Ein Plädoyer für Treue und Liebe
Die eigentliche Kernaussage von "Humanae vitae" wird hingegen oft kaum wahrgenommen. Paul VI. hält in Zeiten der sexuellen Revolution ein Plädoyer für eheliche Treue und eine Liebe, die Körper und Geist umfasst. Das Schreiben mit dem Untertitel "Über die Weitergabe des Lebens" richtet sich gegen eine Reduzierung von Liebe auf den körperlichen Aspekt und ihre Herabwürdigung zum Konsumgut. Sexualität, Ehe und Fortpflanzung dürfen nach Ansicht von Paul VI. nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden.
Für kichliche Verhältnisse schon beinahe Liebeslyrik
Zumindest für kirchliche Verhältnisse war das, was Paul VI. 1968 über die Ehe schrieb, schon beinahe Liebeslyrik. So eindringlich hatte vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) kaum ein Papst über die "eheliche Liebe" gesprochen. Mann und Frau strebten "durch ihre gegenseitige Hingabe, die ihnen in der Ehe eigen und ausschließlich ist, nach jener personalen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig vollenden, um mit Gott zusammenzuwirken bei der Weckung und Erziehung neuen menschlichen Lebens". Sie gründe auf einer freien Entscheidung, "der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten, ja dadurch stärker zu werden". Wer seinen Gatten wirklich liebe, liebe ihn um seiner selbst willen, schreibt Paul VI.
Paul VI. fordert weiter eine "verantwortliche Elternschaft". Das bedeutet für ihn, dass die Eheleute "bei der Aufgabe, das Leben weiterzugeben, keineswegs ihrer Willkür folgen dürfen", sondern verpflichtet sind, "ihr Verhalten auf den göttlichen Schöpfungsplan auszurichten". Demnach gibt es eine von Gott bestimmte "unlösbare Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung".
Hauptargument: Das sogenannte Naturrecht
Einen Einwand seiner Kritiker greift Paul VI. in dem Schreiben selbst auf: "Kann man nicht die Meinung vertreten, dass das Ziel des Dienstes an der Fortpflanzung mehr dem Eheleben als Ganzem aufgegeben sei als jedem einzelnen Akt?" Mit anderen Worten: Könnte sich die katholische Kirche nicht damit zufriedengeben, die Eheleute auf eine grundsätzliche Offenheit für die Weitergabe des Lebens zu verpflichten, ihnen aber anheimzustellen, wie sie die Familienplanung im Einzelnen bewerkstelligen?
So hatte es dem Papst etwa eine von ihm eingesetzte Studienkommission empfohlen. Die Antwort Pauls VI. ist ein klares Nein. Sein Hauptargument ist das sogenannte Naturrecht. Das heißt grob gesagt: Der Mensch darf nicht in die von Gott gewollten natürlichen Gesetzmäßigkeiten eingreifen.
Paul VI. warnt zudem eindringlich vor Folgen künstlicher Empfängnisverhütung: Diese sieht er in einer Degradierung der Frau zum Lustobjekt, Missbrauch für staatlich gelenkte Bevölkerungspolitik und der Förderung sexueller Untreue. Künstliche Empfängnisverhütung könne dazu führen, dass Männer "die Ehrfurcht vor der Frau" verlören sie "zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen", heißt es in der Enzyklika. Dieses Argument wurde später auch von einigen Vertreterinnen des Feminismus gegen die Pille ins Feld geführt.
Was hätte Paul VI. zum Ergebnis der vatikanischen Umfrage zu Familie, Ehe und Sexualität gesagt? Er war sich jedenfalls von Anfang an im Klaren darüber, dass sein Verbot künstlicher Empfängnisverhütung auf Widerstände stoßen würde. Die Kritik - vor allem auch die innerkirchliche - an "Humanae vitae" hat ihn nichtsdestoweniger tief getroffen und die zweite Hälfte seines Pontifikats überschattet.
Papst Franziskus lobte seinen Vorgänger ausdrücklich für "Humanae vitae". Paul VI. sei "prophetisch" gewesen, weil er den Mut gehabt habe, "sich gegen die Mehrheit zu stellen, die moralische Disziplin zu verteidigen, eine kulturelle Bremse zu ziehen", so Franziskus.
Von Thomas Jansen (KNA)