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Das Wort zum Sonntag vom 14.11.2020 - Gesprochen von Benedikt Welter
Atmen. Das heißt Leben. Atmen ist Lebensvollzug. Atmen ist keine bewusste Entscheidung. Es geschieht; ganz von selbst. Aber jetzt: Atmen ist bedroht – und: Atmen ist sogar gefährlich. Das Corona-Virus verändert selbst das, was am Leben das Allerselbstverständlichste war.
Menschen, die schwer an Covid 19 erkrankt sind, bekommen Atemnot. Manche müssen künstlich beatmet werden – oder sogar maschinell. "Ich habe Lufthunger" – so hat es ein Oberarzt der Pneumatologie gesagt; ein Lungen-Facharzt, der selbst am Virus erkrankt war und inzwischen wieder gesund ist. "Ich habe immer noch Lufthunger und öffne deshalb auch in der Kälte das Autofenster." Eine Erfahrung: Das Virus nimmt den Atem.
Aber noch mehr: das Virus verkehrt den Wert des Atmens ins Gegenteil. Mein Atem hält mich am Leben. Aber jetzt kann mein Atem für andere gefährlich werden; so wie der Atem von anderen Menschen für mich gefährlich werden kann. Fast immer und fast überall besteht die Möglichkeit, sich das Virus einzufangen oder es zu übertragen. Deshalb brauchen wir die Mund-Nase-Bedeckung, die jetzt im doppelten Sinn des Wortes zur Alltags-Maske geworden ist.
Vielleicht wirkt die Pandemie deswegen auf unser Lebensgefühl so bleiern und so belastend: sogar der natürlichste Vorgang im Leben, das Atmen selbst ist gefährdet und kann gefährlich sein.
Für mich als Christ ist Atmen und Atem noch mehr als nur der natürlichste Vollzug des Lebens; in der jüdisch-christlichen Bibel heißt das Wort dafür "Pneuma". Dieses griechische Wort steht für Gottes Lebensatem. Ganz am Anfang der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte haucht Gott dem Menschen seinen Lebensatem ein: das Pneuma; und macht den Menschen so lebendig. Und im so genannten Neuen Testament heißt dieser Lebensatem dann später auch "Heiliger Geist". Der ist für die Menschen da, immer schon und immer weiter. Mitten im gefährlichen und gefährdeten natürlichen Atmen ist da immer noch der Heilige Geist; ein Gottes-Atem, der Leben schafft. Ob dieser Lebensatem unserem Lufthunger helfen kann?
Ich finde schon. Und das ist sozusagen mein Beitrag als Christ zur ARD-Themenwoche, die jetzt beginnt und die sich ja ganz der Frage widmet, wie unser Leben nach der Krise weiter gehen kann. Auf den Punkt gebracht hat es für mich der Apostel Paulus. Der schreibt an seine Gemeinde einmal: "… obwohl wir den Geist haben, seufzen auch wir in unserem Herzen… So nimmt sich der Geist auch unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern."
Ja – manchmal nimmt es mir den Atem. Manchmal bedrücken und bedrängen mich die aktuelle Lage und all die Unsicherheiten; sie machen sprachlos und hilflos: da seufzt und stöhnt Gott mit mir und mit allen, die sich so bedroht fühlen und in Gefahr sind. Gottes Lebensatem bleibt bei mir, auch wenn mir die Luft wegzubleiben droht. Das ist mein Glaube: Ich spüre Luft-Hunger und Durchatmen zugleich.