Stadt!
Frage: Wenn Sie am 22. September drei Forderungen auf Ihren Wahlzettel schreiben dürften. Wie würden Sie lauten?
Podlinski: Erstens: Viele Bauernfamilien geraten in wirtschaftliche Not. Deshalb brauchen sie eine landwirtschaftliche Familienberatung, die auch die Ressourcen der Familienmitglieder berücksichtigt und nicht nur technische Fragen klärt. Zweitens soll die Bundesregierung die Stellung der Bauern gegenüber den Händlern und der Ernährungsindustrie stärken. Bei allen Skandalen muss Transparenz gewährleistet sein, damit die Verbraucher wieder Vertrauen in ihre Landwirtschaft entwickeln. Und drittens bräuchten die Bundesregierung und Europa eine Eiweiß-Strategie: Solange wir Soja aus der ganzen Welt importieren, um Futtermittel für unser Fleisch zu haben, solange haben wir auch ökologische Probleme. Nicht der Fleischkonsum ist das Problem, sondern der ökologische Fußabdruck des Fleisches. Dieser wird geringer, wenn wir die Futtermittel bei uns produzieren, etwa Ackerbohnen oder Lupinen. Wir brauchen eine Forschung, wie diese Pflanzen effektiver angebaut werden können.
Das Interview führte Agathe Lukassek