Das Mosaik der Werte
"Das Kreuz abnehmen", sagt Pater Dominik lächelnd. Er blickt über eine kleine Wiese zu einem Dutzend Jugendlichen, die auf dem Basketballplatz lautstark spielen und brüllt etwas auf Albanisch. "Ich hab den Vorschlag schon öfter gehört. Es würde uns hier sicher auch einige Schwierigkeiten ersparen", fährt er nachdenklich fort und lässt das kleine Kreuz, das um seinen Hals baumelt, vorsichtig durch die Finger gleiten. "Aber ich kann das nicht, denn das, was wir hier vorhaben, braucht Vertrauen und Ehrlichkeit. Da kann ich nicht geheim halten, dass ich Priester bin. Ich hab den Eltern versprochen, dass hier nichts im Verborgenen geschieht."
Bevor der 43-jährige Salesianer weiter erzählen kann, stürmen einige Schüler aus dem Schulgebäude und rennen auf ihn zu. Sofort erhellen sich seine Gesichtszüge und er grinst breit. "Don Dominik", wie sie ihn alle hier nennen, stemmt die Hände lässig in die Hüften und scherzt mit ihnen auf Albanisch. Im Umgang mit den Jugendlichen fühlt er sich sichtlich wohl. Hier spürt man auch nichts von den häufig wiederkehrenden Problemen, Schwierigkeiten und Schikanen, mit denen der Salesianerpater, aber auch seine Schüler, konfrontiert waren und sind.
Katholische Schule im muslimischen Land
Das Miteinander ist immer wieder von Spannungen geprägt. Im Kosovo leben größtenteils Muslime – rund 95 Prozent nach offiziellen Angaben. Das Kreuz und das katholische "Don Bosko Zentrum" wirken auf viele abschreckend. "Viele Eltern wollten ihre Kinder auf keinen Fall zu uns schicken", erzählt Pater Dominik. Es gab immer wieder Rückschläge: "Eines Mittags", erzählt der gebürtige Kosovare, "kamen auf einmal rund 20 Kinder nicht mehr zu unserer Sportgruppe".
Und das obwohl die Schule ohnehin nur zwei Klassen hatte. Ein Imam hatte in der Moschee gegen das Zentrum gewettert und den Eltern davon abgeraten, die Kinder dorthin zu schicken, weil es ein schlechter Einfluss für sie wäre. "Aber tatsächlich war nie einer hier, um unsere Arbeit überhaupt anzuschauen", erklärt Pater Dominik. "Ich habe alle eingeladen vorbeizukommen und mir zu sagen, was ich falsch mache und was nicht gut ist an unserem Projekt und unserer Schule, aber niemand kam."
Lange hat er darüber nachgedacht, wie er das Schulzentrum in Gijlan, einer Stadt rund 45 Kilometer von Priština entfernt, stärker in das Bewusstsein der Menschen vor Ort rücken könnte. Wie er die Menschen überhaupt dazu bringen könnte, in das Zentrum zu kommen. Schließlich reifte ein Plan heran, der damit begann, die beinahe unzähligen kleinen braunen Tannenzapfen auf dem Schulhof einzusammeln. Dann wurden sie gereinigt und fein säuberlich in Stoffsäcke eingelagert. Über 50.000 Zapfen kamen so zusammen.
Auf dem Weg zum Weltrekord
Als schließlich die Bauarbeiten an der Aula beendet waren, machte sich der Salesianer gemeinsam mit ein paar Schülern ans Werk: Auf rund 90 Quadratmetern klebte er ein riesiges Mosaik aus Tannenzapfen, das die Porträts von Mutter Theresa, Don Bosco und dem albanischen Nationalhelden Skanderbeg zeigt. Pater Dominik ging es auch darum, den Schülern zu zeigen, das aus scheinbaren Kleinigkeiten – wie Tannenzapfen – etwas Großes werden kann. So entstand in der neuen Aula nach und nach ein gewaltiges Gemälde aus insgesamt 51.865 Tannenzapfen, das Pater Dominik und die Schüler bald nur noch das "Mosaik der Werte" nannten. Zwei Freunde waren so beeindruckt, dass sie das Werk für das "Guinness-Buch der Rekorde" vorschlugen.
"Ich habe dann tatsächlich einen Anruf bekommen", erzählt Pater Dominik lachend, "und zuerst wollten die mich davon überzeugen, dass man aus Tannenzapfen doch überhaupt kein Mosaik machen könne. Schließlich haben sie sich darauf eingelassen, wenn es mindestens 25 Quadratmeter groß sei, aber da hatten wir schon knapp 80 Quadratmeter fertig."
Nachdem die Fotos verschickt und geprüft waren, dauerte es nur ein paar Tage, bis Pater Dominik die Rekord-Bestätigung in Händen hielt. "Von diesem Moment an hat sich hier viel geändert", erinnert er sich. "Plötzlich kamen die Menschen in unser Zentrum und ich wurde zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen. Jetzt war ich für sie der "Guinness-Weltrekordhalter aus Gijlan" und es kamen jeden Tag Besuchergruppen in unser Zentrum. Offiziell natürlich nur um sich das Mosaik anzuschauen, aber tatsächlich waren auch viele froh, einen Vorwand zu haben, um unsere Arbeit mit den Schülern und unsere Einrichtung anzuschauen."
„Es dauert meist ein paar Jahre, bis die Leute ihre Ängste, Sorgen und Vorurteile überwinden.“
Die Schule ist mittlerweile besser im öffentlichen Bewusstsein in Gijlan verankert und es gibt bereits einige neue Klassen. "Man darf einfach nicht erwarten, dass so eine Schule vom ersten Tag an voll ist", erklärt Renovabis-Projektreferent Herbert Schedler. Er ist seit vielen Jahren bei dem Osteuropa-Hilfswerk der Katholischen Kirche tätig und hat schon einige Partner beim Aufbau von ähnlichen Schul- und Bildungszentren im Osten Europas begleitet.
"Es dauert meist ein paar Jahre, bis die Leute ihre Ängste, Sorgen und Vorurteile überwinden." Dass sie es dann allerdings akzeptierten, zeige sich an anderen Schulzentren: Im "Don-Bosko-Zentrum" in Priština ist der Andrang momentan so enorm, dass viele Schüler abgelehnt werden mussten und über einen Anbau diskutiert wird. Beim gemeinsamen Rundgang durch die Schule in Gijlan zeigt sich Schedler beeindruckt: "Zu sehen, wie sich die Schule entwickelt und wie viel Eigenleistung die Schüler und die Verantwortlichen vor Ort investieren, ist wirklich ermutigend."
Hilfe aus Deutschland
Nach dem Rundgang setzen sich die beiden noch lange zusammen, studieren Abrechnungen und überlegen sich Finanzierungsmodelle für die kommenden Schuljahre. "Ohne die Hilfe, besonders aus Deutschland, müssten wir die Schule wahrscheinlich zu machen", erklärt Pater Dominik. Immer wieder blickt er kurz auf und rückt das kleine Holzkreuz um seinen Hals behutsam zurecht. Dann deutet er auf das Kreuz und macht deutlich, warum er es auf keinen Fall ablegen kann: "Ohne ihn, müssten wir die Schule, nicht nur wahrscheinlich, sondern ganz sicher zu machen."