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Das Wort zum Sonntag vom 05.09.2020
Kein Wort! Da gehen diese Männer Tage, Wochen, Monate lang durchs Land. Und es wird kein Wort gewechselt? Kein Gespräch geführt? Jesus und Judas. Die Evangelisten berichten in der Bibel von einem der schwersten Konflikte. Es ist der Verrat des Judas an Jesus, der zu seiner Verhaftung führen wird. Judas ist die Unperson der Bibel schlechthin, der "bad guy". Der Konflikt ist schwer aushaltbar.
Sprechen! "Wir müssen sprechen!" Diese Ansage ist mir als Seelsorger häufig begegnet, da, wo es Streit gibt: noch mal ein Treffen zu zweit vereinbaren. Noch mal ein Gespräch führen, um mit etwas Abstand und weniger Emotionen die Argumente auszutauschen. In Ruhe reden. Und einfach noch mal versuchen, den anderen zu verstehen.
Klar, dass am Ende alle einander zustimmen, ist immer eine Illusion. Aber es entspricht doch dem eigenen Verständnis davon, wie Christinnen und Christen mit Konflikten umgehen sollten. Oder? Es ist echt ein hoher Anspruch, immer wieder das Gespräch zu suchen. Ignatius von Loyola hat das im 16. Jahrhundert zum Programm gemacht. Er beschreibt, dass es im Miteinander von Menschen gerade dann, wenn sie sich nicht verstehen, darum gehen müsse, die Aussagen des Gegenübers immer wieder "zu retten". Dann geht es wirklich darum, Kraft und Zeit zu investieren, weil ich ja vielleicht den anderen nicht oder nicht richtig verstanden habe. Das ist ein enormer Anspruch. Das ist richtig anstrengend, wenn da jemand wirklich so ganz anders tickt als ich. Und bei aller Kraftanstrengung ist es bitter zu erleben, dass es manchmal eben doch nicht funktioniert. Die Meinungen sind so verschieden, die Konflikte so groß, dass es nur noch möglich ist, eine klare Grenze zu ziehen.
Jesus und Judas haben sich eher ausgehalten als ausgesprochen. Da wird von keinem Gespräch berichtet.Ich finde das verstörend, weil ich mir manchmal auch ein von Harmonie geprägtes Bild von Jesus mache. Es ist zugleich aber auch ein bisschen tröstlich, weil es zeigt: Es gibt Grenzen des Gesprächs! Wenn sich auf der anderen Seite nicht auch ein wenig Bereitschaft dazu findet, funktioniert es nicht. Deshalb muss sich kein Minister Zeit für Menschen nehmen, die ihn nur niederbrüllen. Deshalb muss nicht miteinander gesprochen werden, wenn es nicht einen minimalen Konsens über Menschenrechte und Menschenwürde gibt. Es kann kein Gespräch geben, wo Antisemitismus ausgelebt wird.
Wir erleben in diesen Wochen an verschiedenen Stellen, dass Menschen zum Ausdruck bringen: Wir möchten nicht sprechen. Wir möchten nicht gemeinsam nach Erkenntnis und Einsicht suchen. Wir wollen uns nicht mal verunsichern lassen, weil wir uns lieber in der eigenen Meinung verbarrikadieren. Das ist schwer auszuhalten, weil es humanistischen, christlichen und demokratischen Idealen zuwiderläuft.
Ich selbst nehme es als Anlass für die kritische Gewissensfrage danach, wann ich mich eigentlich aufgrund der Argumente anderer habe verunsichern lassen und meine Meinung korrigiert habe. Das kommt vermutlich auch nicht häufig genug vor. Und es zeigt: Das Gespräch ist ein anspruchsvolles zwischenmenschliches Unterfangen, es ist ein spiritueller Anspruch und es ist ein demokratisches Gut, das manchmal auch durch eine Grenzsetzung, ein klares "Nein, so nicht!" und "Jetzt reicht’s" geschützt werden muss.