Im Zentrum der Katastrophe
Neben den Trümmern steht Carlos Alfredo und lädt an einer der wenigen Kommunikationsstationen sein Handy auf. Der 23-Jährige hatte großes Glück. Als die Erde am Samstagabend in der 50.000-Einwohner-Stadt an Ecuadors Pazifikküste zu beben begann, war er mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter im Haus. Als erstes fiel der Strom aus. "Wir sind dann mit einer Taschenlampe die Treppe runtergestiegen und auf die Straße", berichtet Carlos. Wenig später fiel das Haus in sich zusammen - so wie viele, viele andere: ersten Schätzungen zufolge zwischen 50 und 80 Prozent aller Gebäude. Nun lebt die kleine Familie auf der Straße. "Es gibt nichts zu essen", klagt Carlos. Vom genauen Ausmaß der Katastrophe erfuhr er erst am Montag, von Polizisten und Soldaten - das Handynetz war zusammengebrochen. Auch am Dienstag ist Pedernales noch ohne Wasser und weitgehend ohne Strom, überall dröhnen Dieselgeneratoren. Um wieder arbeiten zu können, will Carlos nun so bald wie möglich in die Hauptstadt Quito ziehen.
Verwesungsgeruch liegt über den Trümmern
60 Stunden nach dem Beben der Stärke 7,8 gleicht Pedernales, das im Epizentrum lag, einer Ruinenstadt. Halb eingestürzte Häuser reihen sich an riesige Schutthaufen und Berge stinkender Lebensmittel, die bei Temperaturen über 30 Grad schnell verderben. Darunter mischen sich Schwaden von Verwesungsgeruch. Viele Menschen tragen Mundschutz. Bagger wühlen sich durch die Gesteinsmassen. Eine Frau fischt ein paar verstaubte Kleidungsstücke aus den Trümmern ihres Hauses, wischt sich Tränen aus den Augen. "Wir können hier nicht weg", schluchzt sie. "Wo sollen wir denn hin?"
Die Regierung koordiniert die Hilfsaktionen vom städtischen Fußballstadion aus. Hier können sich Angehörige über Vermisste informieren; Decken, Wasserkanister, Toilettenpapier stapeln sich meterhoch. Vor einer Tribüne lagern Särge. Davor steht das Zelt von Fabián Fuel, einem der Anführer der rund 1.300 Soldaten, die in Pedernales Katastrophenhilfe leisten. Seine Bilanz bis Dienstagvormittag: 155 Tote, 32 Vermisste, 1.693 Verletzte, dazu unzählige Obdachlose. In ganz Ecuador stieg die Zahl der Toten am Dienstag nach offiziellen Angaben auf mehr als 500.
Linktipp: Wohin spenden?
Wichtige Soforthilfe nach Katastrophen wie in Pedernales leisten katholische Hilfswerke, etwa das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Katholisch.de listet die Bankdaten ihrer Spenenkonten auf. Außerdem können Sie über den Link "Online spenden" direkt Geld für den guten Zweck spenden."Wir hoffen, noch Überlebende zu finden", sagt Marcelo Ledezma von einer Rettungseinheit aus Zentral-Ecuador. "Aber unsere letzten Informationen deuten darauf hin, dass nur noch Leichen gefunden werden." Internationale Hilfe sei bislang unter anderem aus Mexiko, Venezuela und Kolumbien eingetroffen. Und aus Europa: "Das scheint hier ganz gut organisiert zu sein", sagt Volker Sitta, einer von drei Einsatzkräften der Humanitären Hilfe der Schweiz, kurz nach seiner Ankunft.
Die Spendenbereitschaft im Land ist weiter hoch. Schon am Morgen nach dem Beben begannen Behörden und Privatinitiativen, Wasser, Decken und Lebensmittel zu sammeln und an die Küste zu schicken. Größtes Problem dabei sind durch das Erdbeben beschädigte oder verschüttete Straßen. Starke Regenfälle lösen immer wieder Erdrutsche aus. Die Hilfe kam daher bislang nur zögerlich nach Pedernales.
"Es ist Gottes Wille, dass ich hier bin"
Wohl auch deshalb verlassen ganze Karawanen von Pick-Ups die Stadt, beladen mit Möbeln, Matratzen, Gasflaschen, Plastikstühlen. "Pedernales wird leer sein", glaubt der 73 Jahre alte Fischer Gabriel Velasquez. "Alle gehen sie, weil sie Angst haben, dass es wiederkommt", sagt er - und meint ein weiteres Beben. Velasquez lebt seit über 40 Jahren in Pedernales. Sein Haus ist zerstört, nun schläft er am Strand in seinem Fischerboot. Wie es weitergehen soll? "Vieles kommt auf die Hilfe an, die sie uns schicken. Auch aus dem Ausland. Ich hoffe, dass uns andere Länder die Hand reichen." Angst hat der Fischer keine. "Was soll ich schon machen?", fragt er. "Wir leben nun mal hier. Es ist Gottes Wille, dass ich hier bin."