Starkes Familiendrama
Die Kommissare Batic und Leitmayr, die mit der Aufklärung des Falls beauftragt sind, tappen gänzlich im Dunkeln (ARD, 20:15 Uhr). Denn auch ein Familiendrama scheint zunächst wenig wahrscheinlich. Sollte der Mann zunächst seine Frau getötet und anschließend versucht haben, sich selbst zu erschießen? Warum hat er den Sohn verschont? Und wieso ist die Tatwaffe nicht zu finden? Von den überlebenden Opfern ist kaum Hilfe bei der Aufklärung zu erwarten. Das Kind ist offenbar derart traumatisiert, dass es kein einziges Wort herausbringt und der Vater liegt auf der Intensivstation im Koma. Dennoch ist er es, genauer gesagt: sein Körper, der die Ermittlungen schließlich vorwärts bringt.
Rache der Tochter?
Denn die Ärzte entdecken bei dem Vater die Narbe einer alten Schusswunde. Zur Freude der Fahnder ist diese Schusswunde auch aktenkundig. Demnach tötete Daniel Ruppert (Harald Windisch) – so heißt der Mann – vor 15 Jahren in Augsburg Frau und Sohn, verschonte seine siebenjährige Tochter Ella, richtete anschließend das Gewehr gegen sich selbst und überlebte. Der Konkurs seiner Firma hatte den Dachdecker zu der Verzweiflungstat getrieben. Sollte Ella hier womöglich späte Rache an dem Mann genommen haben, der einst ihre Familie zerstörte? Doch eine Ella Ruppert gibt es nicht. Zwar finden sich in den Datenbanken ein paar Einträge dazu, dass Ella Therapien absolviert hat, doch irgendwann verlieren sich die Spuren ihrer Existenz.
Bei dieser vertrackten Exposition ist klar, dass es die (nach Dienstjahren) zweitältesten Ermittler des ARD-"Tatorts" in dieser Folge mit dem Titel "Einmal wirklich sterben" (Produktion: Tellux Film) nicht mit einer simplen Tätersuche zu tun bekommen. Und so entwickelt sich dieser Krimi gänzlich ohne Action-Einlagen eher zu einem düsteren Familienpsychogramm. So steht denn auch jene irgendwann ermittelte Ella im Mittelpunkt des Interesses. Die psychisch labile, auf Medikamente angewiesene Frau – von Anna Drexler mit beeindruckender Präsenz gespielt – ist eine tickende Zeitbombe, bei der mit allem zu rechnen ist, wie Polizei-Psychologin Christine Lerch (Lisa Wagner) ein paar Mal zu häufig erklärt.
Beklemmende Rückblenden und beeindruckende Bilder
Das Autorenduo Dinah Marte Golch und Claus Cornelius Fischer, das bereits mehrfach für "Tatorte" Drehbücher schrieb, hat diese verschlungene, aber jederzeit nachvollziehbare Geschichte auf drei Zeitebenen angelegt, gewährt den Zuschauern mehrfach einen Wissensvorsprung vor den Ermittlern und wartet dabei immer wieder mit prägnanten Dialogen auf, die im Gedächtnis bleiben. Regisseur Markus Imboden hat das düstere Drama atmosphärisch ungemein dicht inszeniert, wobei sich die Rückblenden auf die beiden Bluttaten besonders beklemmend ausnehmen.
Hinzu kommen diverse Male beeindruckende Bilder (Kamera: Martin Farkas) von Tieren in einem nächtlichen Zoo, der hier ebenfalls eine Rolle spielt; es sind Bilder, die als schöne, jedoch auch bedrohliche Archetypen erscheinen. Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl), die in der jüngeren Vergangenheit oft schon mal wirkten, als wollten sie mit ihren Neckereien ihren Münsteraner "Tatort"-Kollegen Thiel und Boerne nacheifern, halten sich in puncto Gags in dieser Episode wohltuend zurück. Lediglich ihr junger Assistent Kalli (Ferdinand Hofer) bekommt gelegentlich den Spott seiner beiden Chefs zu spüren.
Dennoch wartet dieser Krimi auch mit einem echten humoristischen Kleinod in Gestalt des betagten Kommissars Xaver Busch (Klaus Pohl) auf. Der hatte damals in Augsburg den Tötungsfall bearbeitet und berichtet nun seinen Münchner Kollegen. Wobei die beiden den verwirrten Schilderungen des Mannes, der sich im Lauf seiner Dienstjahre offenbar ein massives Alkoholproblem eingehandelt hat, allerdings kaum folgen können. Eine wunderbare, tragikomische Figur. Und irgendwann stoßen die Kommissare in diesem Münchner "Tatort" auch noch auf eine gewisse Lissy (Andrea Wenzl), was für Batic und Leitmayr die Aufklärung des Falls nicht gerade einfacher macht.