Kirchenleitung selbst sieht sich auf gutem Weg

Ein Jahr Missbrauchsstudie – Kritik an evangelischer Kirche

Veröffentlicht am 20.01.2025 um 11:47 Uhr – Lesedauer: 

Hannover/Berlin ‐ Vor einem Jahr hat eine bundesweite Studie das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche offenbart. Bei der Aufarbeitung sieht sich die Kirche auf Kurs. Doch Betroffene und eine Expertin üben Kritik.

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Ein Jahr nach Veröffentlichung einer bundesweiten Missbrauchsstudie für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fällt die Bilanz gemischt aus. Während sich die Kirche selbst bei der Aufarbeitung auf einem guten Weg sieht, sehen Betroffenenvertreter und die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung noch viel Handlungsbedarf. "Die Erkenntnisse, die uns die Studie vor einem Jahr geliefert hat, bewegen uns bis heute", erklärte EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs am Montag in Hannover. Das meine sie sowohl im emotionalen als auch im realen Sinn. "Wir arbeiten ja schon seit Jahren an notwendigen Richtlinien und Standards für Aufarbeitung und Prävention, nun aber tun wir es auf anderer wissenschaftlicher Grundlage", so die Hamburger Bischöfin. Die Schlussfolgerungen aus der Studie hätten Steine ins Rollen gebracht.

Nach Ansicht von Betroffenensprecherin Nancy Janz ist die Studie ein notwendiger Schritt und eine gute Grundlage, um in der Aufarbeitung weiterzukommen. Nach der Veröffentlichung hätten sich viele Betroffene neu gemeldet. "Aber es bleibt noch sehr viel zu tun", so die Sprecherin der Gruppe der Betroffenen im EKD-Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt laut Mitteilung der EKD. Leider habe sie nicht überall in der Kirche den Ruck verspürt, den die Studie hätte auslösen sollen. Die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus vermisst zudem ausreichende Bemühungen um einen Kulturwandel in der evangelischen Kirche. "Nur weil man einen Maßnahmenplan erarbeitet hat, weil man über Anerkennungszahlungen debattiert und weil man Fortbildungen intensiviert, löst man noch keinen Kulturwandel aus", sagte die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Ein Kulturwandel lässt sich nicht über Beschlüsse herbeireden."

2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte

Die Studie für EKD und Diakonie war am 25. Januar 2024 von unabhängigen Forschern in Hannover vorgestellt worden. Sie hatte in kirchlichen Akten Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte seit 1946 ausgemacht. Zudem stellte sie Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus. Als Reaktion beschloss im November das Parlament der EKD, die Synode, mehrere Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt. So sollen etwa eine zentrale Ombudsstelle für Betroffene geschaffen und Personalakten künftig nach übereinstimmenden Standards geführt werden. Ein Verfahren für bundesweit einheitliche Anerkennungszahlungen für Betroffene wurde vorgestellt. Es soll im Frühjahr verabschiedet werden.

Nach Auffassung von Fehrs ist die Kirche mit den beschlossenen Maßnahmen einen großen Schritt weitergekommen. Auch wenn der gewünschte Kulturwandel Zeit brauche, sei dennoch klar: "Wir wollen diesen Wandel. Prävention und Aufarbeitung bleiben auf allen Ebenen der Kirche und der Diakonie eine konsequent weiter zu bearbeitende Aufgabe." Claus führte aus, Kultur verändere sich, indem einem Thema Raum gegeben werde auf allen Ebenen – von der Gemeinde über die Synoden bis zur Kirchenleitung. Das sei bislang beim Thema sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der evangelischen Kirche nicht ausreichend der Fall. (KNA)