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Das Wort zum Sonntag vom 26.09.2020 - gesprochen von Gereon Alter
Was veranlasst den derzeit teuersten Künstler der Welt, Gerhard Richter – für seine Werke werden bis zu 40 Millionen Euro gezahlt - was veranlasst diesen mittlerweile 88-jährigen Mann, sein wie er sagt, letztes großes Werk - drei prächtige Kirchenfenster – einem in die Jahre gekommenen Kloster zu schenken? Und warum nimmt dieses Kloster, die saarländische Benediktinerabtei Tholey, das Werk eines Mannes an, der öffentlich sagt, er könne mit Kirche und Glaube nicht besonders viel anfangen?
Auf den ersten Blick könnte man sagen: Na ja, das Kloster hat halt den wirtschaftlichen Aufschwung gebraucht, den das Kunstwerk bringen wird, und der Künstler einen schönen Ausstellungsraum, der ihn noch eine Weile überdauert. Aber wer sich auch nur etwas näher mit der Geschichte befasst, der wird auf etwas viel Spannenderes stoßen.
Denn die Benediktinerabtei Tholey, immerhin das älteste Kloster Deutschlands, litt zwar auch unter wirtschaftlichen Problemen. Sie hatte vor allem aber ein personelles und spirituelles Problem. Gerade mal elf Mönche waren es noch, die in den alten Mauern lebten. Und ein spirituelles Zentrum, das Menschen anzieht und begeistert, war es auch nur noch in einem sehr begrenztem Maß.
Wir müssen was tun. Wir können nicht nur vom Vergangenen leben. Wir müssen im Hier und Jetzt ankommen, wenn unser Glaube denn noch eine Bedeutung haben soll. Und dazu brauchen wir Menschen, die anders sind als wir, mit denen wir uns austauschen können – ja, mit deren Hilfe wir die alte Faszination des Glaubens wiedergewinnen: das Staunen über Gott und über den Menschen. So ungefähr muss man sich den Gedankengang vorstellen, der die Mönche veranlasst hat, Kontakt mit Gerhard Richter aufzunehmen.
Und Richter? Der kann mit einer Kirche, wie sie ihm derzeit begegnet, nicht viel anfangen. Der weiß aber wohl, was ein Faszinosum ist, was Staunen bedeutet, und was man tun muss, um dahin zu kommen. "Ich bin ein Suchender" hat er immer wieder gesagt.
Derart unterschiedliche Menschen werden sich künftig in Tholey begegnen: Mönche und Kunstsinnige. Glaubende und Suchende. Menschen, die viel mit der Kirche und ihrer Tradition anfangen können. Und solche, denen all das überhaupt nichts bedeutet. Und das kann richtig spannend werden! Denn es könnte dazu führen, dass die alte Kirche tatsächlich im Hier und Jetzt ankommt. Und dass Menschen, die bislang meinten, ganz gut ohne Kirche und Glaube auszukommen, auf einmal merken, wie faszinierend es ist, ein glaubender und hoffender Mensch zu sein.
Wir wissen nicht, wie die Sache ausgehen wird. Vielleicht scheitert sie. Vielleicht ist auch moderne Kunst in alten Kirchen nicht der erste und wichtigste Ort, an dem sich Glaubende und Suchende neu begegnen. Vielleicht ist es das Soziale oder das Politische. Wichtig scheint mir nur, dass diese Begegnung stattfindet.
Denn eine Kirche, die sich selbst genug ist, die nur noch in den Rückspiegel schaut und Angst vor jeder Veränderung hat, ist jetzt schon tot. Eine Kirche dagegen, die sich für andere interessiert und ihnen auf Augenhöhe begegnet, kann am Anderen das Eigene wieder neu sehen lernen. Und Menschen, die heute noch sagen "Ich kann mit dieser Kirche nicht viel anfangen", aber neugierig sind und suchen, entdecken sie morgen vielleicht schon ganz neu. Und das wäre ein Gewinn für beide. Für Glaubende und für Suchende.