Gudrun Sailer über die Armenien-Reise des Papstes

Soll Franziskus von "Völkermord" reden?

Veröffentlicht am 24.06.2016 um 00:01 Uhr – Von Gudrun Sailer – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Gudrun Sailer über die Armenien-Reise des Papstes

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Aghet, "Katastrophe", nennen die Armenier das, was ihrem Volk vor 100 Jahren widerfahren ist. "Völkermord" nennen es die Menschen in vielen Ländern der Welt, und Völkermord nennen es auch zwei Päpste, Johannes Paul II. und Franziskus. Nun bleibt abzuwarten, ob Franziskus sein im Petersdom gesprochenes Wort vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" wiederholen wird, wenn er ab heute drei Tage in Armenien zu Gast ist. In einer Videobotschaft an das armenische Volk unmittelbar vor der Reise hat er es vermieden.

Völkermord zu nennen, was Völkermord war, scheint zunächst recht und billig, ein später Tribut an die Opfer, ein Akt der Standhaftigkeit gegen Druck und Wut der Türkei, Erbin des Osmanischen Reiches, welches das Blutbad seinerzeit anrichtete. Wenn europäische Staaten anerkennen, es sei "Völkermord" gewesen, ist das richtig.

Nuancierter ist die Sache mit dem Papst. Ihm geht es nicht in erster Linie um Politik, sondern um Pastoral, um gutes christliches Leben, was freilich auch Frieden und Versöhnung zwischen verfeindeten Nachbarn und Gläubigen verschiedener Religionen beinhaltet. Genau das war etwa auch der Grundton der Vorab-Videobotschaft.

Vorsichtig mit den Wörtern hantiert das vatikanische Staatssekretariat, das die Diplomatie des Heiligen Stuhles koordiniert. Ein falscher Halbsatz des Papstes, und jahrelange Bemühungen sind dahin. Es ist kein Geheimnis, dass die Diplomatie des Heiligen Stuhles, eine ausgesprochene Friedensdiplomatie, das V-Wort gerne vermieden sähe. Denn in der Türkei leben Christen. Nur noch wenige. Dass Priester und Bischöfe bedroht werden, kommt vor. Oder schlimmer. 2007 wurde der Pfarrer Andrea Santoro ermordet, drei Jahre später Bischof Luigi Padovese, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz der Türkei. Die Täter handeln nach allem, was bekannt wurde, aus einer Mischung nationalistischer und "islamistischer" Motive. Anders gesagt, es ist ein Unterschied, wenn Paris oder Berlin "Völkermord" sagen und wenn der Papst es tut. Christenmorde in einem muslimischen Land haben eine andere Dimension als türkische Missstimmung gegen Franzosen oder Deutsche.

Klar, wir haben gerne furchtlose Päpste, die Unrecht beim Namen nennen und beleidigte muslimische Staatspräsidenten nebst ebensolchen Anhängern in Kauf nehmen. Trotzdem kann es gute Gründe geben, das V-Wort nicht zu zücken. Sicher ist: wie immer Franziskus das haarsträubende Hinschlachten der Armenier durch die Osmanen nennt, es wird aufmerksam registriert, und es wird Folgen haben.

Die Autorin

Gudrun Sailer ist Redakteurin bei "Radio Vatikan".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Gudrun Sailer