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Das Wort zum Sonntag vom 13.03.2021 - gesprochen von Gereon Alter

"Nur Mut!"

Video: © Gereon Alter

"Wir haben es! Wir haben es fast geschafft! Es fehlt nur noch ein winziger Schritt! Dann haben wir es!" – Klingt ungewohnt, nicht wahr? Wir haben eher anderes im Ohr: "Ja, aber … Sooo einfach geht das nicht! Da müssen wir doch erst einmal …, denn sonst könnte ja … wenn wir das nicht absichern … und überhaupt: so haben wir das noch nie gemacht!" Ich bin diesen Bürokratismus so unendlich leid. Dieses von Angst getriebene Zögern und Zaudern. Dieses Verkomplizieren von Dingen, die sich auch viel einfacher handhaben ließen. Manchmal fehlt wirklich nur noch ein winziger Schritt, aber er wird nicht getan, weil es an Mut oder Verantwortungsbereitschaft fehlt.

Nur: wer aus der Sorge, womöglich zu schei-tern, erst gar nicht handelt, der ist schon gescheitert. Egal auf welche Krise ich schaue – die Corona-Pandemie, den Missbrauchsskandal oder die vielen anderen Herausforderungen, mit denen wir es derzeit zu tun haben: ich habe fast immer den Eindruck, wir Deutschen stellen uns gerne selbst ein Bein. Anstatt auf das zu schauen, was möglich ist und kreativ damit umzugehen, wie es in vielen anderen Län-dern gemacht wird, suhlen wir uns förmlich in unseren Ängsten, Sorgen und Bedenken. Die Bibel findet drastische Worte dafür. Sie spricht von "Verstockung", "Erstarrung", "Taub-heit" ... Und sie wird nicht müde, zur Umkehr zu rufen. Zu einer Umkehr unseres Blickes erst einmal – auf die Möglichkeiten, die vor uns liegen. "Nicht, dass ich es schon erreicht hätte oder vollkommen wäre", sagt der Apostel Paulus zum Beispiel, "aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich ergriffen worden bin!" (Phil 3,12).
Da ist sie wieder: diese Begeisterung, dieses Nachvorne-Schauen, dieses Ergreifen von Möglichkeiten, das mir manchmal so fehlt. Damit kommt man auf die Idee, Impfungen bei IKEA anzubieten – wie in Israel – oder Schnelltests in Discountern und Drogerien wie jetzt bei uns. Und damit würden wir auch die anderen Krisen viel besser in den Griff bekommen als mit all den Sorgen und Bedenken. Was den Apostel Paulus antreibt, ist nicht ein blinder Eifer oder eine flüchtige Euphorie. Er hat sich von Jesus ergreifen lassen. Einem Menschen, der einen sehr klaren Blick auf die Wirklichkeit hatte, der Probleme und Nöte gesehen hat, Mitleid empfinden konnte ... aber nicht dabei stehen geblieben ist, sondern das feste Vertrauen hatte, dass es besser wer-den kann, dass es Heilung gibt, ja, dass wir in Richtung einer anderen Welt unterwegs sind.
Ich glaube, das ist der entscheidende Unterschied. Wer nur auf das schaut, was schwierig ist oder nicht geht, der wird nicht viel verändern können. Wem es dagegen gelingt, über das Hier und Jetzt hinaus zu schauen und Dinge zu sehen, die es zwar noch nicht gibt, die aber doch möglich sind… der wird handlungsfähig und dem wird es tatsächlich gelingen, Vieles zum Besseren zu wenden. In der katholischen Kirche gibt es sogar einen entsprechenden Tag dazu: Den morgigen Sonntag. Der trägt den schönen Namen "Laetare" – "Freut euch!" Freut euch auf das, was vor euch liegt! Vertraut darauf, dass noch etwas kommt und dass es besser wird als das, was ihr bisher kennt.
So ungefähr könnte man den Inhalt dieses Sonntags umschreiben. Er liegt mitten in der Fastenzeit. Inmitten einer ernsten Zeit des Nachdenkens und der Selbstreflektion, des Verzichts und des Bemühens um Veränderung. Gerade da aber hat er seinen Ort. Denn das Nachdenken und Verzichten allein führt zu Verstockung und Er-starrung. Es braucht auch den zuversichtlichen Blick nach vorn. Es braucht das Ergriffen-Sein und Ergreifen. Es braucht den Mut und die Kreativität. Egal, ob Sie diesen sonderbaren Sonntagmorgen begehen, ob Sie Christ sind oder nicht: ich wünsche Ihnen wie auch mir selbst, dass wir wieder mehr Mut und Kreativität entwickeln und dass es uns gelingt, die Möglichkeiten, die sich uns bieten, auch mit Freude und Tat-kraft zu ergreifen.