Was Kirchenlehrer sind – und warum es sie gibt
Wenn man so will, wird John Henry Newman (1801-1890) in einen ganz exklusiven Kreis aufgenommen. Der englische Theologe und Priester, von der anglikanischen in die katholische Kirche konvertiert, zum Kardinal ernannt und 2019 heiliggesprochen, wird am 1. November von Papst Leo XIV. offiziell zum Kirchenlehrer ernannt. Dabei handelt es sich nicht um eine alltägliche Ehrung eines bedeutenden Theologen. Newman – mit ihm werden es 38 – steht damit in einer Reihe von Frauen und Männern, die vor allem durch ihre Schriften einen großen Einfluss auf die Theologie und das Denken der Kirche haben.
Der Titel "Doctor Ecclesiae" (lateinisch für "Lehrer der Kirche") entstand im Mittelalter. Zwar galten Gestalten wie Augustinus von Hippo oder Gregor der Große schon früh als maßgebliche Autoritäten des Glaubens, doch erst Papst Bonifaz VIII. legte 1295 fest, dass die vier "großen Kirchenväter des Westens" – Augustinus, Gregor, Hieronymus und Ambrosius – offiziell als Kirchenlehrer gelten sollten.
West und Ost
Erst deutlich später, und zwar während der Gegenreformation im 16. Jahrhundert, wurden die großen Gestalten der Theologiegeschichte der Ostkirche in die Reihe aufgenommen: Athanasius der Große, Basilius der Große, Johannes Chrysostomos und Gregor von Nazianz. Dazu kamen schließlich Persönlichkeiten des Mittelalters wie Thomas von Aquin, Bonaventura oder Bernhard von Clairvaux, aber auch (spät-)antike Theologen wie Petrus Chrysologus, Leo der Große oder Isidor von Sevilla.
Was all diesen gemein ist: Ihre Schriften bildeten über Jahrhunderte das Rückgrat der theologischen Ausbildung und prägten das intellektuelle Profil des Katholizismus. Die Zeit, in der sie lebten, entscheidet, ob Kirchenlehrer auch als Kirchenväter gelten. Für gewöhnlich endet die Zeit der Kirchenväter mit der Spätantike. So zählen beispielsweise neben den vier "Großen" die eben genannten Leo und Isidor dazu.
Die Kirche vergibt den Titel des Kirchenlehrers nach bestimmten Kriterien und tut das äußerst sparsam. Dabei steht in erster Linie nicht die historische Größe des Betreffenden im Mittelpunkt, sondern die bleibende Aktualität seines Denkens. Dabei muss der Person Rechtgläubigkeit nachgewiesen werden sowie eine "herausragende Lehre" und ein "hoher Grad von Heiligkeit". Nach Prüfung durch das Heiligsprechungsdikasterium erfolgt die Ernennung zum Kirchenlehrer durch den Papst, meist durch ein Dekret und im Rahmen einer feierlichen Zeremonie. Die Entscheidung fällt in einem langwierigen Verfahren. Theologen, Bischofskonferenzen oder ganze Orden können Vorschläge einreichen.
Das Wandfresko "Die Anbetung der Monstranz" von Raffael zeigt einen theologischen Disput, an dem auch einige Kirchenlehrer beteiligt sind, darunter Gregor der Große, Hieronymus, Ambrosius und Augustinus und Thomas von Aquin.
Lange Zeit galt der Kreis der Kirchenlehrer als reine Männerdomäne. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Papst Paul VI. ernannte 1970 mit Teresa von Ávila und Katharina von Siena erstmals zwei Frauen zu Kirchenlehrerinnen. Ein Schritt, der deutlich machte, dass auch mystische und existenziell-spirituelle Erfahrungen theologische Bedeutung besitzen – und nicht nur akademisch-systematische Abhandlungen.
Seither ist der Anteil weiblicher Kirchenlehrerinnen langsam gewachsen. 1997 wurde Thérèse von Lisieux und 2012 schließlich Hildegard von Bingen in die Reihe aufgenommen – Letztere fast 900 Jahre nach ihrem Tod. Die deutsche Benediktinerin verband in ihrem Werk Theologie, Naturkunde, Musik und Vision zu einer ganz eigenen Form von Schöpfungsspiritualität. Ihre Schriften zur "heilsamen Ordnung" der Welt und ihre Kritik an kirchlicher Selbstgenügsamkeit machen sie bis heute aktuell. Mit der Ernennung Hildegards würdigte die Kirche eine Frau, die intellektuelle Schärfe, mystische Tiefe und prophetischen Mut verband.
Prägende Gestalten in Krisenmomenten
Im Laufe der Jahrhunderte waren die Kirchenlehrer oft prägende Gestalten in Krisenmomenten: Augustinus etwa in den Auseinandersetzungen um Gnade und Freiheit, Thomas von Aquin im Dialog zwischen Glauben und Vernunft, Franz von Sales mit seiner alltagstauglichen Spiritualität in der frühen Neuzeit. Kirchenlehrer sind damit nicht nur theologische Bezugspunkte, sondern auch Marker dafür, welche Themen und Denkfiguren die Kirche zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders hervorheben will.
So sehr die Ernennung zum Kirchenlehrer eine theologische Auszeichnung ist, so selten bleibt sie daher völlig frei von kirchenpolitischen Motiven. Immer wieder spiegeln solche Entscheidungen auch innere Akzentverschiebungen in der katholischen Kirche wider. Als etwa Papst Pius XI. 1931 Albertus Magnus ehrte, stand dahinter nicht nur die Würdigung eines mittelalterlichen Universalgelehrten, sondern auch das Bestreben, die Verbindung von Glauben und Naturwissenschaft zu betonen – ein Thema, das im Modernismusstreit des 19. und 20. Jahrhunderts stark umkämpft war.
Eine Statue der Hildegard von Bingen vor der Abteikirche St. Hildegard in Rüdesheim. 2012 wurde sie von Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben.
Selbst die aktuelle Ernennung John Henry Newmans kann als kirchenpolitisches Zeichen gelesen werden: Sein Denken über Gewissen, Bildung und die Entwicklung kirchlicher Lehre steht für eine Kirche, die sich mit der Moderne auseinandersetzt, ohne sich ihr anzupassen. In einer Zeit, in der innerkirchliche Reformfragen und der Umgang mit Pluralität erneut intensiv diskutiert werden, wirkt Newmans Stimme zugleich verbindend und mahnend.
Heute umfasst die Liste der Kirchenlehrerinnen und Kirchenlehrer eine beeindruckende Spannweite: Von den ersten Theologen der frühen Kirche über Scholastiker und Mystiker bis hin zu modernen Denkern. Sie bilden ein Panorama katholischer Geistesgeschichte – und zugleich ein Spiegel der Vielfalt kirchlicher Erfahrung.
Der bislang Letzte
Die bislang letzte Ernennung zum Kirchenlehrer ist noch relativ frisch: Irenäus von Lyon (um 135-etwa 200), der auch als Kirchenvater gilt, erhielt den Titel im Januar 2022. Er sei eine "geistliche und theologische Brücke zwischen östlichen und westlichen Christen" gewesen und habe sich für Frieden und Versöhnung eingesetzt, schrieb der damalige Papst Franziskus (2013-2023) in seiner Begründung. Prägend war vor allem Irenäus' Auseinandersetzung mit der Lehre der Gnostiker, die die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus leugneten.
Geht es nach der polnischen Bischofskonferenz, soll in näherer Zukunft auch Papst Johannes Paul II. (1978-2005) den Titel erhalten. Die polnischen Bischöfe waren 2019 mit der Bitte an Papst Franziskus herangetreten, seinen Vor-Vorgänger zum Kirchenlehrer zu erheben. Der Anlass für diesen Schritt war der 100. Jahrestag der Geburt des polnischen Pontifex am 18. Mai 2020. "Als Dichter, Philosoph, Theologe und Mystiker verwirklichte er sich in vielen Dimensionen, von der Seelsorge bis zum Lehramt, von der Leitung der universalen Kirche bis hin zum persönlichen Zeugnis der Heiligkeit des Lebens", hieß es in einem Schreiben des damaligen Bischofskonferenz-Vorsitzenden Stanisław Gądecki. Doch der Vatikan lehnt bislang ab – eine allzu schnelle Erhebung wird es wohl nicht geben.
Wer auch immer in den kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten hinzukommt: Kirchenlehrerinnen und Kirchenlehrer stehen für unterschiedliche Zugänge zum Glauben, zeigen jedoch alle, dass Theologie nicht nur eine akademische Disziplin, sondern eine Lebensform der Kirche ist. Für die Kirche sind sie Zeuginnen und Zeugen eines lebendigen Glaubens, der den Dialog mit Vernunft, Kultur und Geschichte sucht. Mit John Henry Newman wird dem nun ein weiterer Akzent hinzugefügt.
