Männerseelsorger: Kirche muss bei veralteten Männerrollen achtsam sein
Eine neue Studie aus den USA zeigt: Seit der Corona-Pandemie gehen dort mehr Männer als Frauen in die Kirche. Wie sieht es in Deutschland aus – und was hat das mit Männlichkeitsbildern zu tun? Andreas Heek leitet die Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz. Im Interview spricht er über Dominanz, Unsicherheit und die besondere Männlichkeit Jesu.
Frage: Herr Heek, laut einer Studie aus den USA gehen dort seit der Corona-Pandemie immer mehr Männer in die Kirche, mittlerweile sind es sogar mehr Männer als Frauen. Wie sieht es in Deutschland aus?
Heek: In Deutschland geht die Zahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher ganz allgemein zurück. Doch der Trend, dass Frauen mit der Kirche tendenziell unzufriedener sind, den gibt es auch hier in Deutschland. Frauen treten häufiger aus als Männer – das hat natürlich auch mit der Situation in der katholischen Kirche zu tun.
Frage: Was meinen Sie damit genau?
Heek: Die Kirchenstruktur verändert sich nicht, immer noch werden die höchsten Leitungsämter ausschließlich von Männern bekleidet. Das ist ein dauerhaftes Ärgernis für Frauen, das frustriert viele. Junge Frauen, die feministisch denken, wollen sich das weder antun noch gefallen lassen.
Frage: Inwiefern war da Corona ein Kulminationspunkt?
Heek: Corona hat eine ganz allgemeine Tendenz beschleunigt: Dass Menschen, die etwas glauben, nicht mehr so sehr eine Gemeinschaft suchen. Das zeigt sich dadurch, dass auch Online-Angebote nicht besser genutzt werden als jene in Präsenz. Das hat einerseits mit der Struktur der Kirche zu tun, aber auch mit den Inhalten, die die katholische Kirche vermittelt. Die theologischen Wahrheiten, die weiterhin unverrückt verkündet werden, leuchten einfach vielen Menschen nicht mehr ein. Deshalb ist die Gruppe der Menschen, die sich als nichtgläubig bezeichnet, immer größer geworden.
"Junge, konservative Männer neigen eher dazu, in der katholischen Kirche einen Hort von Sicherheit für ihre traditionelle Männerrolle zu finden", sagt Andreas Heek.
Frage: Auf der anderen Seite betet die Generation Z mehr als jene vor ihr. Auch hier sind es wieder vermehrt Männer.
Heek: Junge, konservative Männer neigen eher dazu, in der katholischen Kirche einen Hort von Sicherheit für ihre traditionelle Männerrolle zu finden. Das ist nicht die Mehrheit der Männer, die sich dem christlichen Glauben zuwendet, aber dieses Phänomen gibt es. In dieser amerikanischen Studie zeigt sich eindeutig, dass verheiratete Männer stärker in die Kirche gehen. Wer mit traditionellen Formen wie etwa der Ehe etwas anfangen kann, der kann auch mit einer traditionellen Spiritualitätsform wie der katholischen Kirche eher etwas anfangen.
Frage: In letzter Zeit wird ja immer wieder über die Einsamkeit von Männern diskutiert, dass sie wenige enge Freunde und tragfähige soziale Bindungen haben. Spielt das auch eine Rolle?
Heek: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass es eine Verunsicherung gibt, besonders wenn Männer in sozialen Medien unterwegs sind. Da findet man polarisierte und einseitige Männlichkeiten und die werden mehr und mehr gesteigert. Es findet dort eine starke Retraditionalisierung der Männerrolle statt.
Frage: Wie passt das zu den Lehren Jesu von Barmherzigkeit und Mitgefühl?
Heek: Gar nicht. Das ist nicht die Männlichkeit, die Jesus Christus uns vorgelebt hat. Schon vor 30 Jahren hat Franz Alt in einem Buch vom "neuen Mann" Jesu geschrieben und aufgezeigt, dass Jesus als Mann eine sehr divers aufgestellte Form von Männlichkeit gelebt hat. Er hat geheilt, ermutigt, zugehört – alles keine Dinge, die maskulinistisch orientierte Männlichkeitscoaches im Internet empfehlen würden. Diese Retraditionalisierung, von der ich gesprochen habe, knüpft nicht an die Botschaft Jesu an, sondern eher an die Tradition einer patriarchalen Kirche. Auch diese Tradition stammt nicht aus der Lehre Jesu, sondern aus antiken Vorbildern von Männlichkeit, die in die Kirche hineingekommen sind. Das wirkt in bestimmten Kreisen als Verstärker.
Frage: Sprechen diese Männer dann vor allem traditionalistische Formen an, etwa die vorkonziliare Messe?
Heek: Das kann sehr gut sein. Männer sind in vielerlei Hinsicht in ihrer Rolle herausgefordert: Sie sollen sowohl gefühlvoll als auch stark sein, damit kommen manche nicht gut klar. Da liegt es nahe, sich in Sphären zu bewegen, wo es eine vermeintliche Sicherheit gibt. Aber das ist eine trügerische Sicherheit.
„Wir müssen tatsächlich katholisch bleiben, also menschenfreundlich, diversitätsfreundlich und klischeevermeidend.“
Frage: Inwiefern?
Heek: Diese Männer werden Frauen begegnen, die diese Art von Verhalten nicht wollen. Die finden einen Mann, der gerade aus der Muckibude kommt, vielleicht auf den ersten Blick attraktiv. Aber wenn Frauen dann merken, dass es um Hierarchien geht, dass es auch um Dominanzverhalten von Männern gegenüber Frauen geht, dann wird es um diese Männer relativ schnell einsam. Denn die Zahl an Frauen, die das heute noch akzeptiert, ist relativ gering.
Frage: Es geht hier also auch um die Frage des unfreiwilligen Zölibats und der weitverbreiteten Einsamkeit unter Männern.
Heek: Genau – und das ist fatal. Deshalb sollte man diese traditionalistischen Bewegungen auch nicht fördern – auch wenn da "junge Leute" kommen. Denn ihnen geht es letztlich um Dominanz, um die eigene innere Unsicherheit zu kaschieren. Dagegen ist die katholische Kirche als ganze schon vielfältig. Diese Vielfalt darf nicht durch Hegemonie unterminiert werden. Katholisch heißt, dass verschiedene Strömungen nebeneinander existieren. Diese einsamen jungen Männer ohne Zugang zu Frauen sind dagegen sehr anfällig für populistische Tendenzen, denn auch die verknüpfen Hegemonie mit Ausgrenzung. Da müssen wir in der Kirche achtsam sein. Wir müssen tatsächlich katholisch bleiben, also menschenfreundlich, diversitätsfreundlich und klischeevermeidend.
Frage: Wie geht die Männerarbeit mit dieser Situation um?
Heek: Wir in der Männerarbeit beschäftigen uns mit Männern ab ungefähr 30. Da sprechen wir zum Beispiel die Männer an, die Kinder haben und bringen sie und ihre Kinder zusammen. So können auch die Männer untereinander über ihre Themen sprechen und so eine Bodenhaftung bekommen. Da geht es um Probleme im Beruf und in der Familie, die Beziehung zu den Kindern. Insbesondere in den ersten Jahren mit Kind ist das für alle stressig, für die Mütter, aber auch die Väter. Wir wollen Gemeinschaft erzeugen. Damit reagieren wir darauf, dass viele Männer nicht dazu erzogen wurden, über ihre Gefühle zu reden. Deshalb dieser Fokus auf Kommunikation und Selbstreflexion. Denn die Folgen des männlichen Nicht-redens über Gefühle können wir in der Suizidrate ablesen, da sind Männer deutlich überrepräsentiert. Männer machen die Dinge zu oft mit sich selbst aus und können oft weder Schuldgefühle noch andere Krisen im Leben kommunikativ bewältigen.
Frage: Wie kann in diesem Umfeld eine gesunde Spiritualität entstehen?
Heek: Was da zwischen den Männern im Dialog entsteht, ist oft schon eine Schwingung, die ich als spirituell bezeichnen würde. Wir kommen in der Männerarbeit ganz bewusst nicht so schnell mit der Frage nach Glauben an Jesus Christus und dem Glaubensbekenntnis. Was die Männer am Ende als spirituelle Momente erfahren, diktieren wir ihnen nicht. Wir überlassen es ihnen, wie sie Dinge erleben. Durch diese Kommunikationsprozesse kommen die Männer meistens selbst darauf, dass das eine Tiefe hat, die plötzlich das übersteigt, was man vorher gedacht hätte. Mit dieser spirituellen Dimension geht der Weg weiter. Schon die Mystiker haben gesagt: Wenn du glaubst, du hättest eine Glaubenswahrheit erkannt, dann lass sie links liegen und geh weiter, geh tiefer hinein. Das machen wir in der Männerarbeit auch. Wir bleiben nicht stehen bei einem Status Quo, wir ermutigen zum Weitergehen. Denn ein spiritueller Prozess ist nie abgeschlossen.
