Im Totentanz-Café
Anne Leichtfuß und Katja de Bragança haben das inklusive Projekt gestartet, das auch von der Aktion Mensch unterstützt wird. Die beiden Frauen haben nicht nur ein besonderes Interesse für die letzten Dinge, sondern sind auch leitende Redakteurinnen von " Ohrenkuss... da rein, da raus ", des einzigen Magazins, das von Journalisten mit Down-Syndrom getextet wird. Drei der Autoren, Verena Günnel, Marley Thelen und Paul Spitzeck, übernehmen an diesem Abend die schwierige Aufgabe, Salome Saremi-Strogusch zu interviewen.
Die Stewardess gründete mit ihrem Vater den Verein "Fabian Salars Erben" für mehr Toleranz und Zivilcourage. Auslöser dafür war der Tod ihres Bruders, der sterben musste, weil er in einer Disco ein Pärchen vor vier gewalttätigen Männern beschützt hatte.
Heiter über den Tod plaudern
Bei Milchkaffee oder Limonade warten die Zuhörer gespannt auf das Interview. Auch Norbert Schlüpen, systemischer Therapeut und evangelischer Pfarrer. "Ich finde den Kontrast einfach interessant, sich über Leben und Tod in einem ganz anderen Rahmen zu unterhalten und auszutauschen", sagt er. Denn im Totentanz-Café soll es nicht nur tieftraurig und betreten zugehen wie auf manchem Beerdigungskaffee, sondern manchmal sogar heiter und lustig – trotz des schwierigen Themas, das mancher lieber verdrängt.
Für viele Menschen liegt der Moment des Todes in der Hand des Göttlichen, sagt Initiatorin Katja de Bragança. "Das Wunder des Lebens ist ja, dass Anfang und Ende – und alles dazwischen – ein Geschenk sind." Ziel des Totentanz-Cafés sei, sich in angenehmer Atmosphäre mit einem Thema auseinander zu setzen, das alle betrifft – egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft oder welcher Religion.
So steht das Totentanz Café in der Tradition des Café Mortel, das der Schweizer Soziologe Bernard Crettaz ins Leben rief, um das Sterben aus der Verdrängung zu holen und ihm einen Platz in der Öffentlichkeit einzuräumen. In England leistet dies das Death Café von John Underwood.
Schmerz und Sehnsucht bleiben
Im Totentanz-Café nähern sich die Ohrenkuss-Autoren Günnel,Thelen und Spitzeck ihrer Gesprächspartnerin Salome Saremi-Strogusch behutsam, fragen nach Name, Alter, Beruf und ob sie die Zunge rollen kann. Es geht um Angst und Mut, um Fröhlichkeit und Traurigkeit – und dann auch um den Tod des Bruders, dieses fröhlichen und herzlichen Menschen, der für seine Courage mit dem Leben bezahlte. Salome Saremi-Strogusch erzählt, dass der Schmerz niemals verschwindet, ebenso wie die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen. Aber sie habe mittlerweile gelernt, damit zu leben – auch durch die Vereinsarbeit mit Projekten für mehr Zivilcourage.
Vier Wochen kämpfte er um sein Leben
Salome Saremi-Strogusch berichtet, wie ihr Bruder vor der Disco im hessischen Bensheim von seinen vier Peinigern zusammengeschlagen wurde, wie ein Freund versuchte, Hilfe zu holen, wie ihr Bruder von einem Taxi überrollt wurde und wie er vier Wochen in der Uni-Klinik Mannheim um sein Leben kämpfte, jeden zweiten Tag operiert wurde. "Er hat es leider nicht geschafft", sagt die junge Frau. Sein Freund, der vergeblich versuchte, Hilfe zu holen, habe das Ereignis nie verkraftet – und sich das Leben genommen.
40 Tage trauert die Familie
Die Anteilnahme ist vielen im Café des Kunstmuseums anzumerken. Die Kellner halten inne, einige Gäste müssen schlucken, in manchen Augenwinkeln sammeln sich Tränen. Salome Saremi-Strogusch erzählt von der Zeit nach dem Tod ihres Bruders. "Wir haben 40 Tage getrauert", das sei in ihrer islamischen Tradition so üblich. "In den 40 Tagen haben ich weiß nicht wie viele Menschen unser Haus betreten und mit uns getrauert." Diese Begegnungen und der Austausch über Geschichten aus dem Leben ihres Bruders seien wunderschön und tröstend gewesen.
Die Lehrerin Heike Lenzgen hat gespannt zugehört. Sie fragt, wie Salome Saremi-Strogusch mit ihrer Wut umgegangen sei. Denn wie kann es das Schicksal zulassen, dass jemand so zu Tode kommt, der eigentlich ein Held ist? Salome Saremi-Strogusch erzählt, dass sie im Traum eine Waffe in der Hand hatte, dass sie bis zum Prozess gegen die Täter geglaubt habe, es müssten Tiere gewesen sein, und dass sie ihren Bruder eigentlich rächen wollte. "Aber die Wut hat sich umgewandelt in Liebe zu meinem Bruder, nicht zu Hass auf die Täter."
Der Bestatter und der Tod
Nach dem bewegenden Interview unterhalten sich die Gäste im Totentanz-Café an neun kleinen Tischen weiter. Viele erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Tod geliebter Menschen oder mit dem unterschiedlichen Umgang der Menschen mit dem Tabu-Thema. Jenny Martens, Jahrespraktikantin der Ohrenkuss-Redaktion, meint, es tue Menschen gut, über den Tod zu sprechen. Das findet auch Katja de Bragança. Sie berichtet, dass ein Bestatter aus Bergisch-Gladbach gerne zum ersten Totentanz-Café kommen wollte, "so es das Tagesgeschäft zulässt". Doch dann kam ihm diesmal leider tatsächlich der Tod dazwischen.
Von Sascha Stienen
Hinweis: Der Termin für die nächste Veranstaltung der neuen Reihe steht schon fest: Samstag, 13. Juli, um 16 Uhr in Köln.