Von Gutmenschen und Gesindel
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Heute schon für die Menschenwürde eingetreten? Das Wort Nächstenliebe in den Mund genommen? An die Mitverantwortung unserer Wohlstands- und Konsumgesellschaft für das Elend irgendwo in Afrika erinnert? Oder gar in der Turnhalle zwei Straßen weiter gewesen, wo ein Haufen von "Nordafrikanern und Personen arabischer Herkunft" auf die Verschickung übers Land wartet? Kleiderspenden abgeliefert? Geld an Misereor überwiesen? Dann sind Sie mit Sicherheit ein Gutmensch. Einer oder eine von denen, die eine Form überlegener Moral vor sich hertragen und damit allen anderen auf die Nerven gehen. Na ja, nicht allen anderen. Sondern denen, die diesen Ausdruck mit einer Mischung aus Aggressivität und Verachtung zwischen den Zähnen herauspressen oder in die Tasten ihrer Tastatur hämmern.
Man kann sich die Hitliste prominenter Adressaten leicht selber zusammenreimen: Margot Käßmann natürlich mit ihrem Pazifismus-Mantra, Claudia Roth, neuerdings auch Kardinal Rainer Woelki, der Flüchtlings- und Merkelversteher (inzwischen ein – so scheint es – doppelter Malus). Der Bundespräsident - geht als Obergutmensch durch. Und in zweiter Reihe diverse Journalisten, die dann schon mal unter "Gutmensch-Redakteur" laufen. Offenbar soll mit der Zahl der Silben die Wucht solcher Wortschöpfungen steigen. So ähnlich wie bei der Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsgattin.
Nichts bezeichnet die zunehmende Unduldsamkeit in streitigen Diskussionen, die Verrohung der Sprache und die Radikalisierung des Denkens so treffend wie das "Unwort des Jahres 2015". Weshalb Gutmensch – Achtung, Wortspiel! – eine gute Wahl der Unwort-Jury ist. Sie macht darauf aufmerksam, wie persönliche, herabsetzend gemeinte Etiketten immer mehr die Argumente ersetzen. Weshalb die Debatten nicht nur im Internet auch immer schriller werden.
Freilich sind die Gutmenschen, entgegen ihrem mutmaßlichen Selbstbild, nicht nur die Leidtragenden, die passiven Opfer. Schubladen und Label liegen ihnen selber auch nicht fern: Faschisten, Nazis, braunes Gesocks, Gesindel... Die Reihe ließe sich fortsetzen. Wohin soll das bloß führen, wenn wir weiterhin so miteinander umgehen? Aber, halt! So kann heutzutage doch nur einer fragen – ein ausgemachter Gutmensch.