Ehelosigkeit auf Probe als Alternative?

Bischof Wiesemann: Wir verlieren durch den Zölibat viele gute Leute

Veröffentlicht am 19.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Norbert Demuth (KNA) – Lesedauer: 

Speyer ‐ Es sollte die Möglichkeit eines Zölibatsgelübdes auf Zeit für angehende Priester geben – wie in Orden, sagt der Speyerer Bischof Wiesemann. Und er begründet, warum er nicht im Alleingang eine Frau zur Diakonin weiht.

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Am 10. Oktober feiert der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann sein 40-jähriges Priesterjubiläum. Ein Anlass, um auf die heutigen Herausforderungen dieses Berufes zu schauen. Im Interview fordert Wiesemann die Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester und regt an, das geistliche Amt des Priesters als Seelsorger neu zu denken. Wiesemann (65) äußert sich auch zum Priestermangel und zur möglichen Diakoninnenweihe von Frauen.

Frage: Herr Bischof Wiesemann, Sie sind seit 40 Jahren Priester. Haben Sie diesen Entschluss jemals bereut?

Wiesemann: Nein, für mich war klar, dass ich einen Beruf ergreife, der sich mit den tiefen Sinnfragen des Lebens beschäftigt. Das Priestersein mit seinen vielfältigen Aufgaben und seiner Menschennähe in der Seelsorge – im wörtlichen Sinn von der Wiege bis zur Bahre – ist etwas ganz Umfassendes.

Frage: Sie sind mit 25 Jahren Priester geworden. Was würden Sie dem Neupriester Karl-Heinz Wiesemann raten?

Wiesemann: Zuhören. Genau hinschauen. Die Wirklichkeit offen wahrnehmen. So entwickelt man sich weiter.

Frage: Wovor sollte man sich hüten?

Wiesemann: Nur in der eigenen Blase zu bleiben. Für alle Dinge gleich eine Erklärung zu haben nach dem Motto: Gott will das so und nicht anders.

Frage: Manch ein Priester scheidet auch deshalb aus dem Dienst, weil er den Zölibat – also die verpflichtende Ehelosigkeit – nicht mehr leben will. War der Zölibat für Sie in 40 Priesterjahren nie ein Problem?

Wiesemann: Och! (lacht) Im Laufe eines langen Lebens kommen alle Fragen auf. Aber man muss sich dann immer wieder auch selber über die großen Linien und roten Fäden des eigenen Lebens im Klaren werden.

Frage: Sollte der Zölibat weiterhin Pflicht für Priester bleiben?

Wiesemann: Ich plädiere dafür, den Pflichtzölibat als Bedingung für den Priesterberuf aufzuheben. Wir brauchen weiterhin den Zölibat als wichtige geistliche Lebensform, in der die priesterliche Gesamthingabe in diesem Dienstamt verdeutlicht und verwirklicht wird. Dies bleibt ein wichtiger geistlicher Lebensentwurf für Ordensleute wie für Weltpriester. Aber ich glaube, dass es auch andere Weisen geben kann, dieses sich ganz Christus und seiner Kirche Zur-Verfügung-Stellen auszudrücken und zu leben. Das geht auch in einer Ehe und kann darin noch einmal andere Aspekte zum Leuchten bringen.

Eine Luftaufnahme des Speyerer Doms
Bild: ©adobestock/Schepers_Photography (Archivbild)

Der Speyerer Dom geht auf das 11. Jahrhundert zurück und ist die größte erhaltene romanische Kirche der Welt. Hier wurde der ehemalige Paderborner Diözesanpriester Karl-Heinz Wiesemann 2008 in sein Amt als Diözesanbischof von Speyer eingeführt.

Frage: Was könnte man konkret ändern?

Wiesemann: Die ausschließliche Verbindung von Priesteramt und Zölibat müsste aufgehoben werden. Es gibt ja jetzt schon gewisse Ausnahmen. Damit könnte die Freiwilligkeit der Wahl dieses Lebensstandes und seine geistliche und existenzielle Aussage wieder an Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft gewinnen.

Des Weiteren könnten wir vielleicht von der großen geistlichen Tradition der Orden lernen, in denen zunächst zeitliche Gelübde abgelegt werden und erst nach einer gewissen Reifezeit im Leben in der neuen Wirklichkeit sich die Möglichkeit der ewigen Gelübde ergibt. Wir erleben ja, dass die Probleme im priesterlichen Leben häufig erst nach fünf bis zehn Jahren einsetzen.

Die Enttabuisierung der ganzen Problematik und die Ermöglichung einer definitiven Entscheidung gerade in dieser Zeit des gereiften Priesterseins könnten die Zeugniskraft des Zölibats meines Erachtens deutlich erhöhen. Voraussetzung genau dafür ist aber, dass die Ausübung des Priesteramtes nicht an die Letztentscheidung für den Zölibat gebunden ist.

Frage: Das heißt also, Sie schlagen vor, dass ein katholischer Priester auch dann Priester bleiben könnte, wenn er heiratet?

Wiesemann: Ja. Der Zölibat sollte nicht absolut an die Ausübung des Priesterberufes gekoppelt sein. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Ortskirchen, also zum Beispiel die Kirche in Deutschland, einen solchen Weg gehen könnten. Ohne dass es weltweit überall so sein müsste.

Frage: Was bringt Sie zu dieser Forderung?

Wiesemann: Wir verzeichnen einen Verlust vieler sehr guter Leute, die den Zölibat nicht leben können oder wollen. Und wir verlieren ebenso viele gute Leute, die sich wegen des Zölibats erst gar nicht für den Priesterberuf entscheiden.

Bischöfin Maria Kubin weiht eine Diakonin in der altkatholischen Gemeinde Auferstehungskirche in Graz.
Bild: ©Altkatholische Kirche Österreich (Archivbild)

Eine Bischöfin weiht eine Frau zur Diakonin – das ist in der römisch-katholischen Kirche nicht möglich.

Frage: Auch der Missbrauchsskandal hat das Priesterbild vieler Menschen erschüttert.

Wiesemann: Ja, auch meines. Priester werden heute zurecht stärker hinterfragt. Zugleich warne ich davor, Priester unter Generalverdacht zu stellen.

Frage: Der Priestermangel ist überall spürbar. Pfarrer sind zum Manager geworden. Wie können sie wieder mehr Seelsorger werden?

Wiesemann: Die Kirche sollte das geistliche Amt des Priesters und damit auch des Pfarrers neu denken. Die Frage ist doch: Welche Art von Leitungsverantwortung in der Gemeinde muss das geistliche Amt haben, und die Leitung welcher Bereiche könnte man auch an katholische Laien, Männer wie Frauen, delegieren? Man müsste den seelsorgerlich-geistlichen Charakter des Priesteramtes wieder in den Vordergrund rücken und auch im Kirchenrecht stärker verankern.

Frage: Sie sprechen sich auch dafür aus, Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Wird in der katholischen Kirche zu viel nachgedacht und zu wenig gehandelt?

Wiesemann: Diesem Eindruck möchte ich entschieden widersprechen. Erst heute Vormittag hat der Allgemeine Geistliche Rat getagt, der an der Leitung des Bistums Speyer mitwirkt. Als ich Bischof wurde, war darin noch keine Frau vertreten. Inzwischen gehören diesem Gremium fünf Frauen an, also ein Drittel.

Frage: Sie plädieren aber auch dafür, dass Frauen möglichst bald Diakoninnen werden können.

Wiesemann: Ja.

Frage: Bislang ist dies in der katholischen Kirche nicht möglich – die Weiheämter Diakon, Priester und Bischof sind Männern vorbehalten. Was wäre, wenn Sie morgen eine Frau zur Diakonin weihen würden?

Wiesemann: Dann würde ich mich außerhalb des kirchlichen Rechts stellen.

Frage: Und das würden Sie auf keinen Fall machen?

Wiesemann: Nein. Ich stelle mich nicht außerhalb, sondern ich versuche, innerhalb der Kirche etwas zu bewegen.

Frage: Sie halten auch nichts davon, dass sich mehrere mutige Bischöfe zusammentun und einen unkonventionellen Schritt tun, wie bisweilen gefordert wird?

Wiesemann: Nein, wir haben die Aufgabe und Verpflichtung, gemeinsam mit der Weltkirche unseren Weg zu gehen. Wenn ich einfach etwas allein mache, dann brüskiere ich andere – unabhängig davon, ob ich eine Sache für richtig halte. Ich würde die Einheit in der Kirche an einem entscheidenden Punkt verletzen. Und die Einheit ist ein sehr hohes Gut, gerade in einer immer zerspalteneren Welt. Die katholische Kirche ist ein grandioses Dialogformat über alle Kulturen hinweg.

Frage: Wäre die Diakonen-Weihe von Frauen theologisch möglich?

Wiesemann: Das theologische Argument, um Frauen absolut auszuschließen vom Weiheamt...

Frage: ... also das Argument, wonach Jesus nur Männer als Apostel berufen hat...

Wiesemann: ... dieses theologische Argument hat nach meiner Auffassung stark an Überzeugungskraft eingebüßt. Es gibt kein absolutes theologisches Argument gegen die Weihe von Frauen.

Frage: Obwohl Papst Johannes Paul II. – immerhin ein Heiliger – 1994 verkündet hatte, die Kirche habe "keinerlei Vollmacht", Frauen zu Priesterinnen zu weihen.

Wiesemann: Ich finde, in der Kirche sollte sehr offen über ein mögliches Diakonat der Frau diskutiert werden. Heute befinden wir uns in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext als zu früheren Zeiten. Die Frage nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau und nach Gerechtigkeit ist heute sehr wichtig. Und wir glauben ja an die Menschwerdung Gottes, nicht an die Mannwerdung Gottes. Gott ist Mensch geworden, nicht Mann.

Gerade vor dem Hintergrund, dass wir wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" die Universalität des Heiles in den Vordergrund unserer Botschaft stellen und damit auch die gleiche Würde aller, ist der Ausschluss der Frauen vom Weiheamt heute sehr schwer plausibel zu machen.

Von Norbert Demuth (KNA)